Bundesverwaltungsgericht entscheidet über eine Berufung nach der Wehrdisziplinarordnung (WDO) – Beschluss des 2. Wehrdienstsenats vom 23. Januar 2020 – BVerwG 2 WD 1.19

Leitsatz:

Verursacht ein Soldat außerdienstlich durch eine grob fahrlässige Straßenverkehrsgefährdung den Tod eines Menschen, ist Ausgangspunkt der Zumessungserwägungen die Dienstgradherabsetzung.

Hervorzuhebende Auszüge aus der Entscheidung

Regelmaßnahme bei grob fahrlässiger außerdienstlicher Straßenverkehrsgefährdung mit Todesfolge (Rn. 19 – 26)

Auf der ersten Stufe bestimmt er zwecks Gleichbehandlung vergleichbarer Fälle sowie im Interesse der Rechtssicherheit und Voraussehbarkeit der Disziplinarmaßnahme eine Regelmaßnahme für die in Rede stehende Fallgruppe als Ausgangspunkt der Zumessungserwägungen. Als solche hält der Senat im Fall einer grob fahrlässigen außerdienstlichen Straßenverkehrsgefährdung mit Todesfolge eine Dienstgradherabsetzung für angemessen.

In der Rechtsprechung des Senats ist geklärt, dass Ausgangspunkt der Zumessungserwägungen eine Dienstgradherabsetzung ist, wenn ein Soldat auf einer Dienstfahrt fahrlässig einen Verkehrsunfall verursacht, bei dem ein Mensch zu Tode kommt (vgl. BVerwG, Urteil vom 11. Dezember 2018 – 2 WD 12.18 – juris Rn. 34 ff.). Der Senat hat ferner entschieden, dass eine Dienstgradherabsetzung jedenfalls auch dann Ausgangspunkt der Zumessungserwägungen ist, wenn durch eine vorsätzliche außerdienstliche Straßenverkehrsgefährdung fahrlässig der Tod eines Menschen verursacht wurde (vgl. BVerwG, Urteil vom 25. August 2017 – 2 WD 2.17 – Buchholz 450.2 § 38 WDO 2002 Nr. 54 Rn. 52 ff.).

Zwar unterscheidet sich der vorliegende Fall von beiden Fallkonstellationen. Die Unterschiede sind aber nicht so gewichtig, dass ein anderer Ausgangspunkt der Zumessungserwägungen geboten wäre.

Im Unterschied zur erstgenannten Fallkonstellation steht hier ein außerdienstliches und nicht ein in Bezug auf die Zwecke des Disziplinarrechts bedeutsameres innerdienstliches Verhalten des Soldaten in Rede. Der Unterschied zur zweitgenannten Fallkonstellation besteht darin, dass die außerdienstliche Straßenverkehrsgefährdung des Soldaten, die zur fahrlässigen Tötung eines Menschen geführt hat, nicht vorsätzlich, sondern fahrlässig begangen wurde. Insoweit ist das Truppendienstgericht im Ansatz zutreffend davon ausgegangen, dass fahrlässige Pflichtverletzungen grundsätzlich milder zu ahnden sind als vorsätzliche (vgl. BVerwG, Urteil vom 11. Dezember 2018 – 2 WD 12.18 – juris Rn. 26).

Allerdings hat der Soldat innerhalb der Bandbreite fahrlässiger Straßenverkehrsgefährdungen grob fahrlässig und damit dicht an der Schwelle zu bedingt vorsätzlichem Verhalten gehandelt. Denn nach den bindenden Feststellungen des Truppendienstgerichts hatte er am Unfalltag etwas mehr als zwei Stunden nach dem Unfall eine Blutalkoholkonzentration von 1,24 Promille. Diese lag folglich im Unfallzeitpunkt selbst bei Zugrundelegung des günstigsten stündlichen Abbauwerts von 0,1 Promille (vgl. Fischer, StGB, 67. Aufl. 2020, § 316 Rn. 19) deutlich über dem Wert von 1,1 Promille, ab dem eine unwiderlegbare absolute Fahruntüchtigkeit angenommen wird (vgl. Fischer, StGB, 67. Aufl. 2020, § 316 Rn. 25). Ein derart hoher Alkoholisierungsgrad geht mit einem entsprechend hohen Unfallrisiko einher. Der Soldat, der auf der vorangegangenen Feier ganz erheblich dem Alkohol zugesprochen hatte, wusste um die zu sich genommenen Alkoholmengen und hätte daher erkennen müssen, dass seine Fahrtüchtigkeit voraussichtlich stark eingeschränkt sein würde. Er hatte wegen seines flauen Gefühls im Magen noch überlegt, ob er mit dem Auto nach Hause fahren könne oder nicht, und sich letztendlich dazu entschlossen, obwohl dafür keinerlei Notwendigkeit bestand. Dadurch hat er die im Verkehr erforderliche Sorgfalt in ungewöhnlich schwerem Maße verletzt und Verhaltenspflichten missachtet, die ganz naheliegen und in dieser Situation jedem hätten einleuchten müssen, nämlich die Fahrt zu verschieben, bis das erkennbar alkoholbedingte Unwohlsein abklang.

Nach Ansicht des Senats ist der durch eine alkoholbedingte Straßenverkehrsgefährdung herbeigeführte Tod eines Menschen von einem solchen disziplinaren Gewicht, dass es für den Ausgangspunkt der Zumessungserwägungen keinen ausschlaggebenden Unterschied macht, ob die Straßengefährdung vorsätzlich oder „nur“ grob fahrlässig begangen wurde. Der Senat bewertet das disziplinare Gewicht einer Verfehlung umso höher, je größer die dadurch drohenden Gefahren für ein bedeutsames Rechtsgut sind (vgl. BVerwG, Urteil vom 11. Dezember 2018 – 2 WD 12.18 – juris Rn. 36 m.w.N.). Die Tötung eines Menschen betrifft ein Rechtsgut von höchstem Verfassungsrang (Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG). Sie wird strafrechtlich selbst bei Fahrlässigkeit mit einer Freiheitsstrafe von bis zu fünf Jahren sanktioniert (§ 222 StGB). Die Straßenverkehrsgefährdung wird sowohl im Fall des § 315c Abs. 3 Nr. 1 StGB (sog. Vorsatz-Fahrlässigkeits-Kombination) als auch im Fall des § 315c Abs. 3 Nr. 2 StGB (sog. Fahrlässigkeits-Fahrlässigkeits-Kombination) gleichermaßen mit einer Freiheitsstrafe von bis zu zwei Jahren oder einer Geldstrafe geahndet (§ 315c Abs. 3 StGB). Dabei wird gerade eine Straßenverkehrsgefährdung in Form des Führens eines Fahrzeugs trotz Fahruntüchtigkeit infolge des Genusses alkoholischer Getränke als besonders verwerflich qualifiziert (§ 315c Abs. 1 Nr. 1a StGB), die bei vorsätzlicher Begehungsweise bereits im Versuchsstadium strafbar ist (§ 315c Abs. 2 StGB). Diesen strafgesetzlichen Wertungen entspricht es, im vorliegenden Fall ebenso wie im Fall einer fahrlässigen Herbeiführung des Todes eines Menschen durch eine vorsätzliche außerdienstliche Straßenverkehrsgefährdung von einer Dienstgradherabsetzung als Regelmaßnahme auszugehen.

Dieser Ausgangspunkt der Zumessungserwägungen steht wertungsmäßig in Einklang mit der ständigen Rechtsprechung des Senats, wonach eine vorsätzliche körperliche Misshandlung außerhalb des Dienstes, bei der die qualifizierenden Tatbestandsmerkmale der §§ 224 bis 227 StGB erfüllt sind, im Ausgangspunkt der Zumessungserwägungen ebenfalls mit einer Dienstgradherabsetzung geahndet wird (vgl. BVerwG, Urteil vom 25. August 2017 – 2 WD 2.17 – Buchholz 450.2 § 38 WDO 2002 Nr. 54 Rn. 52). Eine gefährliche Körperverletzung mittels eines gefährlichen Werkzeuges i.S.d. § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB liegt vor, wenn ein Fußgänger durch ein gezieltes Anfahren zu Fall gebracht wird und durch den Anstoß eine nicht unerhebliche Beeinträchtigung des körperlichen Wohlbefindens ausgelöst wird (vgl. BGH, Urteil vom 25. April 2019 – 4 StR 442/18 – NStZ 2019, 608). Der Umstand, dass der Soldat hier zwar auf der einen Seite nicht gezielt gehandelt hat, aber auf der anderen Seite mit der Tötung eines Menschen eine weitaus schwerere Folge als eine bloße erhebliche Beeinträchtigung des körperlichen Wohlbefindens herbeigeführt hat, rechtfertigt insoweit eine Wertungsparallele.

Auch kommt dem vorliegenden Fall im Bereich der Ahndung außerdienstlicher Verkehrsdelikte mit Blick auf die schwerwiegende Folge ein auf der ersten Stufe der Zumessungserwägungen zu erfassendes größeres disziplinares Gewicht zu als etwa einem außerdienstlichen vorsätzlichen Entfernen vom Unfallort (§ 142 StGB) oder einem ersten Wiederholungsfall einer außerdienstlichen fahrlässigen Trunkenheitsfahrt im Sinne des § 316 StGB, die im Regelfall (nur) mit einem Beförderungsverbot zu ahnden sind (vgl. BVerwG, Urteile vom 16. Oktober 2002 – 2 WD 23.01 u. a. – BVerwGE 117, 117 <121> m.w.N. und vom 17. Februar 1998 – 2 WD 23.97 – Buchholz 235.0 § 34 WDO Nr. 40 m.w.N.).

Volltextveröffentlichung der Entscheidung auf der Website des Bundesverwaltungsgerichts: 2 WD 1.19

BVerwG 2 WD 1.19
TDG Süd 4. Kammer – 28.11.2018 – AZ: TDG S 4 VL 2/18

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