Bundesverwaltungsgericht entscheidet über eine Berufung nach der Wehrdisziplinarordnung (WDO) – Beschluss des 2. Wehrdienstsenats vom 20. Januar 2022 – BVerwG 2 WD 2.21
Leitsätze:
Bei der wiederholten Ausübung körperlicher Gewalt in einer Ehe zwischen zwei Soldaten bildet die Herabsetzung im Dienstgrad den Ausgangspunkt der disziplinarrechtlichen Zumessungserwägungen.
Die Kameradschaftspflicht nach § 12 SG ist nicht darauf angelegt, in die eheliche Lebensgemeinschaft zwischen einer Soldatin und einem Soldaten hineinzuwirken.
Hervorzuhebende Auszüge aus der Entscheidung:
Anforderungen an die tatrichterliche Überzeugungsbildung bei „Aussage gegen Aussage“-Konstellation (Rn. 20)
Nach § 91 Abs. 1 Satz 1 WDO i.V.m. § 261 StPO hat das Gericht über das Ergebnis der Beweisaufnahme nach seiner freien, aus dem Inbegriff der Verhandlung geschöpften Überzeugung zu entscheiden. Die für die Überführung eines Angeschuldigten erforderliche persönliche Gewissheit des Tatrichters erfordert ein nach der Lebenserfahrung ausreichendes Maß an Sicherheit, demgegenüber vernünftige Zweifel nicht mehr aufkommen. Dabei können rein abstrakte oder theoretische Zweifel, für die es keine reale Grundlage gibt, das für die Verurteilung nach der Lebenserfahrung ausreichende Maß an Sicherheit nicht in Frage stellen. Der Beweis muss jedoch mit lückenlosen, nachvollziehbaren logischen Argumenten geführt sein (BVerwG, Urteil vom 4. Juli 2019 – 2 WD 20.18 – Buchholz 450.2 § 38 WDO 2002 Nr. 66 Rn. 31 m.w.N.). Dabei ist das Tatgericht nicht schon aufgrund des Zweifelsgrundsatzes an einer Verurteilung gehindert, wenn „Aussage gegen Aussage“ steht und außer der Aussage des einzigen Belastungszeugen keine weiteren belastenden Indizien vorliegen. Bei einer derartigen Sachlage muss allerdings die Aussage dieses Zeugen einer besonderen Glaubhaftigkeitsprüfung unterzogen werden. Das gilt insbesondere dann, wenn er in der Verhandlung seine Vorwürfe ganz oder teilweise nicht mehr aufrechterhält, der anfänglichen Schilderung weiterer Taten nicht gefolgt wird oder sich sogar die Unwahrheit eines Aussageteils herausstellt. Dann muss das Gericht regelmäßig auch außerhalb der Zeugenaussage liegende gewichtige Gründe ermitteln, die es ermöglichen, der Zeugenaussage dennoch zu glauben. Gelingt dies nicht, ist der Soldat nach dem Rechtsgrundsatz „in dubio pro reo“ freizusprechen (BVerwG, Urteil vom 10. September 2020 – 2 WD 3.20 – Buchholz 450.2 § 38 WDO 2002 Nr. 83 Rn. 17).
Verletzung der außerdienstlichen Wohlverhaltenspflicht und unter dem Gesichtspunkt der Einheit des Dienstvergehens (Rn. 28)
Er hat gegen die außerdienstliche Wohlverhaltenspflicht nach § 17 Abs. 2 Satz 2 SG a.F. verstoßen. Eine ernsthafte Beeinträchtigung der Achtung und des Vertrauens, die die dienstliche Stellung eines Soldaten erfordert, ist regelmäßig anzunehmen, wenn eine Straftat begangen wird, die zumindest mit einer Freiheitsstrafe im mittleren Bereich sanktioniert werden kann (BVerwG, Urteil vom 4. Juni 2020 – 2 WD 10.19 – Buchholz 450.2 § 38 WDO 2002 Nr. 77 Rn. 19). Die disziplinarische Relevanz des erwiesenen Verhaltens folgt bereits aus den vom früheren Soldaten begangenen Körperverletzungen, für die § 223 Abs. 1 StGB eine Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren vorsieht. Disziplinarisch relevant ist auch die fahrlässig begangene Trunkenheitsfahrt. Zwar droht § 316 Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 StGB dafür nur eine Freiheitsstrafe von bis zu einem Jahr an, so dass isoliert betrachtet eine Straftat im unteren Bereich vorliegt. Es handelt sich hierbei jedoch um eine Pflichtverletzung, die nach dem Grundsatz der Einheit des Dienstvergehens nicht isoliert von den übrigen Pflichtverletzungen betrachtet werden darf. Sie steht insbesondere im sachlichen und zeitlichen Zusammenhang mit der Körperverletzung gemäß Anschuldigungspunkt 2.b), weil der frühere Soldat unmittelbar nach dem gewalttätigen Übergriff auf seine Ehefrau alkoholisiert am Straßenverkehr teilnahm. Entsprechendes gilt für die im Zusammenhang mit der Körperverletzung gegenüber der Zeugin C. stehende Beleidigung des Zeugen M., für die § 185 StGB nur einen Strafrahmen von bis zu einem Jahr Freiheitsstrafe vorsieht.
Keine Verletzung der Kameradschaftspflicht bei Körperverletzungen gegen Ehefrau, die ebenfalls Soldat ist (Rn. 31)
Der frühere Soldat hat gegenüber seiner früheren Ehefrau auch nicht die Kameradschaftspflicht verletzt. Zwar ist die Pflicht zur Kameradschaft nach § 12 Satz 1 SG für den Zusammenhalt der Bundeswehr wesentlich. Sie gilt daher nicht nur innerhalb, sondern auch außerhalb des Dienstes (vgl. BVerwG, Urteil vom 7. Oktober 2021 – 2 WD 23.20 – juris Rn. 28). Sie gebietet gemäß § 12 Satz 2 SG, die Würde, die Ehre und die Rechte des Kameraden zu achten. Sie verbietet es, durch gewaltsame Übergriffe das Recht auf körperliche Unversehrtheit einer anderen Soldatin oder eines anderen Soldaten zu verletzen (BVerwG, Urteil vom 20. Januar 2022 – 2 WD 2.21 – juris Rn. 26). Allerdings ist die Kameradschaftspflicht des § 12 SG nicht darauf angelegt, in die eheliche Lebensgemeinschaft zwischen einer Soldatin und einem Soldaten hineinzuwirken und das Recht der ehelichen Lebensgemeinschaft gleichsam durch militärische Regeln zu überlagern. Die eheliche Lebensgemeinschaft im Sinne des § 1353 BGB beruht auf einer höchstpersönlichen Verbundenheit zwischen zwei Menschen, auf wechselseitiger Fürsorge, Verantwortung und Gleichberechtigung, so dass sich die Regeln für dieses Zusammenleben nicht nach militärischen Kategorien bestimmen. Daher ist der Anwendungsbereich des § 12 SG dahingehend zu reduzieren, dass die darin verankerte Kameradschaftspflicht im außerdienstlichen Bereich des ehelichen Zusammenlebens zwischen zwei Bundeswehrangehörigen nicht gilt. Demzufolge ist durch die Ausübung häuslicher Gewalt die Kameradschaftspflicht des § 12 SG nicht verletzt, auch wenn Gewalt den für die eheliche Lebensgemeinschaft maßgeblichen zivilrechtlichen Bestimmungen ebenfalls widerspricht. Hingegen ist festzustellen, dass der frühere Soldat durch den tätlichen Übergriff auf den Oberstabsgefreiten D. seine Kameradschaftspflicht aus § 12 SG verletzt hat.
Regelmaßnahme bei außerdienstlich begangenen Körperverletzungen (Rn. 33)
Bei außerdienstlich begangenen vorsätzlichen Körperverletzungen bildet den Ausgangspunkt der Zumessungserwägungen die Herabsetzung im Dienstgrad jedenfalls dann, wenn eine brutale körperliche Misshandlung im Sinne der §§ 224 bis 227 StGB vorliegt. Dasselbe gilt, wenn in der Verletzungshandlung in der Intensität der Schutzgutverletzung eine kriminelle Energie zum Ausdruck kommt, die mit derjenigen einer gefährlichen Körperverletzung vergleichbar ist und die wegen des Maßes an Disziplinlosigkeit in vergleichbarer Weise Zweifel an der Integrität eines Soldaten weckt. Davon ist insbesondere bei mehrfachen Wiederholungen einfacher Körperverletzungen im Sinne von § 223 Abs. 1 StGB auszugehen, wie sie dem früheren Soldaten zur Last gelegt werden (vgl. BVerwG, Urteil vom 4. März 2019 – 2 WD 22.18 – juris Rn. 20).
Berücksichtigungsumfang von strafrechtlichen Sanktionen im Disziplinarverfahren (Rn. 41)
Nicht mildernd einzustellen ist auch der Umstand, dass der frühere Soldat in drei Strafverfahren bereits Geldstrafen oder Geldzahlungen zum Ausgleich des Unrechts geleistet hat. Da Straf- und Disziplinarrecht unterschiedliche Zwecke verfolgen, findet eine Berücksichtigung strafrechtlicher Sanktionen nur im gesetzlich vorgesehenen Umfang statt. Bei früheren Soldaten kann eine Geldstrafe oder Sanktion nach § 153a StPO die Verhängung einer Disziplinarmaßnahme gemäß § 16 Abs. 1 WDO nur dann hindern, wenn das Dienstvergehen – das ist die Summe der zu beurteilenden Pflichtverletzungen – insgesamt lediglich eine einfache Disziplinarmaßnahme oder eine Kürzung des Ruhegehalts erfordert. Eine die disziplinare Maßnahmebemessung darüber hinaus limitierende Wirkung kommt dieser Vorschrift nicht zu (vgl. BVerwG, Urteil vom 28. September 2021 – 2 WD 11.21 – juris Rn. 48).
Volltext der Entscheidung auf der Website des Bundesverwaltungsgerichts: 2 WD 1.21
BVerwG 2 WD 1.21
TDG Nord 6. Kammer – 29.10.2020 – AZ: TDG N 6 VL 12/17