Bundesverwaltungsgericht entscheidet über eine Berufung nach der Wehrdisziplinarordnung (WDO) – Urteil des 2. Wehrdienstsenats vom 12. Mai 2022 – BVerwG 2 WD 10.21

Leitsatz:

Verhaltensweisen eines Soldaten, die den irrigen Eindruck einer hohen Identifikation mit der sogenannten Reichsbürgerbewegung vermitteln, sind im Ausgangspunkt der Zumessungserwägungen mit einer Dienstgradherabsetzung zu ahnden.

Hervorzuhebende Auszüge aus der Entscheidung:

Bindungswirkung eines verwaltungsgerichtlichen Urteils (Rn. 16)

Dies ergibt sich aus den tatsächlichen Feststellungen in den rechtskräftigen Urteilen des Verwaltungsgerichts Oldenburg vom 14. November 2018, die nach § 84 Abs. 2 WDO zugrunde gelegt werden können (vgl. BVerwG, Urteil vom 4. Februar 2021 – 2 WD 9.20 – BVerwGE 171, 280 Rn. 14), sowie aus den zum Gegenstand der Berufungshauptverhandlung gemachten Antragsformularen; im Übrigen wurden die objektiven Tatumstände vom Soldaten eingeräumt. Fest steht auch, dass er alle Angaben wissentlich und willentlich in die Vordrucke eintrug.

Anforderungen an die gem. § 8 SG geforderte Pflicht der Anerkennung und des Eintretens für die freiheitlich demokratische Grundordnung (Rn. 19 ff.)

Die unabhängig vom Dienstgrad bestehende Pflicht eines Soldaten nach § 8 SG verlangt von diesem zwar nicht, sich mit den Zielen oder einer bestimmten Politik der jeweiligen Bundesregierung oder der im Bundestag vertretenen Parteien zu identifizieren und sie zu unterstützen; sie verpflichtet ihn jedoch, die freiheitliche demokratische Grundordnung des Grundgesetzes zum einen anzuerkennen und zum anderen, durch sein gesamtes Verhalten für ihre Erhaltung einzutreten. Es handelt sich um eine Kernpflicht des Soldaten, deren Verletzung stets schwer wiegt (BVerwG, Urteile vom 23. März 2017 – 2 WD 16.16 – juris Rn. 67, 76 m. w. N. und vom 18. Juni 2020 – 2 WD 17.19 – BVerwGE 168, 323 Rn. 36).

Die Verpflichtung zum Eintreten für die freiheitliche demokratische Grundordnung nach § 8 Alt. 2 SG geht weiter als die Pflicht zu ihrer Anerkennung gemäß § 8 Alt. 1 SG. Ungeachtet der sich im Einzelnen aus der Eintretenspflicht ergebenden Anforderungen ist damit jedenfalls ein Verhalten unvereinbar, das in einer für die Reichsbürgerszene typischen Art und Weise bereits die rechtliche Existenz der Bundesrepublik Deutschland verneint und ihren Gesetzen den Geltungsanspruch von vornherein abspricht. Die rechtliche Existenz der Bundesrepublik Deutschland zu leugnen und zugleich für deren Grundordnung einzutreten, ist unmöglich. Ein Soldat negiert mit einem solchen Verhalten auch die Grundlagen seines eigenen Soldatenverhältnisses (vgl. BVerwG, Urteil vom 2. Dezember 2021 – 2 A 7.21 – IÖD 2022, 86 <90>).

Denn die politische Treuepflicht verlangt von jedem Soldaten die Bereitschaft, sich zu der Idee des Staates, dem er dient, zu bekennen und aktiv für ihn einzutreten (vgl. BVerwG, Urteil vom 23. März 2017 – 2 WD 16.16 – juris Rn. 67). Ein Soldat muss sich daher nicht nur innerlich, sondern auch äußerlich von Gruppen und Bestrebungen distanzieren, die den Staat, seine verfassungsmäßigen Organe und die geltende Verfassungsordnung angreifen, bekämpfen und diffamieren. Er darf auch nicht entgegen einer inneren verfassungstreuen Gesinnung aus Übermut, Provokationsabsicht oder anderen Gründen nach außen hin verfassungsfeindliche Bestrebungen unterstützen und sich objektiv betrachtet illoyal verhalten (vgl. BVerwG, Urteil vom 18. Juni 2020 – 2 WD 17.19 – BVerwGE 168, 323 Rn. 39).

Regelmaßnahme bei (irrigen) objektiv verfassungsfeindlichen Verhaltensweisen und Kundgabeformen (Rn. 44)

Nach der Rechtsprechung des Senats ist bei objektiv verfassungsfeindlichen Verhaltensweisen und Kundgabeformen, die Ausdruck einer tatsächlich verfassungsfeindlichen Gesinnung sind, Ausgangspunkt der Zumessungserwägungen die Höchstmaßnahme (vgl. BVerwG, Urteil vom 18. Juni 2020 – 2 WD 17.19 – BVerwGE 168, 323 Rn. 44). Demgegenüber ist bei Verhaltensweisen, die nicht von einer verfassungsfeindlichen Gesinnung getragen wurden, aber den irrigen Eindruck einer hohen Identifikation mit verfassungsfeindlichem Gedankengut vermitteln, die Dienstgradherabsetzung zum Ausgangspunkt der Zumessungserwägungen zu machen (vgl. BVerwG, Urteile vom 18. Juni 2020 – 2 WD 17.19 – BVerwGE 168, 323 Rn. 46 und vom 14. Januar 2021 – 2 WD 7.20 – Buchholz 450.2 § 38 WDO 2002 Nr. 89 Rn. 35). Dies gilt auch für Verhaltensweisen, die – wie hier – den irrigen Eindruck einer hohen Identifikation mit der sogenannten Reichsbürgerbewegung vermitteln, weil deren verbindendes Element – wie aufgezeigt – die fundamentale Ablehnung der Legitimität und Souveränität der Bundesrepublik Deutschland sowie der bestehenden Rechtsordnung ist.

Volltext der Entscheidung auf der Website des Bundesverwaltungsgerichts: 2 WD 10.21

BVerwG 2 WD 10.21
TDG Nord 7. Kammer – 18.02.2021 – AZ: N 7 VL 81/19

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