Bundesverwaltungsgericht entscheidet über eine Berufung nach der Wehrdisziplinarordnung (WDO) – Beschluss des 2. Wehrdienstsenats vom 07. März 2019 – BVerwG 2 WD 11.18

Leitsätze:

1.  Bei einem Strafurteil, das als Folge eines auf das Strafmaß beschränkten Einspruchs ergeht, entfalten die zugrunde gelegten Tatsachenfeststellungen des Strafbefehls keine Bindungswirkung nach § 84 Abs. 1 Satz 1 WDO.

2. Die in einem Strafbefehl getroffenen Tatsachenfeststellungen können nach § 84 Abs. 2 WDO vom Wehrdienstgericht zugrunde gelegt werden, sofern die Beteiligten gegen sie nicht substantiierte Zweifel geltend gemacht haben (Änderung der Senatsrechtsprechung).

3. Begeht ein Reserveoffizier nach dem Ausscheiden aus dem Wehrdienst vorsätzlich und wiederholt Steuerhinterziehungen im fünf- oder sechsstelligen Betragsbereich begründet dies regelmäßig ein unwürdiges Verhalten, das seine Wiederverwendung im bisherigen Dienstgrad ausschließt.

Hervorzuhebende Auszüge aus der Entscheidung

Keine Bindungswirkung nach § 84 I WDO der Tatsachenfeststellungen eines Strafbefehls (Rn. 12)

Zwar liegen keine nach § 84 Abs. 1 Satz 1 WDO bindenden Tatsachenfeststellungen eines rechtskräftigen Strafurteils vor. Denn der frühere Soldat hat seinen Einspruch gegen den Strafbefehl wegen Steuerhinterziehung auf das Strafmaß beschränkt (§ 410 Abs. 2 StPO), sodass die Tatsachenfeststellungen im Urteil des Amtsgerichts C vom 20. September 2013 nicht auf einer richterlichen Beweiswürdigung basieren. Somit beruhen die Tatsachenfeststellungen des Urteils – wie bereits im Rahmen des § 57 Abs. 1 BDG geklärt ist – nicht auf der besonderen Richtigkeitsgewähr einer prozessualen Überprüfung und tatrichterlichen Beweiswürdigung (vgl. BVerwG, Urteil vom 21. April 2016 – 2 C 4.15 – BVerwGE 155, 6 Rn. 68 f.).

Bindung an Tatsachenfeststellungen eines Strafbefehls nach § 84 II WDO als anderes gesetzlich geordnetes Verfahren (Rn. 13)

Nach § 84 Abs. 2 WDO können aber auch die in einem anderen gesetzlich geordneten Verfahren getroffenen tatsächlichen Feststellungen, die an sich nicht bindend sind, der Entscheidung im gerichtlichen Disziplinarverfahren ohne erneute Prüfung zugrunde gelegt werden. Wie das Bundesverwaltungsgericht zu dem wortgleichen § 57 Abs. 2 BDG bereits entschieden hat, zählt das Strafbefehlsverfahren zu diesen gesetzlich geordneten Verfahren, sodass die Disziplinargerichte im Rahmen des ihnen zustehenden prozessualen Ermessens sich auf die darin enthaltenen tatsächlichen Feststellungen stützen dürfen (BVerwG, Beschluss vom 26. September 2014 – 2 B 14.14 – Buchholz 235.1 § 57 BDG Nr. 5 Rn. 10 m.w.N.). Soweit der Senat in einer älteren Entscheidung (BVerwG, Urteil vom 24. Februar 1981 – 2 WD 73.80 – S. 5) das Strafbefehlsverfahren nicht als anderes gesetzlich geordnetes Verfahren im Sinne des § 84 Abs. 2 WDO angesehen hat, hält er daran nicht mehr fest (vgl. auch Fleig, ZBR 2000, 121 <124>). Das von § 84 Abs. 2 WDO eröffnete gerichtliche Ermessen ist allerdings beschränkt und hat sich am Zweck der Ermächtigung zu orientieren, divergierende Entscheidungen von staatlichen Rechtsanwendungsorganen, insbesondere von Straf- und Disziplinargerichten, über dieselbe Tatsachengrundlage nach Möglichkeit zu vermeiden. Die Möglichkeit der Übernahme von Tatsachenfeststellungen ohne weitere Beweiserhebung endet, wenn die Indizwirkung des Strafbefehls entkräftet wird. Dafür erforderlich ist jedoch, dass die Tatsachenfeststellungen substantiiert in Zweifel gezogen werden. Ein schlichtes Bestreiten genügt nicht (BVerwG, Beschlüsse vom 15. März 2013 – 2 B 22.12 – NVwZ-RR 2013, 557 Rn. 14 und vom 26. September 2014 – 2 B 14.14 – Buchholz 235.1 § 57 BDG Nr. 5 Rn. 10).

Regelmaßnahme bei Steuerhinterziehung (Rn. 29)

Fügt ein Staatsdiener dem Staat insbesondere durch eine Steuerhinterziehung einen besonders hohen Schaden zu, ist Ausgangspunkt der Zumessungserwägungen grundsätzlich die Dienstgradherabsetzung. Eine Steuerhinterziehung stellt im Hinblick auf den dem Staat verursachten Schaden ein schweres Wirtschaftsdelikt dar. Es handelt sich nicht um ein „Kavaliersdelikt“, sondern um eine regelmäßig schwerwiegende Verfehlung. Sie ist dadurch gekennzeichnet, dass sich der Bedienstete durch strafbares Verhalten unter Schädigung des Staates – und damit wie vorliegend des eigenen Dienstherrn – persönlich unberechtigt Steuervorteile verschafft, obwohl er öffentliche Aufgaben wahrzunehmen hat und durch Steuermittel alimentiert wird. In Fällen der Steuerhinterziehung durch aktive Bedienstete ist demzufolge der Ausspruch einer Dienstgradherabsetzung indiziert, wenn der Umfang der hinterzogenen Steuern besonders hoch ist, er sich im fünf- oder sechsstelligen Betragsbereich bewegt, oder wenn mit dem Fehlverhalten zusätzliche schwerwiegende Straftatbestände oder andere nachteilige Umstände von erheblichem Eigengewicht verbunden sind (vgl. BVerwG, Urteil vom 24. November 2015 – 2 WD 15.14 – juris Rn. 74).

Voraussetzung für die Ahndung eines Dienstvergehens eines früheren Soldaten (Rn. 28, 31)

Ob das Verhalten eines früheren Offiziers seine in § 17 Abs. 3 SG normierte Pflicht verletzt, der Achtung und dem Vertrauen gerecht zu werden, die für seine Wiederverwendung in seinem Dienstgrad erforderlich sind, hängt davon ab, ob das festgestellte Verhalten objektiv geeignet ist, ihn für eine Wiederverwendung in seinem Dienstgrad zu disqualifizieren, somit bei einem entsprechenden Verhalten eines aktiven Offiziers die Dienstgradherabsetzung zum Ausgangspunkt der Zumessungserwägungen zu machen wäre.
(…)

Der schuldhafte Pflichtenverstoß des früheren Soldaten gilt gemäß § 23 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 SG jedoch nur dann als Dienstvergehen, wenn er durch sein unwürdiges Verhalten nicht der Achtung und dem Vertrauen gerecht geworden ist, die für seine Wiederverwendung als Vorgesetzter erforderlich sind. Das Erfordernis des unwürdigen Verhaltens, das zu der Pflichtverletzung nach § 17 Abs. 3 SG hinzutreten muss, hebt auf die Fehlhaltung ab, die sich in dem Gesamtverhalten des früheren Soldaten ausdrückt. Unter einem „unwürdigen Verhalten“ ist ein „Fehlverhalten von besonderer Intensität, ein Sichhinwegsetzen über die unter Soldaten und von der Gesellschaft anerkannten Mindestanforderungen an eine auf Anstand, Sitte und Ehre bedachte Verhaltensweise eines Reservisten mit Vorgesetztenrang“ zu verstehen. Das ist insbesondere bei einem mehrfachen kriminellen, also gegen das Strafrecht verstoßenden Verhalten gegeben (BVerwG, Urteil vom 10. Februar 2016 – 2 WD 4.15 – BVerwGE 154, 163 Rn. 70).

Bemessung der Disziplinarmaßnahme bei Reserveoffizieren (Rn. 32)

Bei der Bemessung der Disziplinarmaßnahme ist von der Zwecksetzung des § 23 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 SG auszugehen, ein Korps von achtungs- und vertrauenswürdigen Reserveoffizieren und Reserveunteroffizieren zu erhalten, die zur Wiederverwendung in einem ihrer militärischen Vorbildung und ihrem militärischen Rang entsprechenden Dienstgrad geeignet sind, oder umgekehrt, untragbar gewordene Vorgesetzte ihrer Vorgesetztenstellung ganz oder teilweise zu entkleiden (BVerwG, Urteil vom 10. Februar 2016 – 2 WD 4.15 – BVerwGE 154, 163 Rn. 71).

Veröffentlichung der Entscheidung auf der Seite des Bundesverwaltungsgerichts: 2 WD 11.18

BVerwG 2 WD 11.18
TDG Nord 6. Kammer – 14.12.2017 – AZ: TDG N 6 VL 34/15

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