Bundesverwaltungsgericht entscheidet über eine Berufung nach der Wehrdisziplinarordnung (WDO) – Beschluss des 2. Wehrdienstsenats vom 28. September 2021 – BVerwG 2 WD 11.21

Leitsatz:

Versucht ein Soldat jemanden durch Androhung von Gewalt gegen Leib und Leben zu nötigen, ist die Herabsetzung im Dienstgrad Ausgangspunkt der Zumessungserwägungen.

Hervorzuhebende Auszüge aus der Entscheidung:

Regelmaßnahme bei isolierter Nötigung im Sinne des § 240 I StGB (Rn. 33 ff.)

Eine Senatsrechtsprechung zum Ausgangspunkt der Zumessungserwägungen für Fälle, in denen ausschließlich eine außerdienstliche, in strafrechtlicher Hinsicht als einfache (versuchte) Nötigung im Sinne des § 240 Abs. 1 StGB zu qualifizierende Handlung im Raum steht, besteht nicht. In den vom Senat bislang entschiedenen Fällen erfüllten Nötigungshandlungen regelmäßig zusätzlich andere Straftatbestände, die einen höheren Strafrahmen aufwiesen und damit den Ausgangspunkt der Zumessungserwägungen bestimmten (z.B. sexuelle Nötigung: BVerwG, Urteil vom 27. Juli 2010 – 2 WD 5.09 – Buchholz 450.2 § 38 WDO 2002 Nr. 30 Rn. 28, Nötigung im Straßenverkehr: BVerwG, Urteil vom 18. August 1992 – 2 WD 9.92 – BVerwGE 93, 284 <285>; Körperverletzungen: BVerwG, Urteil vom 3. August 2016 – 2 WD 20.15 – NZWehrr 2017, 73 ff.). Dem Gebot kohärenter Rechtsprechung entspricht es, eine in der Androhung von Gewalt gegen Leib und Leben bestehende Nötigung disziplinarisch regelmäßig mit einer Dienstgradherabsetzung gemäß § 58 Abs. 1 Nr. 4 in Verbindung mit § 62 Abs. 1 WDO zu ahnden (vgl. auch BVerwG, Beschluss vom 27. Juli 2020 – 2 WDB 5.20 – Buchholz 450.2 § 126 WDO 2002 Nr. 12 juris Rn. 39).

Entscheidungsleitend ist dabei, dass bei einer außerdienstlichen Körperverletzung, bei der die qualifizierenden Tatbestandsmerkmale nach §§ 224 – 227 StGB erfüllt sind, die Dienstgradherabsetzung den Ausgangspunkt der Zumessungserwägungen bildet. Dass es sich dabei um ein außerdienstliches Fehlverhalten handelt, rechtfertigt keine mildere Regelmaßnahme. Die Unfähigkeit, im privaten Bereich die Grenzen rechtmäßiger Anwendung von körperlicher Gewalt einzuhalten, hat auch Auswirkungen auf das Vertrauen des Dienstherrn in die dienstliche Zuverlässigkeit des Soldaten. Soldaten üben für den Dienstherrn das staatliche Gewaltmonopol in der Verteidigung des Staates und seiner Bürger nach außen hin aus. Hierbei muss der Dienstherr darauf vertrauen können, dass sie besonnen und unter Beachtung rechtlicher Grenzen vorgehen. Dieses Vertrauen ist beeinträchtigt, wenn ein Soldat im privaten Bereich Gewalt als Mittel der Konfliktlösung einsetzt (BVerwG, Urteil vom 7. März 2013 – 2 WD 28.12 – juris Rn. 50). Dabei bildet selbst bei einer nur einfachen Körperverletzung eine Dienstgradherabsetzung dann den Ausgangspunkt der Zumessungserwägungen, wenn sie wiederholt begangen wurde (BVerwG, Urteil vom 14. Mai 2019 – 2 WD 24.18 – Buchholz 450.2 § 38 WDO 2002 Nr. 64 Rn. 20 m.w.N.). (…)

Dass die Nötigungen im Versuchsstadium stecken geblieben sind, berührt die kategoriale Zuordnung zur ersten Zumessungsstufe nicht. Denn im Wehrdisziplinarrecht steht nicht die Tat als solche im Vordergrund, sondern die durch sie zum Ausdruck gekommenen Charakter- und Persönlichkeitsmängel (BVerwG, Urteil vom 18. Juni 2020 – 2 WD 17.19 – BVerwGE 168, 323 Rn. 45). Deshalb können Gesichtspunkte der Persönlichkeit oder besondere Vertrauensbeeinträchtigungen eine hohe Disziplinarmaßnahme selbst dann rechtfertigen, wenn dies nach der Schwere des Dienstvergehens für sich genommen nicht indiziert ist. Dem entspricht, dass die Persönlichkeit des Soldaten in § 38 Abs. 1 WDO neben der Eigenart und Schwere des Dienstvergehens einen gleichgewichtigen und keinen nachrangigen Bemessungsparameter bildet (BVerwG, Urteil vom 28. September 2018 – 2 WD 14.17 – Buchholz 449 § 11 SG Nr. 3 Rn. 101) und der Versuch einer Straftat bereits ein Dienstvergehen darstellt, die einen Soldaten disziplinarisch grundsätzlich genauso wie eine vollendete Straftat belastet. Etwas anderes kann nur gelten, wenn der Nichteintritt des Taterfolges – anders als hier – auf zurechenbaren Handeln des Soldaten beruhte (BVerwG, Urteil vom 21. Juni 2011 – 2 WD 10.10 – Buchholz 450.2 § 58 WDO 2002 Nr. 8 Rn. 24; vgl. auch Scherer/Alff/Poretschkin, Soldatengesetz, Kommentar, 10. Aufl. 2018, § 23 Rn. 1b; Dau/Schütz, WDO, Kommentar, 7. Aufl. 2017, Vorbem. zu § 15 Rn. 13; Walz/Eichen/Sohm, Soldatengesetz, Kommentar, 4. Aufl. 2021, § 23 Rn. 23).

Lösung von strafgerichtlichen Feststellungen (Rn. 27)

Die Lösung von den tatsächlichen Feststellungen eines sachgleichen Strafurteils ist im Rahmen des § 84 Abs. 1 WDO auf Fälle beschränkt, in denen das Wehrdienstgericht ansonsten gezwungen wäre, auf der Grundlage offenkundig unzureichender oder inzwischen als unzutreffend erkannter Feststellungen zu entscheiden. Erhebliche Zweifel an der Richtigkeit der strafgerichtlichen Feststellungen bestehen dann, wenn die strafgerichtlichen Feststellungen in sich widersprüchlich oder sonst unschlüssig sind, im Widerspruch zu den Denkgesetzen oder allgemeinen Erfahrungssätzen stehen oder aus sonstigen – vergleichbar gewichtigen – Gründen offenkundig unzureichend sind (vgl. BVerwG, Urteil vom 4. März 2021 – 2 WD 11.20 – NVwZ-RR 2021, 348 Rn. 38 ff. m.w.N.).

Keine Verfahrenseinstellung bei überlanger Verfahrensdauer bei drohender Höchstmaßnahme (Rn. 24)

Zum einen kommt eine Verfahrenseinstellung wegen überlanger Verfahrensdauer nicht in Betracht, wenn – wie noch darzulegen – die disziplinarische Höchstmaßnahme geboten ist (BVerwG, Urteil vom 4. März 2021 – 2 WD 11.20 – Rn. 20 m.w.N.). Zum anderen erlangt sie nur bei extremer Dauer Bedeutung. Davon ist auszugehen, wenn unter Berücksichtigung des bisherigen und des noch zu erwartenden Verfahrensverlaufs, des noch im Raum stehenden Vorwurfs und gegebenenfalls besonderer persönlicher Umstände des Beschuldigten dessen weitere Belastung mit dem Verfahren selbst unter der Voraussetzung, dass sich die Tatvorwürfe später bestätigen, nicht mehr verhältnismäßig wäre (BVerwG, Beschluss vom 1. September 2017 – 2 WDB 4.17 – Buchholz 450.2 § 108 WDO Nr. 2 Rn. 10).

Volltext der Entscheidung auf der Website des Bundesverwaltungsgerichts: 2 WD 11.21

BVerwG 2 WD 11.21
TDG Nord 2. Kammer – 12.01.2021 – AZ: TDG N 2 VL 34/15

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