Bundesverwaltungsgericht entscheidet über eine Berufung nach der Wehrdisziplinarordnung (WDO) – Beschluss des 2. Wehrdienstsenats vom 14. Mai 2020 – BVerwG 2 WD 12.19

Leitsatz:

Eine nicht gerechtfertigte Überlänge des wehrdisziplinarrechtlichen Vorermittlungsverfahrens ist maßnahmemildernd zu berücksichtigen.

Hervorzuhebende Auszüge aus der Entscheidung:

Regelmaßnahme bei vorsätzlicher Schädigung des Vermögens des Dienstherrn (Rn. 12)

Auf der ersten Stufe bestimmt er zwecks Gleichbehandlung vergleichbarer Fälle und im Interesse der Rechtssicherheit und Voraussehbarkeit der Disziplinarmaßnahme eine Regelmaßnahme für die betreffende Fallgruppe als Ausgangspunkt der Zumessungserwägungen. Dies ist bei vorsätzlicher Schädigung des Dienstherrn bzw. Gefährdung seines Vermögens durch einen Trennungsgeldbetrug eine Dienstgradherabsetzung (vgl. BVerwG, Urteil vom 7. Dezember 2017 – 2 WD 5.17 – Buchholz 450.2 § 58 WDO 2002 Nr. 12 Rn. 70 m.w.N.).

Verringerung der Disziplinarmaßnahme wegen überlangem Disziplinarverfahren (Rn. 25)

Bei pflichtenmahnenden Disziplinarmaßnahmen – wie einer Dienstgradherabsetzung – stellt ein gegen Art. 6 EMRK und Art. 19 Abs. 4 GG, Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG verstoßendes überlanges Disziplinarverfahren einen Milderungsgrund dar. Denn das Verfahren als solches wirkt bereits belastend und ist deshalb mit pflichtenmahnenden Nachteilen verbunden, die nach dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz das Sanktionsbedürfnis mindern (vgl. BVerwG, Urteil vom 16. Januar 2020 – 2 WD 2.19 – juris Rn. 39 m.w.N.). Die Verfahrensdauer bemisst sich nicht allein nach der Dauer des gerichtlichen Verfahrens. Vielmehr sind auch Zeiten eines gesetzlich vorgeschriebenen behördlichen Vorschaltverfahrens zu berücksichtigen (vgl. EGMR, Urteile vom 28. Juni 1978 – 6232/73 – NJW 1979, 477 Rn. 98 und vom 16. Juli 2009 – 8453/04 – NVwZ 2010, 1015 Rn. 45; BVerwG, Urteil vom 18. Juli 2019 – 2 WD 19.18 – juris Rn. 45). Die Angemessenheit der Verfahrensdauer richtet sich nach den Umständen des Einzelfalls, insbesondere nach der Schwierigkeit und Bedeutung des Verfahrens und nach dem Verhalten der Verfahrensbeteiligten und Dritter (vgl. § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG). Verfahrensverzögerungen, die ein Beteiligter selbst zu verantworten hat, begründen in der Regel keine unangemessene Verfahrensdauer. Umgekehrt kann sich der Staat nicht auf solche Umstände berufen, die in seinem Verantwortungsbereich liegen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 22. März 2018 – 2 BvR 289/10 – Vz 10/16 – juris Rn. 9 m.w.N.).

Einleitungspflicht der Einleitungsbehörde (Rn. 26)

Die Einleitungsbehörde trifft im Wehrdisziplinarrecht eine Einleitungspflicht, sobald zureichende Anhaltspunkte vorliegen, die den Verdacht eines schwerwiegenden Dienstvergehens rechtfertigen. Werden dem Wehrdisziplinaranwalt Tatsachen bekannt, welche die Verhängung einer gerichtlichen Disziplinarmaßnahme erwarten lassen, nimmt er nach § 92 Abs. 1 Satz 2 WDO Vorermittlungen auf und führt die Entscheidung der Einleitungsbehörde herbei. Maßgeblich für die Entscheidung über die Einleitung des Verfahrens ist auch bei § 92 Abs. 3 WDO, ob zureichende Anhaltspunkte für den Anfangsverdacht eines schwerwiegenden Dienstvergehens vorliegen. Ist das der Fall, dürfen Einleitungsbehörde und Wehrdisziplinaranwaltschaft die Vorermittlungen nicht weiterführen, bis der Sachverhalt anschuldigungsreif aufgeklärt ist. Vielmehr haben sie das Verfahren bei Vorliegen (nur) eines Anfangsverdachts einzuleiten und danach die weiteren Ermittlungen der Wehrdisziplinaranwaltschaft zugunsten und zulasten des Soldaten zu veranlassen. Andernfalls würde die gesetzliche Zweiteilung zwischen Einleitung des Verfahrens und Anschuldigung ebenso umgangen wie die verfahrensmäßige Sicherung einer beschleunigten Durchführung des vorgerichtlichen Verfahrens in § 101 Abs. 1 WDO. Dabei unterliegt auch die Prüfung, ob ein hinreichender Anfangsverdacht vorliegt, dem Beschleunigungsgebot des § 17 Abs. 1 WDO (vgl. BVerwG, Urteil vom 18. Juli 2019 – 2 WD 19.18 – juris Rn. 43).

Reinigungsverfahren auf Antrag des einem Dienstvergehen beschuldigten Soldaten (Rn. 28)

Der Soldat hat in dieser Phase auch nicht die Möglichkeit gehabt, durch einen Rechtsbehelf auf eine Beschleunigung des Verfahrens hinzuwirken. Zwar kann nach § 95 Abs. 1 Satz 1 WDO jeder, gegen den eine gerichtliche Disziplinarmaßnahme verhängt werden kann, die Einleitung eines gerichtlichen Disziplinarverfahrens gegen sich beantragen, um sich von dem Verdacht eines Dienstvergehens zu reinigen. Die Einleitungsbehörde ist auf einen solchen Antrag hin nur verpflichtet, Vorermittlungen durchzuführen; sie entscheidet im weiteren Verlauf frei darüber, ob sie von einer Disziplinarmaßnahme absieht, eine einfache Disziplinarmaßnahme verhängt oder ein gerichtliches Disziplinarverfahren einleiten will (vgl. Dau/Schütz, WDO, 7. Aufl. 2017, § 95 Rn. 1). Eine Beschleunigung kann mit einem solchen Antrag nur verbunden sein, wenn die Einleitungsbehörde den Vorwurf nicht kennt oder noch keine Vorermittlungen aufgenommen hat (vgl. BVerfG, Beschluss vom 12. Dezember 2007 – 1 BvR 2536/07 – BVerfGK 13, 58 Rn. 16). Sind – wie hier – bereits Vorermittlungen aufgenommen, bewirkt der Antrag nach § 95 Abs. 1 Satz 1 WDO nicht, dass die Entscheidung über die Einleitung des Disziplinarverfahrens entfällt oder binnen einer bestimmten Frist ergehen muss. Unabhängig davon, ob nach Beginn der Vorermittlungen ein Antrag des Soldaten nach § 95 Abs. 1 Satz 1 WDO ohnehin mangels Rechtsschutzbedürfnisses unzulässig gewesen wäre (vgl. Dau/Schütz, WDO, 7. Aufl. 2017, § 95 Rn. 1 m.w.N.), hätte er somit nicht zu einer Beschleunigung des Verfahrens geführt.

Antrag des Soldaten nach § 101 I WDO (Rn. 29)

Der sich anschließende Zeitraum zwischen der Zustellung der Einleitungsverfügung an den Soldaten und dem Eingang der Anschuldigungsschrift beim Truppendienstgericht ist nicht in die Betrachtung der Verfahrensdauer einzubeziehen, weil der Soldat in diesem Zeitraum durch einen Antrag nach § 101 Abs. 1 WDO eine Beschleunigung des Verfahrens hätte bewirken können (vgl. BVerwG, Urteil vom 18. Juli 2019 – 2 WD 19.18 – juris Rn. 42).

Volltext der Entscheidung auf der Website des Bundesverwaltungsgerichts: 2 WD 12.19

BVerwG 2 WD 12.19
TDG Süd 4. Kammer – 21.11.2018 – AZ: TDG S 4 VL 18/17

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