Bundesverwaltungsgericht entscheidet über eine Berufung nach der Wehrdisziplinarordnung (WDO) – Beschluss des 2. Wehrdienstsenats vom 28. März 2019 – BVerwG 2 WD 13.18

Leitsatz:

Erschleicht ein Soldat durch unwahre Angaben und Vorlage einer unechten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung zehn Urlaubstage, ist die Herabsetzung im Dienstgrad Ausgangspunkt der Zumessungserwägungen.

Hervorzuhebende Auszüge aus der Entscheidung:

Anforderungen an die freie richterliche Beweiswürdigung (Rn. 12)

Nach § 91 Abs. 1 Satz 1 WDO in Verbindung mit § 261 StPO hat das Gericht über das Ergebnis der Beweisaufnahme nach seiner freien, aus dem Inbegriff der Verhandlung geschöpften Überzeugung zu entscheiden. Dabei kommt es allein darauf an, ob der Tatrichter die persönliche Überzeugung von einem bestimmten Sachverhalt erlangt hat oder nicht. Der Begriff der Überzeugung schließt die Möglichkeit eines anderen, auch gegenteiligen Geschehensablaufes nicht aus; denn im Bereich der vom Tatrichter zu würdigenden Tatsachen ist der menschlichen Erkenntnis ein absolut sicheres Wissen über den Tathergang verschlossen. Die für die Überführung eines Angeschuldigten erforderliche persönliche Gewissheit des Tatrichters erfordert ein nach der Lebenserfahrung ausreichendes Maß an Sicherheit, demgegenüber vernünftige Zweifel nicht mehr aufkommen. Dabei ist – insbesondere bei einem Indizienbeweis – keine „mathematische“ Gewissheit erforderlich. Darum können rein abstrakte oder theoretische Zweifel, für die es keine reale Grundlage gibt, das für die Verurteilung nach der Lebenserfahrung ausreichende Maß an Sicherheit nicht in Frage stellen. Der Beweis muss jedoch mit lückenlosen, nachvollziehbaren logischen Argumenten geführt sein (stRspr, vgl. BVerwG, Urteil vom 30. Januar 2017 – 2 WD 1.16 – juris Rn. 38 f. m.w.N. und BGH, Urteil vom 8. Januar 1988 – 2 StR 551/87 – NJW 1988, 3273 <3273 f.>).

Anforderungen an die Wahrheitspflicht nach § 13 Abs. 1 SG (Rn. 20)

Die Wahrheitspflicht ist von besonderem Gewicht, denn sie ist für die militärische Verwendungsfähigkeit eines Soldaten essenziell. Die Bedeutung der Wahrheitspflicht kommt schon darin zum Ausdruck, dass sie – anders als z.B. bei Beamten – für Soldaten gesetzlich ausdrücklich geregelt ist. Eine militärische Einheit kann nicht ordnungsgemäß geführt werden, wenn sich die Führung und die Vorgesetzten nicht auf die Richtigkeit abgegebener Meldungen, Erklärungen und Aussagen Untergebener verlassen können. Wer als Soldat in dienstlichen Äußerungen und Erklärungen vorsätzlich unrichtige Angaben macht, beschädigt seine persönliche Integrität und militärische Verwendungsfähigkeit. Dies gilt vor allem dann, wenn die Verletzung der Wahrheitspflicht – wie hier – dazu dient, sich eine berufliche oder finanzielle Besserstellung zu erschleichen (BVerwG, Urteile vom 11. Juni 2015 – 2 WD 12.14 – juris Rn. 40 und vom 27. März 2018 – 2 WD 10.17 – juris Rn. 23, 40).

Verletzte Dienstpflichten bei Vorlage einer gefälschten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (Rn. 21)

Die Vorlage einer unechten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung stellt zugleich eine vorsätzliche Verletzung der innerdienstlichen Wohlverhaltenspflicht aus § 17 Abs. 2 Satz 1 SG und der Pflicht zum treuen Dienen (§ 7 SG) unter dem Teilaspekt der Loyalität gegenüber der Rechtsordnung dar. Denn der Gebrauch einer unechten Urkunde zur Täuschung im Rechtsverkehr ist nach § 267 Abs. 1 StGB strafbar. Der vorsätzliche Einsatz einer unechten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung zum Zwecke der Täuschung des Truppenarztes und der Disziplinarvorgesetzten bei der Krankschreibung und letztlich zur Erschleichung von zehn arbeitsfreien Tagen offenbart eine erhebliche kriminelle Energie. Der Gebrauch unechter Urkunden im Dienstverhältnis gegenüber dem Dienstherrn ist zugleich ein besonderer Vertrauensbruch und eine schwerwiegende Treuwidrigkeit. Durch dieses Verhalten ist die Soldatin der Achtung und dem Vertrauen nicht gerecht geworden, die ihr Dienst erfordert.

Regelmaßnahme für das Erschleichen von zehn zusätzlichen Urlaubstagen durch Vorlage einer gefälschten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (Rn. 24)

Auf der ersten Stufe bestimmt er im Hinblick auf das Gebot der Gleichbehandlung vergleichbarer Fälle sowie im Interesse der rechtsstaatlich gebotenen Rechtssicherheit und Voraussehbarkeit der Disziplinarmaßnahme eine Regelmaßnahme für die in Rede stehende Fallgruppe als „Ausgangspunkt der Zumessungserwägungen“. Danach ist beim Erschleichen von zehn zusätzlichen Urlaubstagen durch falsche Angaben und Vorlage einer unechten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung grundsätzlich eine Herabsetzung im Dienstgrad angemessen. Dies folgt zum einen daraus, dass der Senat in einer älteren Entscheidung bei unwahren Angaben und Vorlage einer gefälschten Krankenhausbescheinigung zum Erschleichen von fünf Urlaubstagen eine Dienstgradherabsetzung als angemessen angesehen hat (BVerwG, Urteil vom 28.11.1991 – 2 WD 24.91 – jurion Rn. 24). Zum anderen ist in den Blick zu nehmen, dass auch beim einmaligen eigenmächtigen Fernbleiben vom Dienst für einen Zeitraum von zehn Tagen eine Dienstgradherabsetzung den Ausgangspunkt der Zumessungserwägungen bildet (vgl. BVerwG, Urteile vom 12. Februar 2015 – 2 WD 2.14 – Buchholz 450.2 § 38 WDO 2002 Nr. 47 Rn. 54 und vom 19. Mai 2015 – 2 WD 13.14 – juris Rn. 41).

Maßnahmenreduktion durch überlange Verfahrensdauer (Rn. 32)

Zusätzlich maßnahmereduzierend wirkt die unangemessene Dauer des Gerichtsverfahrens. Ein Verstoß gegen die Gewährleistung einer Verhandlung in angemessener Frist nach Art. 6 Abs. 1 EMRK und gegen den verfassungsrechtlichen Grundsatz effektiver Rechtsschutzgewährung aus Art. 19 Abs. 4 Satz 1, Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG ist bei pflichtenmahnenden Disziplinarmaßnahmen durch eine Verringerung des Disziplinarmaßes auszugleichen. Dabei ist es eine Frage der Umstände des Einzelfalls, ob die Dauer unter Berücksichtigung der Schwierigkeit und Bedeutung des Verfahrens und dem Verhalten der Verfahrensbeteiligten angemessen gewesen ist. Diese Prüfung ist ohne konkrete Zeitvorgaben oder abstrakte Orientierungswerte durchzuführen. Verfahrenslaufzeiten, die durch die Verfahrensführung des Gerichts bedingt sind, führen nur dann zu einer unangemessenen Verfahrenslänge, wenn sie auch bei Berücksichtigung des von Art. 97 Abs. 1 GG geschützten gerichtlichen Gestaltungsspielraums sachlich nicht mehr zu rechtfertigen sind (vgl. BVerwG, Urteile vom 14. September 2017 – 2 WA 2.17 D – BVerwGE 159, 366 Rn. 13 ff. und vom 12. Juli 2018 – 2 WD 1.18 – juris Rn. 42).

Volltextveröffentlichung der Entscheidung auf der Website des Bundesverwaltungsgerichts: 2 WD 13.18

BVerwG 2 WD 13.18
TDG Süd 4. Kammer – 25.01.2018 – AZ: TDG S 4 VL 33/16

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