Bundesverwaltungsgericht entscheidet über eine Berufung nach der Wehrdisziplinarordnung (WDO) – Beschluss des 2. Wehrdienstsenats vom 07. Mai 2020 – BVerwG 2 WD 13.19

Hervorzuhebende Auszüge aus der Entscheidung:

Beurteilungskriterien der Beweisaufnahme bei Konstellation „Aussage gegen Aussage“ (Rn. 15)

Nach § 91 Abs. 1 Satz 1 WDO i.V.m. § 261 StPO hat das Gericht über das Ergebnis der Beweisaufnahme nach seiner freien, aus dem Inbegriff der Verhandlung geschöpften Überzeugung zu entscheiden. Die für die Überführung eines Angeschuldigten erforderliche persönliche Gewissheit des Tatrichters erfordert ein nach der Lebenserfahrung ausreichendes Maß an Sicherheit, demgegenüber vernünftige Zweifel nicht mehr aufkommen. Dabei können rein abstrakte oder theoretische Zweifel, für die es keine reale Grundlage gibt, das für die Verurteilung nach der Lebenserfahrung ausreichende Maß an Sicherheit nicht in Frage stellen. Der Beweis muss jedoch mit lückenlosen, nachvollziehbaren logischen Argumenten geführt sein (BVerwG, Urteil vom 4. Juli 2019 – 2 WD 20.18 – Rn. 31 m.w.N.). Zwar ist das Tatgericht nicht grundsätzlich schon dann aufgrund des Zweifelssatzes an einer Verurteilung gehindert, wenn „Aussage gegen Aussage“ steht und außer der Aussage des einzigen Belastungszeugen keine weiteren belastenden Indizien vorliegen. Bei einer derartigen Sachlage muss allerdings die Aussage dieses Zeugen einer besonderen Glaubhaftigkeitsprüfung unterzogen werden. Das gilt insbesondere dann, wenn der einzige Belastungszeuge in der Verhandlung seine Vorwürfe ganz oder teilweise nicht mehr aufrechterhält, der anfänglichen Schilderung weiterer Taten nicht gefolgt wird oder sich sogar die Unwahrheit eines Aussageteils herausstellt. Dann muss das Gericht regelmäßig auch außerhalb der Zeugenaussage liegende gewichtige Gründe ermitteln, die es ermöglichen, der Zeugenaussage dennoch zu glauben. Gelingt dies nicht, ist der Soldat nach dem Rechtsgrundsatz „in dubio pro reo“ freizustellen (BVerwG, Urteil vom 24. Januar 2019 – 2 WD 16.18 – juris Rn. 15 m.w.N.).

Dienstpflichtverletzung des § 7 SG durch sexuelle Belästigung im Sinne des § 3 IV SoldGG (RN. 26, 29)

Mit der wissentlichen und willentlichen, somit vorsätzlichen Äußerung, die Zeuginnen A. und J. seien auf die größere Oberweite der Zeugin D. neidisch, hat der Soldat gemäß § 7 Abs. 2 SoldGG seine dienstlichen Pflichten verletzt. Denn er hat damit eine unerwünschte sexuelle Belästigung gemäß § 3 Abs. 4 SoldGG in Form einer Bemerkung sexuellen Inhalts getätigt, die jedenfalls bewirkte, dass deren Würde verletzt wurde (BVerwG, Urteil vom 23. Juni 2011 – 2 WD 21.10 – Rn. 35 m.w.N.). Mit der Bemerkung brachte er zum Ausdruck, dass die Zeuginnen Anlass haben könnten, ein Erscheinungsdefizit aus dem Fehlen eines bei ihnen weniger ausgeprägten sekundären Geschlechtsmerkmals abzuleiten. Dass er dies nicht bezweckt haben mag, ändert nichts daran, dass er die Würdeverletzung bewirkt hat. Das Bewirken allein ist nach dem Tatbestand des § 3 Abs. 4 SoldGG ausreichend; insoweit ist auch kein Vorsatz erforderlich (BVerwG, Urteil vom 6. April 2017 – 2 WD 13.16 – Rn. 87). Die Belästigung war auch objektiv erkennbar unerwünscht, da die Zeuginnen dem Soldaten gegenüber weder ausdrücklich noch indirekt signalisiert hatten, sich mit ihm verbal auf sexueller Ebene auszutauschen zu wollen (vgl. zu § 7 Abs. 3, § 3 Abs. 4 AGG: BAG, Urteil vom 29. Juni 2017 – 2 AZR 302/16 – BeckRS 2017, 121650).

(…)

Durch die Äußerungen hat der Soldat vorsätzlich auch die Pflicht zum treuen Dienen aus § 7 SG verletzt. Zu dieser Pflicht gehört insbesondere die Verpflichtung zur Loyalität der geltenden Rechtsordnung gegenüber (BVerwG, Urteil vom 25. Juni 2009 – 2 WD 7.08 – Buchholz 450.2 § 38 WDO 2002 Nr. 29 Rn. 33 m.w.N.). Zur Rechtsordnung gehört auch die Pflicht aus § 7 Abs. 2 SoldGG. Der Gesetzgeber hat mit dieser Vorschrift einem Verstoß gegen das Verbot sexueller Belästigung ausdrücklich die Qualität einer Pflichtverletzung verliehen und damit disziplinarische Relevanz zugewiesen.

Inhalt der Fürsorgepflicht nach § 10 III SG (Rn. 30)

Die Fürsorgepflicht beinhaltet die Pflicht eines jeden militärischen Vorgesetzten, Untergebene nach Recht und Gesetz zu behandeln. Der Untergebene muss unter anderem das berechtigte Gefühl haben, dass er vom Vorgesetzten nicht nur als Befehlsempfänger betrachtet wird, sondern dass dieser sich bei allen Handlungen und Maßnahmen vom Wohlwollen gegenüber dem jeweiligen Soldaten leiten lässt und dass er stets bemüht ist, ihn vor Schäden und unzumutbaren Nachteilen zu bewahren (BVerwG, Urteil vom 16. März 2011 – 2 WD 40.09 – juris Rn. 42). Eine – wie hier – beleidigende Behandlung eines Untergebenen verstößt gegen die Pflicht aus § 10 Abs. 3 SG, für Untergebene zu sorgen.

Inhalt der Kameradschaftspflicht (Rn. 31)

 Ebenso liegt eine vorsätzliche Verletzung des § 12 SG vor. Inhalt und bestimmende Faktoren der Pflicht zur Kameradschaft sind das gegenseitige Vertrauen der Soldaten der Bundeswehr, das Bewusstsein, sich jederzeit aufeinander verlassen zu können, sowie die Verpflichtung zu gegenseitiger Achtung, Fairness und Toleranz. Ein Vorgesetzter, der die Rechte, die Ehre oder die Würde seiner Kameraden verletzt (§ 12 Satz 2 SG), stört den Dienstbetrieb und beeinträchtigt damit letztlich auch die Einsatzbereitschaft der Truppe. Dies ist insbesondere bei einer sexuellen Belästigung der Fall.

Inhalt der innerdienstlichen Wohlverhaltenspflicht (Rn. 32)

Vorsätzlich verletzt ist auch die Pflicht zu innerdienstlichem Wohlverhalten. Jeder Verstoß eines Soldaten gegen eine gesetzliche Dienstpflicht, die dem § 17 SG vorangestellt ist, enthält zugleich einen Verstoß gegen § 17 Abs. 2 Satz 1 SG, wenn dem festgestellten Verhalten unabhängig von anderen Pflichtverstößen die Eignung zur Ansehensminderung innewohnt. Die Achtungs- und die Vertrauenswürdigkeit eines Soldaten können durch sein Verhalten schon dann Schaden nehmen, wenn es Zweifel an seiner Zuverlässigkeit weckt oder seine Eignung für die jeweilige Verwendung in Frage stellt. Für die Feststellung eines Verstoßes gegen diese Vorschrift kommt es nicht darauf an, ob eine Ansehensschädigung im konkreten Fall tatsächlich eingetreten ist. Es reicht vielmehr aus, dass das Verhalten des Soldaten geeignet war, eine ansehensschädigende Wirkung auszulösen (BVerwG, Urteil vom 4. Mai 2011 – 2 WD 2.10 – juris Rn. 29).

Regelmaßnahme bei sexueller Belästigung von Untergebenen durch Vorgesetzte (Rn. 35)

Bei sexuellen Belästigungen von Untergebenen durch Vorgesetzte im Dienst, die hier den Schwerpunkt des Dienstvergehens ausmachen, bildet regelmäßig eine Herabsetzung im Dienstgrad den Ausgangspunkt der Zumessungserwägungen (vgl. BVerwG, Urteil vom 23. Juni 2011 – 2 WD 21.10 – Buchholz 449 § 7 SG Nr. 56 Rn. 49 m.w.N.).

Volltext der Entscheidung auf der Website des Bundesverwaltungsgerichts: 2 WD 13.19

BVerwG 2 WD 13.19
TDG Süd 4. Kammer – 13.02.2019 – AZ: TDG S 4 VL 38/17

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