Bundesverwaltungsgericht entscheidet über eine Berufung nach der Wehrdisziplinarordnung (WDO) – Urteil des 2. Wehrdienstsenats vom 25. März 2021 – BVerwG 2 WD 13.20

Leitsätze:

  1. Begeht ein Vorgesetzter gegenüber einem Untergebenen innerdienstlich eine fahrlässige Körperverletzung, die erhebliche Folgeschäden nach sich zieht, bildet ein Beförderungsverbot den Ausgangspunkt der Zumessungserwägungen.
  2. Die Kürzung der Übergangsbeihilfe ist bruchteilsmäßig auszusprechen

Hervorzuhebende Auszüge aus der Entscheidung:

Erstmalige Bestimmung der Regelmaßnahme bei innerdienstlicher fahrlässiger Körperverletzung mit erheblichen Folgeschäden (Rn. 19, 20, 21)

Eine gefestigte Rechtsprechung zum Ausgangspunkt der Zumessungserwägungen für Fälle der fahrlässigen Körperverletzung gegen einen untergebenen Soldaten innerhalb des Dienstes oder innerhalb dienstlicher Unterkünfte und Anlagen, die erhebliche gesundheitliche Folgeschäden nach sich ziehen, gibt es nicht. Der Senat erachtet in Fällen dieser Art bei aktiven Soldaten ein Beförderungsverbot nach § 58 Abs. 1 Nr. 2 i.V.m. § 60 WDO für angemessen. Vor allem Schwere und Eigenart des Dienstvergehens sowie das geringere Maß der Schuld streiten für eine disziplinarische Ahndung, die derjenigen außerdienstlicher fahrlässiger Körperverletzungen entspricht (BVerwG, Urteil vom 14. Mai 2019 – 2 WD 24.18 – Buchholz 450.2 § 38 WDO 2002 Nr. 64 Rn. 20).

Maßgeblich ist dafür die Erwägung, dass keine Misshandlung eines Untergebenen vorliegt, für die Ausgangspunkt der Zumessungserwägungen eine Dienstgradherabsetzung ist (BVerwG, Urteil vom 24. Oktober 2013 – 2 WD 12.13 – juris Rn. 50 m.w.N.). Die nur fahrlässig verursachte Körperverletzung verlangt eine mildere Disziplinarmaßnahme als die Dienstgradherabsetzung, weil die Rechtsordnung den Unrechtsgehalt zwischen vorsätzlichem und fahrlässigem Handeln unterschiedlich bewertet (BVerwG, Urteile vom 3. Februar 1998 – 2 WD 16.97 – Buchholz 236.1 § 7 SG Nr. 19, vom 14. April 2011 – 2 WD 7.10 – NZWehrr 2012, 35, vom 17. Mai 2018 – 2 WD 2.18 – juris Rn. 28 und vom 1. Juli 2020 – 2 WD 15.19 – juris Rn. 34).

Dass im konkreten Fall der frühere Soldat Bezüge nach der Besoldungsgruppe A 7 erhalten hat und somit bei ihm auch nach § 58 Abs. 2 Nr. 2 WDO die Herabsetzung der Besoldungsgruppe eine zulässige Disziplinarmaßnahme bildet, weil das Amt des Obermaats der Besoldungsgruppe A 6 und A 7 zugewiesen ist, steht dem nicht entgegen. Weil nur wenige Ämter mehreren Besoldungsgruppen zugewiesen sind, stellt die Herabsetzung in der Besoldungsgruppe die Ausnahme im Kanon zulässiger Disziplinarmaßnahmen dar. Sie kann daher nicht bei einer Vielzahl vergleichbarer Dienstvergehen zum Ausgangspunkt der Zumessungserwägungen gewählt werden, so dass aus Gleichbehandlungsgründen nur das Beförderungsverbot als nächstmildere Maßnahme dafür in Betracht kommt.

Kürzung der Übergangsbeihilfe ist bruchteilsmäßig auszusprechen (Rn. 23 ff.)

Die Kürzung der Übergangsbeihilfe wäre dann allerdings bruchteilsmäßig und nicht in Höhe eines absoluten Betrages auszusprechen gewesen. Soweit der Senat in der Vergangenheit teilweise eine andere Tenorierung gebilligt oder vorgenommen hat (BVerwG, Urteile vom 18. September 2003 – 2 WD 3.03 – juris Rn. 2, 22 bis 23 und vom 26. Januar 2006 – 2 WD 2.05 – Buchholz 449 § 7 SG Nr. 50, Seite 1, 7), hält er daran nicht mehr fest (wie hier: BVerwG, Urteile vom 4. November 1965 – 1 WD 28.65 – S. 7, vom 8. Juni 1971 – 2 WD 84.70 – S. 7, vom 20. Juni 1989 – 2 WD 47.88 – juris Rn. 32, vom 25. September 1996 – 2 WD 17.96 – und vom 28. Januar 1999 – 2 WD 17.98 – juris Rn. 52 = Buchholz 236.1 § 12 SG Nr. 8, Seite 12).

Nach § 67 Abs. 1 Satz 1 WDO kann die Kürzung des Ruhegehalts bei Soldaten, die als solche im Ruhestand gelten, unter anderem in der Kürzung der Übergangsbeihilfe oder der Übergangsgebührnisse bestehen. Dabei gilt gemäß § 67 Abs. 2 Satz 1 WDO für die Kürzung der Übergangsgebührnisse § 59 WDO entsprechend, wobei nach § 67 Abs. 2 Satz 2 WDO die Übergangsbeihilfe bis zur Hälfte gekürzt werden darf. Der in § 67 Abs. 2 Satz 1 WDO in Bezug genommene § 59 WDO legt eine bruchteilmäßige Verminderung für die Übergangsgebührnisse fest. Daraus ist indes nicht zu folgern, dass § 67 Abs. 2 Satz 2 WDO für Übergangsbeihilfen die Bruchteilsanordnung durchbricht. Vielmehr setzt auch diese Regelung sie voraus und modifiziert sie lediglich der Eigenart der Übergangsbeihilfe entsprechend.

Für dieses Verständnis spricht bereits der Wortlaut des § 67 Abs. 2 Satz 2 WDO, demzufolge die Kürzung der Übergangsbeihilfe nicht um oder bis zu einem absoluten Betrag, sondern „bis zur Hälfte“ ausgesprochen werden darf. Der Gesetzgeber wollte mit Satz 2 lediglich die in § 67 Abs. 2 Satz 1 WDO in Bezug genommene Bruchteilsregelung des § 59 WDO dahingehend modifizieren, dass die Kürzung der Übergangsbeihilfe sich nicht auf höchstens 1/5 beschränkt, sondern bis zur Hälfte erfolgen darf. Er trug damit vor allem dem Umstand Rechnung, dass § 59 WDO neben der Höhe auch eine Kürzungsdauer erwähnt, welche nur bei wiederkehrenden Leistungen und nicht bei der gemäß § 12 Abs. 1 Satz 2 Halbs. 2 SVG in einer Summe zu zahlenden Übergangsbeihilfe Bedeutung erlangen kann (vgl. Weiß, in: GKÖD, Stand: Januar 2021, § 67 WDO Rn. 15, 19).

Die Gesetzesmaterialien stützen diese Auslegung. § 67 Abs. 2 Satz 2 WDO (vgl. zur Rechtsentwicklung: Weiß, in: GKÖD, § 67 WDO Rn. 4) geht zurück auf die im Wesentlichen wortgleiche Regelung des § 49 Abs. 2 Satz 3 WDO vom 15. März 1957 (BGBl. I S. 189). Zu ihr heißt es im Regierungsentwurf, die Kürzung des Ruhegehalts oder der Übergangsgebührnisse (Abs. 2) entspreche in ihrem Ausmaß der Gehaltskürzung (§ 44 Abs. 1 Satz 1 WDO) und für „andere Versorgungsleistungen (Ausgleich nach § 37 des Soldatenversorgungsgesetzes, Übergangsbeihilfe) und für die Berufsförderung (sei) eine der Eigenart dieser Leistungen entsprechende Regelung vorgesehen“ (BT-Drs. 2/2181, S. 51). Mit dem Hinweis auf eine der Eigenart dieser Leistungen entsprechende Regelung brachte der Gesetzgeber seinen Willen zum Ausdruck, die Kürzung der Übergangsbeihilfe so weit wie möglich gleich auszugestalten wie die bruchteilsmäßig vorzunehmende Kürzung der Übergangsgebührnisse.

Die Eigenart der Übergangsbeihilfe steht einer bruchteilsmäßigen Kürzung auch nicht entgegen. Vielmehr bringt die bruchteilsmäßige Kürzung nicht nur die Einstufung der Schwere des Dienstvergehens deutlich zum Ausdruck; sie trägt auch zur dogmatischen Abgrenzung gegenüber der Disziplinarbuße als einfacher Disziplinarmaßnahme (§ 22 Abs. 1 Nr. 3 WDO) bei. Bei ihr sieht der Gesetzgeber ausdrücklich einen (absoluten) Betrag vor (§ 24 Abs. 1 WDO). Die bruchteilsmäßige Kürzung der Übergangsbeihilfe hat zudem den vollzugspraktischen Vorteil, dass die durch § 67 Abs. 2 Satz 2 WDO gesetzte (hälftige) Kürzungsgrenze auch dann gewahrt bleibt, wenn die konkrete Höhe der Übergangsbeihilfe sich aus Gründen ändert, die mit dem Disziplinarverfahren in keinem Zusammenhang stehen.

Anders als vom Truppendienstgericht angenommen, bewirkt die bruchteilsmäßige Ausweisung einer Kürzung auch nicht, dass den individuellen Umständen in der Tat und der Person des Soldaten nicht mehr schuldangemessen Rechnung getragen werden könnte. Denn sie lässt die materiell-rechtlichen Vorgaben des § 38 Abs. 1 WDO unberührt, demzufolge die dort bezeichneten Bemessungskriterien bei der Bestimmung von Art und dem Maß der Disziplinarmaßnahme zu berücksichtigen sind.

Einfache Disziplinarmaßnahmen gegenüber früheren Soldaten (Rn. 33)

Dazu ist auch das Wehrdienstgericht gemäß § 58 Abs. 6 WDO befugt. Zwar können nicht alle in § 22 Abs. 1 WDO aufgelisteten einfachen Disziplinarmaßnahmen auch gegenüber früheren Soldaten verhängt werden, weil etwa Disziplinararreste oder Ausgangsbeschränkungen naturgemäß mangels Vollstreckbarkeit nicht mehr in Betracht kommen (vgl. § 56 Abs. 2 WDO). Dies steht jedoch der Verhängung einer Disziplinarbuße oder eines einfachen Verweises nicht entgegen, wenn sich in einem gemäß § 82 Abs. 1 WDO fortzuführenden Disziplinarverfahren gegen einen früheren Soldaten wegen eines in seiner aktiven Dienstzeit begangenen Dienstvergehens eine mildere Maßnahme als geboten erweist. Daher hat das Gesetz auch in § 2 Abs. 2 Satz 3 WDO für vergleichbare Fälle die Verhängung einer Geldbuße oder eines Verweises ausdrücklich zugelassen. Soweit bislang entgegen dem eindeutigen Wortlaut des § 58 Abs. 6 WDO die Verhängung einfacher Disziplinarmaßnahmen gegenüber früheren Soldaten als unzulässig angesehen worden ist (BVerwG, Urteil vom 27. Januar 2011 – 2 WD 39.09 – Buchholz 450.2 § 108 WDO 2002 Nr. 1 Rn. 11), hält der Senat daran nicht mehr fest. Ihrer Verhängung steht auch nicht § 17 Abs. 2 WDO entgegen, weil durch die Einleitung des gerichtlichen Disziplinarverfahrens der halbjährige Fristlauf gemäß § 17 Abs. 5 WDO gehemmt wurde (BVerwG, Urteil vom 1. Juli 2020 – 2 WD 15.19 – Rn. 34). § 16 Abs. 1 Nr. 1 WDO steht dem ebenso wenig entgegen, da die Einstellung im Strafverfahren nach § 170 Abs. 2 StPO erfolgte. Bei der Höhe der Disziplinarbuße ist gemäß § 24 Abs. 2 WDO dem Umstand Rechnung zu tragen, dass der frühere Soldat trotz seiner finanziell angespannten Situation etwa 4 500 € auf eigene Kosten für die medizinische Behandlung des Geschädigten anstandslos gezahlt und dieser den Vorfall nicht als Übergriff eines Vorgesetzten, sondern als Unglücksfall empfunden hat.

Volltextveröffentlichung der Entscheidung auf der Website des Bundesverwaltungsgerichts: 2 WD 13.20

BVerwG 2 WD 13.20
TDG Nord 7. Kammer – 23.01.2020 – AZ: TDG N 7 VL 39/19

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