Bundesverwaltungsgericht entscheidet über eine Berufung nach der Wehrdisziplinarordnung (WDO) – Beschluss des 2. Wehrdienstsenats vom 02. Mai 2019 – BVerwG 2 WD 15.18
Leitsatz:
Bei einem schweren Kindesmissbrauch ist die disziplinarische Höchstmaßnahme auch dann Ausgangspunkt der Zumessungserwägungen, wenn eine weniger gravierende Fallkonstellation (§ 176a Abs. 4 StGB) vorliegt.
Hervorzuhebende Auszüge aus der Entscheidung:
Regelmaßnahme bei sexuellem Missbrauch eines Kindes (Rn. 20 f.)
Auf der ersten Stufe ist im Hinblick auf das Gebot der Gleichbehandlung vergleichbarer Fälle sowie im Interesse der rechtsstaatlich gebotenen Rechtssicherheit und Voraussehbarkeit der Disziplinarmaßnahme eine Regelmaßnahme für die in Rede stehende Fallgruppe als „Ausgangspunkt der Zumessungserwägungen“ zu bestimmen. Dabei entspricht es der Rechtsprechung des Senats, dass beim sexuellen Missbrauch eines Kindes oder der sexuellen Nötigung eines Jugendlichen der Soldat für die Bundeswehr im Grundsatz untragbar wird. Der sexuelle Missbrauch eines Kindes nach § 176 Abs. 1 StGB wiegt in der Regel so schwer, dass der Soldat das in ihn gesetzte Vertrauen seines Dienstherrn endgültig verloren hat und dass diesem bei objektiver Betrachtung eine Fortsetzung des Dienstverhältnisses nicht mehr zugemutet werden kann (BVerwG, Urteile vom 18. Juli 2001 – 2 WD 51.00 – juris Rn. 64, vom 27. Juli 2010 – 2 WD 5.09 – Buchholz 450.2 § 38 WDO 2002 Nr. 30 Rn. 28 und vom 15. März 2013 – 2 WD 15.11 – juris Rn. 38 m.w.N.).
Der nach § 176 Abs. 1 StGB strafbare sexuelle Missbrauch eines Kindes ist – wie die sexuelle Nötigung eines Jugendlichen – in hohem Maße persönlichkeits- und sozialschädlich. Denn der Täter greift damit in die sittliche Entwicklung eines jungen Menschen ein und gefährdet die harmonische Entwicklung seiner Gesamtpersönlichkeit sowie seine Einordnung in die Gemeinschaft, weil Kinder wie Jugendliche wegen ihrer fehlenden bzw. noch nicht hinreichenden Reife intellektuell und gefühlsmäßig das Erlebte in der Regel gar nicht oder nur schwer verarbeiten können. Zugleich benutzt der Täter die Person eines Jugendlichen als „Mittel“ zur Befriedigung seines Geschlechtstriebes und verletzt dadurch dessen durch Art. 1 Abs. 1 GG geschützte unantastbare Menschenwürde. Sexueller Missbrauch eines Kindes oder Jugendlichen schädigt regelmäßig das Ansehen des Täters schwerwiegend. Denn der Schutz dieses Personenkreises vor sittlicher Gefährdung wird – trotz „Liberalisierung“ der gesellschaftlichen Anschauungen auf diesem Gebiet – von der Bevölkerung nach wie vor sehr ernst genommen. Verstöße gegen die einschlägigen strafrechtlichen Schutzbestimmungen werden nach wie vor als verabscheuungswürdig angesehen und setzen den Täter kritischer Resonanz und Missachtung aus. Darüber hinaus hat der strafbare sexuelle Missbrauch eines Kindes durch einen Soldaten, der als Teil der staatlichen Gewalt die Würde des Menschen zu achten und zu schützen hat (Art. 1 Abs. 1 Satz 2 GG), auch im dienstlichen Bereich aus der Sicht eines vorurteilsfreien und besonnenen Betrachters eine nachhaltige Ansehensschädigung zur Folge. Denn dadurch wird das Vertrauen, das der Dienstherr in die Selbstbeherrschung, Zuverlässigkeit und moralische Integrität des Soldaten setzt, von Grund auf erschüttert. Wer als Soldat in dieser Weise versagt, beweist damit erhebliche Persönlichkeitsmängel (vgl. BVerwG, Urteil vom 27. Juli 2010 – 2 WD 5.09 – Buchholz 450.2 § 38 WDO 2002 Nr. 30 Rn. 16 m.w.N.). Bei einem Kindesmissbrauch die Höchstmaßnahme zum Ausgangspunkt der Zumessungserwägungen zu nehmen ist folgerichtig. Denn auch im Fall eines Verbreitens kinder- oder jugendpornografischer Schriften/Dateien wird die Höchstmaßnahme zugrunde gelegt, ohne dass damit ein Körperkontakt mit einem Kind verbunden gewesen sein müsste (vgl. BVerwG, Urteil vom 5. Juli 2018 – 2 WD 10.18 – juris Rn. 39 m.w.N.).
Regelmaßnahme bei sexuellem Missbrauch eines Kindes in einem minder schweren Fall (Rn. 22)
Nichts anderes kann für einen schweren sexuellen Missbrauch eines Kindes im Sinne von § 176a Abs. 2 Nr. 1, Abs. 4 StGB gelten, auch wenn eine weniger gravierende Fallkonstellation vorliegt. Dass auch in einem solchen Fall Eigenart und Schwere der Tat grundsätzlich die Höchstmaßnahme verlangen, wird dadurch indiziert, dass der Gesetzgeber für eine solche Tat einen Strafrahmen von einem Jahr bis zu zehn Jahren vorsieht. Dieser Strafrahmen liegt durch die Mindeststrafe von einem Jahr oberhalb des Strafrahmens des einfachen sexuellen Missbrauchs von Kindern nach § 176 Abs. 1 StGB und deutlich oberhalb des Strafrahmens für die Verbreitung kinder- und jugendpornografischer Schriften nach § 184b Abs. 1, § 184c Abs. 1 StGB. Dass der minderschwere Fall des schweren Kindesmissbrauchs nach Eigenart und Schwere kein geringeres Gewicht hat als der keinen Qualifikationstatbestand erfüllende Kindesmissbrauch oder die Verbreitung kinderpornografischer Schriften kommt in dem höheren Strafrahmen zum Ausdruck. Dieser gesetzgeberischen Wertung ist im sachgleichen Disziplinarverfahren dadurch Rechnung zu tragen, dass für diese Straftat gegen die sexuelle Selbstbestimmung von Kindern grundsätzlich die gleiche Maßnahmeart – und damit die Höchstmaßnahme – veranlasst ist.
Keine Entlastungswirkung eines im Strafverfahren durchgeführten Täter-Opfer-Ausgleichs im Disziplinarverfahren (Rn. 26)
Da der vom früheren Soldaten geleisteten Schmerzensgeldzahlung bereits im Strafverfahren unter dem Gesichtspunkt des Täter-Opfer-Ausgleichs nach § 46a Nr. 1, § 49 Abs. 1 Nr. 3 StGB strafreduzierende Bedeutung beigemessen wurde und sie mit ursächlich dafür war, dass dort keine bereits kraft Gesetzes zur Entfernung aus dem Dienstverhältnis führende Freiheitsstrafe verhängt wurde, entlastet sie ihn vorliegend nicht erheblich (BVerwG, Urteil vom 14. Juni 2018 – 2 WD 15.17 – juris Rn. 45).
Volltextveröffentlichung der Entscheidung auf der Website des Bundesverwaltungsgerichts: 2 WD 15.18
BVerwG 2 WD 15.18
TDG Süd 6. Kammer – 13.03.2018 – AZ: TDG S 6 VL 02/16