Bundesverwaltungsgericht entscheidet über eine Berufung nach der Wehrdisziplinarordnung (WDO) – Beschluss des 2. Wehrdienstsenats vom 22. April 2021 – BVerwG 2 WD 15.20
Hervorzuhebende Auszüge aus der Entscheidung:
Anforderungen an das Ergebnis der Beweisaufnahme (Rn. 14)
Nach § 91 Abs. 1 Satz 1 WDO i.V.m. § 261 StPO hat das Gericht über das Ergebnis der Beweisaufnahme nach seiner freien, aus dem Inbegriff der Verhandlung geschöpften Überzeugung zu entscheiden. Die für die Überführung eines Angeschuldigten erforderliche persönliche Gewissheit des Tatrichters erfordert ein nach der Lebenserfahrung ausreichendes Maß an Sicherheit, demgegenüber vernünftige Zweifel nicht mehr aufkommen. Dabei können rein abstrakte oder theoretische Zweifel, für die es keine reale Grundlage gibt, das für die Verurteilung nach der Lebenserfahrung ausreichende Maß an Sicherheit nicht in Frage stellen. Der Beweis muss jedoch mit lückenlosen, nachvollziehbaren logischen Argumenten geführt sein (BVerwG, Urteil vom 4. Juli 2019 – 2 WD 20.18 – Buchholz 450.2 § 38 WDO 2002 Nr. 66 Rn. 31 m.w.N.). Zwar ist das Tatgericht nicht schon dann aufgrund des Zweifelsgrundsatzes an einer Verurteilung gehindert, wenn „Aussage gegen Aussage“ steht und außer der Aussage des einzigen Belastungszeugen keine weiteren belastenden Indizien vorliegen. Bei einer derartigen Sachlage muss allerdings die Aussage dieses Zeugen einer besonderen Glaubhaftigkeitsprüfung unterzogen werden. Das gilt insbesondere dann, wenn er in der Verhandlung seine Vorwürfe ganz oder teilweise nicht mehr aufrechterhält, der anfänglichen Schilderung weiterer Taten nicht gefolgt wird oder sich sogar die Unwahrheit eines Aussageteils herausstellt. Dann muss das Gericht regelmäßig auch außerhalb der Zeugenaussage liegende gewichtige Gründe ermitteln, um der Zeugenaussage dennoch zu glauben. Gelingt dies nicht, hat nach dem Rechtsgrundsatz „in dubio pro reo“ ein Freispruch zu erfolgen (BVerwG, Urteil vom 7. Mai 2020 – 2 WD 13.19 – Buchholz 450.2 § 38 WDO 2002 Nr. 74 Rn. 15 m.w.N.).
Verstoß gegen eine dem § 17 SG vorangestellte Dienstpflicht stellt Verletzung der innerdienstlichen Wohlverhaltenspflicht dar (Rn. 25)
Jeder Verstoß eines Soldaten gegen eine gesetzliche Dienstpflicht, die dem § 17 SG vorangestellt ist, enthält zugleich einen Verstoß gegen § 17 Abs. 2 Satz 1 SG, wenn dem festgestellten Verhalten unabhängig von anderen Pflichtverstößen die Eignung zur Ansehensminderung innewohnt. Die Achtungs- und die Vertrauenswürdigkeit eines Soldaten können durch sein Verhalten schon dann Schaden nehmen, wenn es Zweifel an seiner Zuverlässigkeit weckt oder seine Eignung für die jeweilige Verwendung in Frage stellt. Für die Feststellung eines Verstoßes gegen diese Vorschrift kommt es nicht darauf an, ob eine Ansehensschädigung im konkreten Fall tatsächlich eingetreten ist. Es reicht vielmehr aus, dass das Verhalten des Soldaten geeignet war, eine ansehensschädigende Wirkung auszulösen (BVerwG, Urteil vom 4. Mai 2011 – 2 WD 2.10 – juris Rn. 29). Dass zudem auch eine tatsächliche Ansehensschädigung eintrat, steht nach dem bereits Dargelegten fest.
Sexuelle Belästigung nach § 7 I SoldGG als Pflichtverletzung im Sinne des § 7 SG (Rn. 29)
Durch die Äußerungen hat der Soldat auch vorsätzlich die Pflicht zum treuen Dienen aus § 7 SG verletzt. Zu dieser Pflicht gehört insbesondere die Verpflichtung zur Loyalität der geltenden Rechtsordnung gegenüber (BVerwG, Urteil vom 25. Juni 2009 – 2 WD 7.08 – Buchholz 450.2 § 38 WDO 2002 Nr. 29 Rn. 33 m.w.N.). Zur Rechtsordnung gehört auch die Pflicht aus § 7 Abs. 2 SoldGG. Der Gesetzgeber hat mit dieser Vorschrift einem Verstoß gegen das Verbot sexueller Belästigung ausdrücklich die Qualität einer Pflichtverletzung verliehen und damit disziplinarische Relevanz beigemessen. Ein Vorgesetzter verletzt mit der Beleidigung Untergebener zugleich in gravierender Weise seine Fürsorgepflicht aus § 10 Abs. 3 SG, das Zurückhaltungsgebot des § 10 Abs. 6 SG, die innerdienstliche Wohlverhaltenspflicht des § 17 Abs. 2 Satz 1 SG und die Kameradschaftspflicht (BVerwG, Urteile vom 9. Januar 2007 – 2 WD 20.05 – BVerwGE 127, 293 Rn. 25 ff. und vom 13. März 2008 – 2 WD 6.07 – juris Rn. 68 ff.). Ein Vorgesetzter, der die Rechte, die Ehre oder die Würde seiner Kameraden verletzt (§ 12 Satz 2 SG), stört den Dienstbetrieb und beeinträchtigt damit letztlich auch die Einsatzbereitschaft der Truppe. Dies ist insbesondere bei einer sexuellen Belästigung der Fall.
Regelmaßnahme bei sexuellen Belästigungen von Untergebenen durch Vorgesetzte im Dienst (Rn. 35)
Bei sexuellen Belästigungen von Untergebenen durch Vorgesetzte im Dienst, die hier den Schwerpunkt des Dienstvergehens ausmachen, bildet eine Herabsetzung im Dienstgrad den Ausgangspunkt der Zumessungserwägungen (vgl. BVerwG, Urteil vom 7. Mai 2020 – 2 WD 13.19 – Buchholz 450.2 § 38 WDO 2002 Nr. 74 Rn. 35 m.w.N.). Gleiches gilt für die sachgleiche Beleidigung Untergebener (BVerwG, Urteile vom 9. Januar 2007 – 2 WD 20.05 – BVerwGE 127, 293 Rn. 46 m.w.N. und vom 13. März 2008 – 2 WD 6.07 – Buchholz 449 § 10 SG Nr. 59).
Volltext der Entscheidung auf der Website des Bundesverwaltungsgerichts: 2 WD 15.20
BVerwG 2 WD 15.20
TDG Süd 4. Kammer – 28.11.2019 – AZ: TDG S 4 VL 35/18