Bundesverwaltungsgericht entscheidet über eine Berufung nach der Wehrdisziplinarordnung (WDO) – Beschluss des 2. Wehrdienstsenats vom 18. Juni 2020 – BVerwG 2 WD 17.19

Leitsätze:

1. Verhaltensweisen, die auf eine Bagatellisierung des Nationalsozialismus abzielen, begründen als Ausgangspunkt der Zumessungserwägungen die Entfernung aus dem Dienstverhältnis, wenn sie tatsächlich eine nationalsozialistische Gesinnung zum Ausdruck bringen.

2. Wird der „Hitlergruß“ erwiesen, ohne dass damit eine entsprechende Gesinnung einhergeht, bildet Ausgangspunkt der Zumessungserwägungen die Herabsetzung im Dienstgrad, während für niedrigschwelligere bagatellisierende Verhaltensweisen grundsätzlich ein Beförderungsverbot den Ausgangspunkt der Zumessungserwägungen bildet.

Hervorzuhebende Auszüge aus der Entscheidung:

Berufung durch die Wehrdisziplinaranwaltschaft kann auch zugunsten des Soldaten wirken (Rn. 13)

Eine Abmilderung der vom Truppendienstgericht verhängten Disziplinarmaßnahme war möglich; gemäß § 123 Satz 3, § 91 Abs. 1 Satz 1 WDO i.V.m. § 301 StPO hat jedes von der Wehrdisziplinaranwaltschaft eingelegte Rechtsmittel die Wirkung, dass die angefochtene Entscheidung auch zu Gunsten des angeschuldigten Soldaten abgeändert oder aufgehoben werden kann (vgl. BVerwG, Urteil vom 13. September 2011 – 2 WD 15.10 – juris Rn. 21).

Anforderungen an den Straftatbestand der Volksverhetzung (Rn. 22)

Dies folgt allerdings nicht daraus, dass sich der Soldat wegen Volksverhetzung nach § 130 Abs. 1 Nr. 1 StGB im disziplinarrechtlich erheblichen Umfang strafbar gemacht hätte. Zwar verbietet diese Vorschrift es, in einer Weise, die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören, zum Hass gegen Teile der Bevölkerung aufzustacheln oder zu Gewalt- und Willkürmaßnahmen aufzufordern. Dabei ist jedoch zu beachten, dass das Strafgesetzbuch ausländerfeindliche Äußerungen als solche nicht unter Strafe stellt (BVerfG, Beschluss vom 7. April 2001 – 1 BvQ 17/01 – NJW 2001, 2072 <2073>) und dass für ein Aufstacheln zum Hass eine besonders intensive Form der Einwirkung vonnöten ist (BGH, Urteil vom 20. September 2011 – 4 StR 129/11 – juris Rn. 38), an der es hier fehlt. Das Auffordern zu Gewalt- und Willkürmaßnahmen erfordert eine über bloßes Befürworten hinausgehendes, ausdrückliches Einwirken auf andere mit dem Ziel, in ihnen den Entschluss zu diskriminierenden Handlungen hervorzurufen, die elementaren Geboten der Menschlichkeit widersprechen (BGH, Beschluss vom 26. Juli 2017 – 3 StR 437/16 – NStZ-RR 2017, 386 <386>). Der Kommentar des Soldaten hat keinen ernsthaften, dahingehenden appellativen Charakter. Zudem war die Äußerung nicht geeignet, den öffentlichen Frieden zu stören.

Einschränkung der Meinungsfreiheit bei Soldaten (Rn. 25 f.)

Der Senat verkennt nicht, dass ein Soldat gemäß § 6 Satz 1 SG grundsätzlich die gleichen staatsbürgerlichen Rechte wie jeder andere Staatsbürger hat und dass sein Grundrecht auf Meinungsfreiheit nach Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG jedwede durch das Element der Stellungnahme und des Dafürhaltens gekennzeichnete Äußerung unabhängig davon schützt, ob sie sich als wahr oder unwahr erweisen, begründet oder grundlos, emotional oder rational, wertvoll oder wertlos, gefährlich oder harmlos sind (BVerfG, Beschluss vom 22. Juni 2018 – 1 BvR 2083/15 – NJW 2018, 2861 Rn. 13 f.). Allerdings schränkt § 17 Abs. 2 Satz 3 SG als allgemeines Gesetz im Sinne des Art. 5 Abs. 2 GG die Meinungsäußerungsfreiheit zum Schutz der Funktionsfähigkeit der Bundeswehr (Art. 17a Abs. 1 GG) ein (vgl. BVerfG, Kammerbeschluss vom 28. April 2007 – 2 BvR 71/07 – BVerfGK 11, 82 <86 f.>). Die Vorschrift gebietet es, auch bei außerdienstlichen Meinungsäußerungen darauf zu achten, dass die Achtung und das Vertrauen, die die dienstliche Stellung eines Soldaten erfordert, nicht beeinträchtigt wird. Dies erfordert es, auch beim außerdienstlichen Meinungsaustausch mit Kameraden das notwendige Maß an Besonnenheit, Toleranz und Verfassungsloyalität aufzubringen.

Dabei besteht zwischen Grundrechtsschutz und Grundrechtsschranken eine Wechselwirkung. Gesetzliche Regelungen, die die Meinungsfreiheit beschränken, sind aus der Erkenntnis der grundlegenden Bedeutung der Meinungsfreiheit ihrerseits wieder einschränkend auszulegen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 22. Juni 2018 – 1 BvR 2083/15 – NJW 2018, 2861 Rn. 18, Kammerbeschluss vom 28. April 2007 – 2 BvR 71/07 – BVerfGK 11, 82 <86>). Die danach gebotene Prüfung, ob bei Abwägung der geschützten Rechtsgüter im konkreten Einzelfall erhebliche Umstände für eine einschränkende Auslegung des § 17 Abs. 2 Satz 3 SG sprechen, führt hier dazu, dass selbst in einem privaten Forum von Mannschaftssoldaten jedenfalls keine radikalen und rechtsstaatswidrigen Parolen verbreitet werden dürfen, die mit der Stellung als Waffenträger unvereinbar sind. Der Senat trägt damit auch dem Umstand Rechnung, dass für Soldaten im Mannschaftsdienstgrad keine so weitgehende Mäßigungspflicht bei Äußerungen außer Dienst besteht, wie § 10 Abs. 6 SG sie für Unteroffiziere und Offiziere ausdrücklich vorsieht.

Inhalt der politischen Treuepflicht (Rn. 36 f.)

Damit hat der Soldat gegen seine politische Treuepflicht verstoßen. Die unabhängig von Dienstgrad bestehende Pflicht eines Soldaten nach § 8 SG verlangt von diesem zwar nicht, sich mit den Zielen oder einer bestimmten Politik der jeweiligen Bundesregierung oder der im Bundestag vertretenen Parteien zu identifizieren und sie zu unterstützen; sie verpflichtet ihn jedoch, die freiheitliche demokratische Grundordnung des Grundgesetzes zum einen anzuerkennen und zum anderen, durch sein gesamtes Verhalten für ihre Erhaltung einzutreten. Es handelt sich um eine Kernpflicht des Soldaten, deren Verletzung stets schwer wiegt (BVerwG, Urteil vom 23. März 2017 – 2 WD 16.16 – juris Rn. 67, 76 m.w.N.).

Der Begriff „freiheitliche demokratische Grundordnung“ in § 8 SG ist identisch mit dem Begriff der freiheitlichen demokratischen Grundordnung, wie er bezogen auf Art. 21 Abs. 2 GG konturiert worden ist. Daraus folgt unter Zugrundelegung der neueren Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu Art. 21 GG eine Konzentration auf wenige, zentrale Grundprinzipien, die für den freiheitlichen Verfassungsstaat schlechthin unentbehrlich sind (BVerfG, Urteil vom 17. Januar 2017 – 2 BvB 1/13 – BVerfGE 145, 20 Rn. 535). Ausgangspunkt für die Bestimmung des Begriffsinhalts ist danach die Würde des Menschen und das Demokratieprinzip, für das die Möglichkeit gleichberechtigter Teilnahme aller am politischen Willensbildungsprozess sowie die Rückbindung der Ausübung von Staatsgewalt an das Volk maßgeblich ist. Schließlich erfasst der Begriff den Grundsatz der Rechtsstaatlichkeit.

Verletzung der politischen Treuepflicht durch Verharmlosung der NS-Herrschaft (Rn. 38)

Mit der Pflicht aus § 8 SG ist folglich ein Verhalten unvereinbar, das objektiv geeignet oder gar darauf angelegt ist, die Ziele des NS-Regimes zu verharmlosen sowie Kennzeichen, Symbole oder sonstige Bestandteile der NS-Ideologie (wieder) gesellschaftsfähig zu machen. Denn das Grundgesetz bildet gleichsam den „Gegenentwurf zu dem Totalitarismus des nationalsozialistischen Regimes“ (vgl. BVerfG, Beschluss vom 4. November 2009 – 1 BvR 2150/08 – BVerfGE 124, 300 <328>). Der Treuepflicht zum Grundgesetz widersprechen somit alle Bestrebungen, die objektiv oder subjektiv darauf angelegt sind, im Sinne der „nationalsozialistischen Sache“ zu wirken. Dementsprechend liegt eine Verletzung der Pflicht nach § 8 SG dann vor, wenn ein Soldat Propagandamaterial einer NSDAP-Auslandsorganisation verbreitet, das „Horst-Wessel-Lied“ singt, Massenmorde an Menschen jüdischen Glaubens während des NS-Regimes leugnet, vor der NS-Hakenkreuzfahne oder anderen NS-Symbolen posiert, „Sieg Heil“ ruft, den „Hitler-Gruß“ verwendet oder wenn er Ausdrücke verwendet, die auf Sympathien zum NS-Regime und zur Waffen-SS schließen lassen (zusammenfassend: BVerwG, Urteil vom 22. Oktober 2008 – 2 WD 1.08 – BVerwGE 132, 179 Rn. 54).

Regelmaßnahme bei Verwendung nationalsozialistischer Symbole ohne verfassungsfeindliche Gesinnung (Rn. 44 f.)

Hierbei geht der Senat bei der Verletzung der politischen Treuepflicht aus § 8 SG durch das Zeigen eines „Hitlergrußes“ grundsätzlich von der Höchstmaßnahme aus, wenn dies zugleich Ausdruck einer nationalsozialistischen Gesinnung ist (BVerwG, Urteil vom 28. Februar 2002 – 2 WD 35.01 – Buchholz 236.1 § 8 SG Nr. 4 S. 24 f., Beschlüsse vom 29. August 2002 – 2 WDB 6.02 – jurion Rn. 24 und vom 9. Oktober 2019 – 2 WDB 3.19 – juris Rn. 23). Auch für andere Verhaltensweisen und Kundgabeformen, die Ausdruck einer tatsächlich verfassungsfeindlichen, nationalsozialistisch geprägten Gesinnung sind, kann nichts anderes gelten (vgl. BVerwG, Urteil vom 17. November 2017 – 2 C 25.17 – BVerwGE 160, 370 Rn. 25 f.). Denn in diesen Fällen liegt sowohl eine Verletzung der Anerkennungspflicht aus § 8 Alt. 1 SG als auch der Eintretenspflicht aus § 8 Alt. 2 SG vor.

eruht die Verwendung nationalsozialistischer Kennzeichen, Grußformen oder Rituale nicht auf einer verfassungsfeindlichen Einstellung, muss eine mildere Maßnahmeart den Ausgangspunkt der Zumessungserwägungen bilden. Dies folgt aus dem auch für das Disziplinarrecht geltenden Schuldprinzip sowie aus dem Übermaßverbot (BVerfG, Beschluss vom 12. August 2015 – 2 BvR 2646/13 – Rn. 25 m.w.N.). Beide Grundsätze gebieten eine differenzierende Abstufung des Ausgangspunkts der Zumessungserwägungen. Anderenfalls bestünde die Gefahr, dass generalpräventive Erwägungen eine allein ausschlaggebende Bedeutung erlangen, obgleich § 38 Abs. 1 WDO mit den spezialpräventiven Bemessungsfaktoren „Maß der Schuld“, „Persönlichkeit und bisherige Führung“ und – vor allem auch – „Beweggründe“ zum Ausdruck bringt, dass diese Aspekte gleichermaßen bedeutsam sind. Im Wehrdisziplinarrecht steht auch ansonsten nicht die Tat als solche im Vordergrund, sondern die durch sie zum Ausdruck gekommenen Charakter- und Persönlichkeitsmängel (BVerwG, Urteil vom 28. September 2018 – 2 WD 14.17 – Buchholz 459 § 11 SG Nr. 3 Rn. 101).

Allerdings gebieten Verhaltensweisen, die den irrigen Eindruck einer hohen Identifikation mit dem Nationalsozialismus vermitteln, die Dienstgradherabsetzung zum Ausgangspunkt der Zumessungserwägungen zu machen. Dazu gehört etwa das Erweisen des sogenannten Hitlergrußes (BVerwG, Urteil vom 23. März 2017 – 2 WD 16.16 – juris Rn. 76). Dies hat seinen Grund darin, dass der Hitlergruß Außenstehenden als Ausdruck der Verehrung des Führers des nationalsozialistischen Unrechtsregimes erscheinen muss und dass die öffentliche Verwendung dieses nationalsozialistischen Kennzeichens im Inland nach § 86a Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 StGB strafrechtlich untersagt ist. Ebenso spricht auch in anderen Fällen die strafrechtliche Ächtung eines entsprechenden Verhaltens für die Dienstgradherabsetzung als Regelmaßnahme, wobei die spezifisch strafrechtlichen Einschränkungen (Inlandsbezug, Öffentlichkeit) für die disziplinarrechtliche Einstufung nicht so bedeutsam sind, dass sie für eine Dienstgradherabsetzung zwingend vorliegen müssen (vgl. BVerwG, Urteil vom 17. November 2017 – 2 C 25.17 – BVerwGE 160, 370 Rn. 29, 74, 76).

Zeigt ein Soldat hingegen niedrigschwelligere, bagatellisierende Verhaltensweisen von einigem Gewicht, bildet grundsätzlich ein Beförderungsverbot den Ausgangspunkt der Zumessungserwägungen. Angesichts der großen Bandbreite möglicher niedrigschwelliger Verletzungen der politischen Treuepflicht ist eine Typisierung in diesem Bereich allerdings nur eingeschränkt möglich. Insbesondere bei einmaligen, unüberlegten oder aus jugendlicher Unreife verübten Verstößen im niedrigschwelligeren Bereich können gerichtliche Disziplinarmaßnahmen nach Maßgabe des § 38 Abs. 1 WDO unangemessen sein.

Volltext der Entscheidung auf der Website des Bundesverwaltungsgerichts: 2 WD 17.19

BVerwG 2 WD 17.19
TDG Süd 3. Kammer – 14.05.2019 – AZ: TDG S 3 VL 36/17

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