Bundesverwaltungsgericht entscheidet über eine Berufung nach der Wehrdisziplinarordnung (WDO) – Beschluss des 2. Wehrdienstsenats vom 16. Januar 2020 – BVerwG 2 WD 2.19
Leitsätze:
1. Der Grundsatz des einheitlichen Dienstvergehens verleiht dem Berufungsgericht nicht die Befugnis, weitere angeschuldigte Pflichtverletzungen abzuurteilen, wenn über sie erstinstanzlich noch nicht entschieden ist.
2. Da beim Disziplinarrecht nicht die Tat als solche im Vordergrund steht, sondern die durch sie zum Ausdruck gekommenen Charakter- und Persönlichkeitsmängel, können Gesichtspunkte zur Persönlichkeit und besondere Vertrauensbeeinträchtigungen eine bestimmte Disziplinarmaßnahme selbst dann gebieten, wenn sie nach Eigenart und Schwere des Dienstvergehens für sich genommen nicht verlangt wäre.
Hervorzuhebende Auszüge aus der Entscheidung
Umfang der Berufungsentscheidung, wenn über Nachtragsanschuldigung noch kein erstinstanzliches Urteil gefallen ist (Rn. 11)
Da der frühere Soldat die Berufung in vollem Umfang eingelegt hat, hat der Senat im Rahmen der Anschuldigung aufgrund eigener Tat- und Schuldfeststellungen unter Berücksichtigung des Verschlechterungsverbots (§ 91 Abs. 1 Satz 1 WDO i.V.m. § 331 StPO) über die angemessene Disziplinarmaßnahme zu befinden. Zu beurteilen sind dabei nach § 18 Abs. 2 WDO ebenfalls nur die am 12. Dezember 2016 angeschuldigten Vorwürfe. Über den zuletzt angeschuldigten Vorwurf hat der Senat nicht zu entscheiden, weil dazu noch kein erstinstanzliches Urteil ergangen und kein Berufungsverfahren anhängig ist, das mit dem vorliegenden Verfahren verbunden werden könnte. Würde man den nachträglich angeschuldigten Sachverhalt unmittelbar ins Berufungsverfahren einbeziehen, ginge dem früheren Soldaten eine Instanz verloren. Damit wäre der Rechtsweg des früheren Soldaten unzulässig verkürzt. Außerdem stünde der maßnahmeverschärfenden Berücksichtigung weiterer Anschuldigungspunkte das im vorliegenden Berufungsverfahren geltende Verschlechterungsverbot des § 91 Abs. 1 Satz 1 WDO i.V.m. § 331 StPO entgegen, so dass auch deswegen eine gleichzeitige Entscheidung nicht im Sinne von § 18 Abs. 1 WDO möglich ist. Soweit der Senat im Beschluss vom 5. Februar 2002 – 2 WDB 16.01 – (NZWehrr 2002, 214) eine abweichende Auffassung vertreten hat, hält er daran nicht mehr fest. Eine Aussetzung des Berufungsverfahrens bis zur erstinstanzlichen Entscheidung über die nachträgliche Anschuldigung würde dem Beschleunigungsgebot des § 17 Abs. 1 WDO widersprechen.
Regelmaßnahme bei mehreren Dienstvergehen (Rn. 24)
Auf der ersten Stufe bestimmt er zwecks Gleichbehandlung vergleichbarer Fälle sowie zur Rechtssicherheit und Voraussehbarkeit der Disziplinarmaßnahme eine Regelmaßnahme für die betreffende Fallgruppe als Ausgangspunkt der Zumessungserwägungen. Stehen – wie hier – mehrere Verfehlungen in Rede, ist von der Regelmaßnahme für diejenige Verfehlung auszugehen, die den Schwerpunkt des Dienstvergehens bildet.
Regelmaßnahme bei vorsätzlichem Verstoß gegen Sicherheitsvorschriften im Umgang mit Schusswaffen (Rn. 24)
Dies ist hier der vorsätzliche Verstoß gegen Sicherheitsvorschriften im Umgang mit Schusswaffen. Insoweit stellt eine Herabsetzung im Dienstgrad grundsätzlich eine angemessene Ahndung dar (BVerwG, Urteil vom 11. Dezember 2018 – 2 WD 12.18 – juris Rn. 36 m.w.N.). Dies gilt auch, wenn sich nach Überzeugung des Soldaten in einer auf die eigene Person gerichteten Waffe ein leeres Magazin befindet. Denn die missbräuchliche Verwendung von Waffen erfordert schon aus generalpräventiven Gründen eine strenge disziplinare Ahndung. Jeder „Scherz“ und jede Maßnahme zu Demonstrationszwecken bergen die Gefahr in sich, im Umgang mit der Waffe leichtfertig zu werden, was potenziell die körperliche Unversehrtheit von Personen gefährdet (vgl. auch BVerwG, Urteile vom 9. Februar 1993 – 2 WD 24.92 – NVwZ-RR 1993, 497 und vom 3. Februar 1998 – 2 WD 16.97 – BVerwGE 113, 182 <186>).
Nicht Tat als solche im Mittelpunkt des Disziplinarrechts (Rn. 37)
Die Vielzahl an Pflichtverstößen spricht für eine nicht nur situative, sondern prinzipielle und persönlichkeitsbedingte Neigung, immer wieder „über die Stränge zu schlagen“ und sich über Dienstvorschriften hinwegzusetzen. Da beim Disziplinarrecht nicht die Tat als solche im Vordergrund steht, sondern die durch sie zum Ausdruck gekommenen Charakter- und Persönlichkeitsmängel, können – die hier stark zum Nachteil des früheren Soldaten ins Gewicht fallenden – Gesichtspunkte zur Persönlichkeit und besondere Vertrauensbeeinträchtigungen eine hohe Disziplinarmaßnahme selbst dann rechtfertigen, wenn dies nach der Eigenart und Schwere des Dienstvergehens für sich genommen nicht indiziert ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 28. September 2018 – 2 WD 14.17 – Buchholz 449 § 11 SG Nr. 3 Rn. 101 m.w.N.).
Volltextveröffentlichung der Entscheidung auf der Website des Bundesverwaltungsgerichts: 2 WD 2.19
BVerwG 2 WD 2.19
TDG Süd 3. Kammer – 25.09.2018 – AZ: TDG S 3 VL 52/16