Bundesverwaltungsgericht entscheidet über eine Berufung nach der Wehrdisziplinarordnung (WDO) – Urteil des 2. Wehrdienstsenats vom 17. Juni 2021 – BVerwG 2 WD 21.20
Leitsatz:
Verursacht ein Soldat bei einer außerdienstlichen Fahrt fahrlässig den Tod eines anderen Verkehrsteilnehmers, ist in disziplinarrechtlicher Hinsicht ein Beförderungsverbot Ausgangspunkt der Zumessungserwägungen. Hat er dabei grob fahrlässig oder vorsätzlich eine Straßenverkehrsgefährdung im Sinne des § 315c StGB begangen, ist von einer Herabsetzung im Dienstgrad auszugehen.
Hervorzuhebende Auszüge aus der Entscheidung:
Regelmaßnahme bei außerdienstlicher fahrlässiger Tötung im Straßenverkehr (Rn. 21, 22, 23, 24, 25)
Eine gefestigte Rechtsprechung zum Ausgangspunkt der Zumessungserwägungen für Fälle, in denen ein außerdienstliches und in strafrechtlicher Hinsicht ausschließlich als fahrlässige Tötung (§ 222 StGB) im Straßenverkehr zu qualifizierendes Verhalten im Raum steht, besteht bislang nicht. Der Senat erachtet in Fällen dieser Art bei aktiven Soldaten ein Beförderungsverbot gemäß § 58 Abs. 1 Nr. 2 i.V.m. § 60 WDO für angemessen. Dies entspricht dem Gebot kohärenter Rechtsprechung:
Der Senat hat bislang in Fällen eines fahrlässig verursachten Verkehrsunfalls mit Todesfolge nur dann eine Dienstgradherabsetzung (§ 58 Abs. 1 Nr. 4, Abs. 2 Nr. 3 WDO) als Ausgangspunkt der Zumessungserwägungen festgelegt, wenn in dienst- oder strafrechtlicher Hinsicht zusätzliche erschwerende Umstände vorlagen. Dies hat seinen Grund darin, dass im Straßenverkehr schon bei geringen Unachtsamkeiten Unfälle mit tragischen Folgen vorkommen können und dass für die disziplinare Bewertung das Handlungsunrecht und nicht das Erfolgsunrecht im Vordergrund steht. In disziplinarrechtlicher Hinsicht wirkt es erschwerend, wenn ein Soldat im Rahmen einer Dienstfahrt fahrlässig einen Verkehrsunfall verursacht, bei dem ein Mensch zu Tode kommt (BVerwG, Urteil vom 11. Dezember 2018 – 2 WD 12.18 – Buchholz 450.2 § 38 WDO 2002 Nr. 61 Rn. 34 ff.). In strafrechtlicher Hinsicht wirkt es erschwerend, wenn durch eine vorsätzliche außerdienstliche Straßenverkehrsgefährdung fahrlässig der Tod eines Menschen verursacht wird (BVerwG, Urteil vom 25. August 2017 – 2 WD 2.17 – Buchholz 450.2 § 38 WDO 2002 Nr. 54 Rn. 52 ff.). Nichts anderes gilt, wenn grob fahrlässig und damit dicht an der Schwelle zu bedingt vorsätzlichem Verhalten eine Straßenverkehrsgefährdung nach § 315c Abs. 1 Nr. 1 (a) StGB begangen wird, da dies sowohl im Fall des § 315c Abs. 3 Nr. 1 StGB (sog. Vorsatz-Fahrlässigkeits-Kombination) als auch im Fall des § 315c Abs. 3 Nr. 2 StGB (sog. Fahrlässigkeits-Fahrlässigkeits-Kombination) gleichermaßen mit einer Freiheitsstrafe von bis zu zwei Jahren oder einer Geldstrafe geahndet werden kann (vgl. BVerwG, Urteil vom 23. Januar 2020 – 2 WD 1.19 – Buchholz 450.2 § 38 WDO 2002 Nr. 71 Rn. 20).
Einer Vergleichbarkeit mit der vorliegenden Fallkonstellation steht bereits entgegen, dass Eigenart und Schwere des Dienstvergehens neben dem außerdienstlichen Charakter vor allem dadurch geprägt werden, dass strafrechtlich ausschließlich der Tatbestand der fahrlässigen Tötung (nach § 222 StGB) verwirklicht worden ist, nicht aber zusätzlich auch der Straftatbestand der Straßenverkehrsgefährdung (vgl. BVerwG, Urteil vom 30. Januar 2017 – 2 WD 1.16 – Rn. 52 und 82). Die Strafgerichte haben namentlich den Gefährdungsstraftatbestand des § 315c Abs. 1 Nr. 2 e StGB („an unübersichtlichen Stellen nicht die rechte Seite der Fahrbahn einhält“) abgelehnt. Denn der frühere Soldat ist nicht an einer unübersichtlichen Stelle auf der falschen Fahrbahn gefahren und hat damit keinen Verkehrsverstoß begangen, der vom Gesetzgeber als so schwerwiegend angesehen wird, dass er unabhängig von den Folgen stets mit einer Strafe bedroht wird.
Dass der frühere Soldat beim Fahrbahnwechsel eine durchgezogene Linie missachtet, damit gegen Zeichen 295 der Anlage 2 zu § 41 Abs. 1 StVO verstoßen und gemäß § 49 Abs. 3 Nr. 4 StVO eine Ordnungswidrigkeit begangen hat, ändert daran nichts. Damit hat er kein zusätzliches kriminelles Unrecht (BVerwG, Urteil vom 14. November 1996 – 2 WD 31.96 – BVerwGE 113, 95 = juris Rn. 10), sondern nur eine rechtswidrige Handlung verwirklicht, die für sich genommen lediglich mit einer Geldbuße geahndet werden darf (§ 1 Abs. 1 OWiG). Einer zusätzlichen Ordnungswidrigkeit kann aber nicht das gleiche erschwerende Gewicht wie einer weiteren Straftat zukommen. Daher kann in den Fällen einer außerdienstlichen fahrlässigen Tötung im Straßenverkehr – ohne Straßenverkehrsgefährdung – nicht die Dienstgradherabsetzung den Ausgangspunkt der Zumessungserwägungen bilden.
Vielmehr ist bei aktiven Soldaten regelmäßig von einem Beförderungsverbot auszugehen, weil dies bei generalisierender Betrachtungsweise die nächstmildere Maßnahme ist. Dass im konkreten Fall der frühere Soldat Bezüge nach der Besoldungsgruppe A 7 erhalten hat und somit bei ihm – wie vom Bundeswehrdisziplinaranwalt beantragt – auch nach § 58 Abs. 2 Nr. 2 i.V.m. § 61 WDO die Herabsetzung der Besoldungsgruppe eine zulässige Disziplinarmaßnahme bildet, weil das Amt des Obermaats der Besoldungsgruppe A 6 und A 7 zugewiesen ist, ändert an der Bestimmung der auf der ersten Stufe maßgeblichen Maßnahmeart nichts. Weil nur wenige Ämter mehreren Besoldungsgruppen zugewiesen sind, stellt die Herabsetzung in der Besoldungsgruppe die Ausnahme im Kanon zulässiger Disziplinarmaßnahmen dar. Sie kann daher nicht bei einer Vielzahl vergleichbarer Dienstvergehen zum Ausgangspunkt der Zumessungserwägungen gewählt werden (BVerwG, Urteil vom 25. März 2021 – 2 WD 13.20 – juris Rn. 21).
Voraussetzungen des § 16 WDO (Rn. 34, 35, 36)
Nach § 16 Abs. 1 Nr. 2 WDO darf neben einer strafrechtlichen Verurteilung, wie sie vorliegend gegen den früheren Soldaten wegen desselben Sachverhalts ausgesprochen worden ist, eine Kürzung des Ruhegehalts nur verhängt werden, wenn dies noch für die Aufrechterhaltung der militärischen Ordnung erforderlich ist oder wenn das Ansehen der Bundeswehr durch das Fehlverhalten ernsthaft beeinträchtigt wurde. Beide Ausnahmevoraussetzungen sind nicht erfüllt.
Eine Beeinträchtigung des Ansehens der Bundeswehr, also ihres „guten Rufs“ bei Außenstehenden, liegt dann vor, wenn der betreffende Soldat als „Repräsentant“ der Bundeswehr oder eines bestimmten Truppenteils anzusehen ist und sein Verhalten negative Rückschlüsse auf die Streitkräfte als Angehörige eines – an Recht und Gesetz gebundenen – Organs des Rechtsstaats Bundesrepublik Deutschland zulässt; hierbei muss die Ansehensschädigung im konkreten Fall tatsächlich eingetreten sein (BVerwG, Urteil vom 14. Mai 2019 – 2 WD 24.18 – Buchholz 450.2 § 38 WDO 2002 Nr. 64 Rn. 35). Ein solcher Fall ist nicht gegeben, da in den Medien über die Pflichtverletzung nicht unter Hinweis auf den Beruf des früheren Soldaten berichtet worden ist und ein Bekanntwerden allein bei den Strafverfolgungsorganen (vgl. BVerwG, Urteil vom 7. Februar 2013 – 2 WD 36.12 – juris Rn. 43) oder bei einer Einzelperson dafür noch nicht ausreicht.
Im Hinblick auf die hier erneut bekräftigte Rechtsprechung zur disziplinarischen Relevanz außerdienstlicher Pflichtverletzungen – insbesondere zum Fehlverhalten von Soldaten im Straßenverkehr – ist ebenfalls nicht zu befürchten, dass das Absehen von einer Disziplinarmaßnahme bei gleichzeitiger Feststellung eines Dienstvergehens eine negative Beispielswirkung auslösen könnte. Daher kommt generalpräventiven Aspekten keine Bedeutung zu. Da sich der frühere Soldat nach dem vor über fünf Jahren begangenen Dienstvergehen bis zu seinem Ausscheiden bewährt hat, er insbesondere keine weiteren Pflichtverletzungen begangen hat, besteht keine Wiederholungsgefahr. Auch spezialpräventive Aspekte fordern keine Disziplinarmaßnahme mehr, zumal der frühere Soldat nicht mehr im aktiven Dienst steht. Auch deuten keine Umstände darauf hin, dass er nach dem Dienstvergehen Handlungen begangen hat, die seine Fahreignung in Frage stellten.
Volltextveröffentlichung der Entscheidung auf der Website des Bundesverwaltungsgerichts: 2 WD 21.20
BVerwG 2 WD 21.20
TDG Nord 5. Kammer – 11.06.2020 – AZ: TDG N 5 VL 7/18