Bundesverwaltungsgericht entscheidet über eine Berufung nach der Wehrdisziplinarordnung (WDO) – Urteil des 2. Wehrdienstsenats vom 8. Juli 2021 – BVerwG 2 WD 22.20
Leitsätze:
- Bei einer außerdienstlichen Straftat eines Soldaten nach § 201a StGB (2015) ist
Ausgangspunkt der Zumessungserwägungen für die zu verhängende Disziplinarmaßnahme ein Beförderungsverbot. - Eine Herabsetzung eines Unteroffiziers ohne Portepee in die Dienstgrade eines
Stabskorporals und eines Korporals ist ausgeschlossen.
Hervorzuhebende Auszüge aus der Entscheidung:
Abmilderung einer Disziplinarmaßnahme bei Berufung der Wehrdisziplinaranwaltschaft (Rn. 9)
Eine Abmilderung der vom Truppendienstgericht verhängten Disziplinarmaßnahme war möglich; gemäß § 123 Satz 3, § 91 Abs. 1 Satz 1 WDO i.V.m. § 301 StPO hat jedes von der Wehrdisziplinaranwaltschaft eingelegte Rechtsmittel die Wirkung, dass die angefochtene Entscheidung auch zugunsten des angeschuldigten Soldaten geändert oder aufgehoben werden kann (vgl. BVerwG, Urteil vom 13. September 2011 – 2 WD 15. 10 – juris Rn. 21).
Anforderungen an die Bindungswirkung gem. § 84 II WDo bei einem Strafbefehl (Rn. 13)
Nach § 84 Abs. 2 WDO können der Entscheidung im gerichtlichen Disziplinarverfahren die in einem anderen gesetzlich geordneten Verfahren getroffenen tatsächlichen Feststellungen ohne nochmalige Prüfung zugrunde gelegt werden. Dies gilt auch für tatsächliche Feststellungen, die in einem Strafbefehlsverfahren getroffen wurden (vgl. BVerwG, Urteile vom 7. März 2019 – 2 WD 11.18 – BVerwGE 165, 33 Rn. 13 und vom 11. September 2019 – 2 WD 26.18 – Buchholz 449 § 23 SG Nr. 3 Rn. 17).
Disziplinarwürdigkeit außerdienstlicher Straftaten (Rn. 16)
Bei außerdienstlichen Straftaten sind die aus dem Verstoß gegen die Strafrechtsordnung resultierenden Zweifel an der Rechtstreue eines Soldaten und damit an seiner Achtungs- und Vertrauenswürdigkeit umso größer, je höher die Sanktionsdrohung der betreffenden Strafnorm ist (BVerwG, Urteil vom 16. Januar 2020 – 2 WD 2.19 – Buchholz 450.2 § 18 WDO 2002 Nr. 1 Rn. 21). Ermöglicht der Strafrahmen eine Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren, kann hieraus bereits die Disziplinarwürdigkeit des außerdienstlichen Fehlverhaltens folgen (BVerwG, Urteil vom 24. August 2018 – 2 WD 3.18 – BVerwGE 163, 16 Rn. 53). Andernfalls bedarf es zur Begründung einer allein aus Zweifeln an der Rechtstreue des Soldaten resultierenden Disziplinarwürdigkeit außerdienstlichen Fehlverhaltens zusätzlicher Umstände (vgl. BVerwG, Urteil vom 16. Januar 2020 – 2 WD 2.19 – Buchholz 450.2 § 18 WDO 2002 Nr. 1 Rn. 21). Solche sind etwa eine wiederholte Begehung oder eine einschlägige Vorbelastung (vgl. BVerwG, Urteil vom 24. August 2018 – 2 WD 3.18 – BVerwGE 163, 16 Rn. 55).
Erstmalige Festlegung der Regelmaßnahme bei Verletzung des § 201a StGB (Rn. 28)
Eine gefestigte Rechtsprechung zum Ausgangspunkt der Zumessungserwägungen bei außerdienstlichen Straftaten nach § 201a StGB 2015 gibt es nicht. Der Senat erachtet insoweit bei aktiven Soldaten ein Beförderungsverbot nach § 58 Abs. 1 Nr. 2 i.V.m. § 60 WDO und bei Soldaten im Ruhestand und früheren Soldaten, die – wie hier wegen der einbehaltenen Übergangsbeihilfe – gemäß § 1 Abs. 3 WDO als solche gelten, eine Kürzung des Ruhegehalts nach § 58 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. § 64 WDO als angemessen. Denn einer außerdienstlichen Straftat nach § 201a StGB 2015 kommt im Regelfall ein deutlich geringeres Gewicht zu als einer Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereichs durch die Herstellung heimlicher Filmaufnahmen in einer innerhalb dienstlicher Unterkünfte gelegenen Stube einer Kameradin, bei der Ausgangspunkt der Zumessungserwägungen die Dienstgradherabsetzung ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 16. Februar 2017 – 2 WD 14.16 – Buchholz 450.2 § 38 WDO 2002 Nr. 53, 1. Leitsatz).
Keine Degradierung in den Dienstgrad eines Korporals oder Stabskorporals möglich (Rn. 36)
Denn eine Herabsetzung in einen der beiden mit § 11 der Verordnung zur Änderung des Dienstrechts der Soldatinnen und Soldaten vom 28. Mai 2021 (BGBl. I S. 1228) neu eingeführten, nunmehr obersten beiden Mannschaftsdienstgrade des Stabskorporals und des Korporals ist ausgeschlossen. Zum einen sind diese Dienstgrade nur für die leistungsstärksten Mannschaftssoldaten vorgesehen, die mehr Verantwortung übernehmen und im Rahmen von Beförderungen nach dem Prinzip der Bestenauswahl ausgesucht werden (vgl. BT-Drs. 19/22378, S. 1 und BT-Drs. 19/22889, S. 1). Zum anderen ist die Besoldung eines Stabskorporals (Besoldungsgruppe A 6 nebst Amtszulage) und eines Korporals (Besoldungsgruppe A 6) jeweils höher als diejenige eines Unteroffiziers (Besoldungsgruppe A 5). Die mehrfache Degradierung eines Stabsunteroffiziers mit Besoldungsgruppe A 6 in einen der beiden neuen Mannschaftsdienstgrade könnte damit zur Folge haben, dass er dieselbe oder sogar eine höhere Besoldung als zuvor erhielte, was dem Sinn und Zweck des Wehrdisziplinarrechts zuwiderliefe.
Maßnahmemilderung bei überlanger Dauer des Disziplinarverfahrens (Rn. 38)
In Fällen, in denen – wie hier – die Höchstmaßnahme ausscheidet und deshalb eine pflichtenmahnende Disziplinarmaßnahme geboten ist, ist eine gegen Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK und Art. 19 Abs. 4, Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG verstoßende, unangemessene Verfahrensdauer bei der Bestimmung der Disziplinarmaßnahme aus Gründen der Verhältnismäßigkeit mildernd zu berücksichtigen (vgl. BVerwG, Urteil vom 8. September 2020 – 2 WD 18.19 – juris Rn. 75 m.w.N.). Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte kann der für die Verfahrensdauer maßgebliche Zeitraum bereits vor dem Gerichtsverfahren beginnen und ein vorgeschriebenes behördliches Vorschaltverfahren umfassen (vgl. EGMR, Urteile vom 16. Juli 2009 – 8453/04, Bayer/Deutschland – NVwZ 2010, 1015 Rn. 44 und vom 15. Juli 2010 – 9143/08, Sikic/Kroatien – HUDOC Rn. 33). Dementsprechend können auch unangemessene Verzögerungen in einem wehrdisziplinarischen Vorermittlungsverfahren zu berücksichtigen sein (vgl. BVerwG, Urteile vom 2. Juli 2020 – 2 WD 9.19 – juris Rn. 35 und vom 15. Oktober 2020 – 2 WD 1.20 – juris Rn. 41).
Volltextveröffentlichung der Entscheidung auf der Website des Bundesverwaltungsgerichts: 2 WD 22.20
BVerwG 2 WD 22.20
TDG Süd 7. Kammer – 22.07.2020 – AZ: TDG S 7 VL 07/19