Bundesverwaltungsgericht entscheidet über eine Berufung nach der Wehrdisziplinarordnung (WDO) – Beschluss des 2. Wehrdienstsenats vom 7. Oktober 2021 – BVerwG 2 WD 23.20
Leitsätze:
1. Die Kameradschaftspflicht gebietet, das allgemeine Persönlichkeitsrecht eines anderen Soldaten unabhängig von einer sozial-individuellen Nähebeziehung zu achten.
2. Bei unbefugter Verbreitung des Bildnisses eines Kameraden bildet ein Beförderungsverbot den Ausgangspunkt der disziplinarrechtlichen Zumessungserwägungen.
Hervorzuhebende Auszüge aus der Entscheidung:
Bindungswirkung des Truppendienstgerichts-Urteils bei maßnahmenbeschränkter Berufung (Rn. 22)
Denn bei einer auf die Bemessung der Disziplinarmaßnahme beschränkten Berufung hat der Senat seiner Entscheidung gemäß § 91 Abs. 1 Satz 1 WDO i.V.m. § 327 StPO grundsätzlich nicht nur die Tat- und Schuldfeststellungen, sondern auch die disziplinarrechtliche Würdigung des Truppendienstgerichts zugrunde zu legen und auf dieser Grundlage über die angemessene Disziplinarmaßnahme zu befinden.
Erstmalige Bestimmung der Regelmaßnahme bei unbefugter Verwendung von Bildnissen eines anderen Soldaten (Rn. 25 ff.)
Eine Senatsrechtsprechung zum Ausgangspunkt der Zumessungserwägungen für Fälle, in denen ein Soldat unter Verstoß gegen § 22 KunstUrhG Bildnisse eines anderen Soldaten verbreitet oder öffentlich zur Schau stellt, besteht nicht. Der Senat erachtet in diesem Fall grundsätzlich ein Beförderungsverbot nach § 58 Abs. 1 Nr. 2, § 60 WDO für angemessen. Denn das Recht am eigenen Bild ist eine besondere Ausprägung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts, das sich aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG ableitet (BGH, Urteil vom 13. Oktober 2015 – VI ZR 271/14 – BGHZ 207, 163 Rn. 30); der Gesetzgeber hat die unberechtigte Verbreitung eines Bildnisses jedoch gemäß § 33 Abs. 2 KunstUrhG als Antragsdelikt ausgestaltet und sie gemäß § 33 Abs. 1 KunstUrhG lediglich mit einer Geldstrafe oder mit einer Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr geahndet. Dieser gesetzgeberischen Wertung ist bei der Maßnahmebemessung ebenso Rechnung zu tragen wie den Fallgruppen, für die der Senat bereits den Ausgangspunkt der Zumessungserwägungen bestimmt hat. Im Einzelnen:
Nach der bisherigen Senatsrechtsprechung erlangen außerdienstliche Straftaten regelmäßig erst dann eine disziplinare Erheblichkeit im Sinne des § 17 Abs. 2 Satz 3 SG, wenn sie mit einer Freiheitsstrafe im mittleren Bereich sanktioniert werden können (BVerwG, Urteile vom 20. März 2014 – 2 WD 5.13 – BVerwGE 149, 224 Rn. 60 und vom 1. Oktober 2020 – 2 WD 20.19 – Buchholz 450.2 § 38 WDO 2002 Nr. 84 Rn. 21 m.w.N.) oder zusätzliche qualifizierende Umstände vorliegen (vgl. BVerwG, Urteil vom 24. August 2018 – 2 WD 3.18 – BVerwGE 163, 16 Rn. 53 zu Beleidigungen gegenüber Polizeibeamten). Dabei orientiert sich der Senat im Hinblick auf die Bestimmung des Ausgangspunktes der Zumessungserwägungen sowohl am Strafrahmen als auch daran, ob das Opfer der Straftat ein Kamerad ist. So hält er etwa bei einem vorsätzlichen Zugriff auf Eigentum und Vermögen von Kameraden – wie einem mit einer Freiheitsstrafe von bis zu fünf Jahren bewerteten Diebstahl (§ 242 StGB) – als Regelmaßnahme eine Dienstgradherabsetzung für angemessen (vgl. BVerwG, Urteile vom 12. Juli 2018 – 2 WD 1.18 – Buchholz 450.2 § 38 WDO 2002 Nr. 58 Rn. 38 und vom 24. Oktober 2019 – 2 WD 25.18 – juris Rn. 18). Demgegenüber ist bei einer nicht gegen einen Kameraden gerichteten außerdienstlichen Straftat eines Soldaten nach § 201a StGB (Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereichs und von Persönlichkeitsrechten durch Bildaufnahmen), die mit einer Freiheitsstrafe von bis zu zwei Jahren oder Geldstrafe bestraft wird, Ausgangspunkt der Zumessungserwägungen ein Beförderungsverbot (vgl. BVerwG, Urteil vom 8. Juli 2021 – 2 WD 22.20 – juris 1. LS).
Es entspricht dem Gebot kohärenter Rechtsprechung, die unbefugte Verbreitung des Bildnisses eines anderen Soldaten, die sich schlicht darin erschöpft, dessen Bildnis im Sinne des § 22 KunstUrhG öffentlich – und unter Umständen kommerziell motiviert – zur Schau zu stellen und mit Blick auf die einerseits niedrigere Strafbewertung und die andererseits besondere Bedeutung der Kameradschaftspflicht ebenfalls im Regelfall mit einem Beförderungsverbot zu ahnden.
Dies gilt jedenfalls dann, wenn es sich – wie hier – um die Veröffentlichung sozial adäquater Ablichtungen und nicht um die Verbreitung intimer oder kompromittierender Bilder handelt. Insoweit ist zu berücksichtigen, dass die Kameradschaftspflicht – im Gegensatz zu § 17 Abs. 2 Satz 2 und Satz 3 SG – keine zeitliche und örtliche Beschränkung kennt (Scherer/Alff/Poretschkin/Lucks, SG, 10. Aufl. 2018, § 12 Rn. 2b). Sie verpflichtet dazu, die Rechte eines anderen Soldaten zu achten, das heißt nicht zu verletzen und nicht zu gefährden (BVerwG, Urteil vom 16. April 2002 – 2 WD 43.01 – Buchholz 236.1 § 12 SG Nr. 18 S. 42; Scherer/Alff/Poretschkin/Lucks, SG, 10. Aufl. 2018, § 12 Rn. 8). Dabei kann die Verletzung immaterieller Rechtsgüter insbesondere des allgemeinen Persönlichkeitsrechts – wie der ausdrückliche Hinweis auf „Würde“ und „Ehre“ in § 12 Satz 2 SG verdeutlicht – nicht per se wesentlich geringer gewichtet werden als die Verletzung materieller Güter.
Volltext der Entscheidung auf der Website des Bundesverwaltungsgerichts: 2 WD 23.20
BVerwG 2 WD 23.20
TDG Nord 5. Kammer – 24.06.2020 – AZ: TDG N 5 VL 16/18