Bundesverwaltungsgericht entscheidet über eine Berufung nach der Wehrdisziplinarordnung (WDO) – Urteil des 2. Wehrdienstsenats vom 24. Oktober 2019 – BVerwG 2 WD 25.18
Hervorzuhebende Auszüge aus der Entscheidung:
Bestimmung des Prozessstoffes bei maßnahmenbeschränkter Berufung (Rn. 16)
Das vom früheren Soldaten eingelegte Rechtsmittel ist auf die Bemessung der Disziplinarmaßnahme beschränkt worden. Der Senat hat daher gemäß § 91 Abs. 1 Satz 1 WDO in Verbindung mit § 327 StPO die Tat- und Schuldfeststellungen sowie die disziplinarrechtliche Würdigung des Truppendienstgerichts seiner Entscheidung zugrunde zu legen und auf dieser Grundlage über die angemessene Disziplinarmaßnahme zu befinden. Denn bei einer auf die Bemessung der Disziplinarmaßnahme beschränkten Berufung wird der Prozessstoff nicht mehr von der Anschuldigungsschrift, sondern nur von den bindenden Tat- und Schuldfeststellungen des angefochtenen Urteils bestimmt. Diese Schuldfeststellungen sind eindeutig und widerspruchsfrei. Ob die Voraussetzungen des § 21 StGB vorliegen, war vom Truppendienstgericht ohne strafgerichtliche Bindung nach § 84 Abs. 1 Satz 1 WDO zu überprüfen, so dass auch kein Widerspruch zu den strafgerichtlichen Feststellungen besteht, in denen sich dazu keine Ausführungen finden (vgl. BVerwG, Urteil vom 12. März 2015 – 2 WD 3.14 – juris Rn. 58).
Regelmaßnahme bei vorsätzlichem Zugriff auf Eigentum und Vermögen von Kameraden und Kameradengemeinschaften (Rn. 18)
Auf der ersten Stufe ist im Hinblick auf das Gebot der Gleichbehandlung vergleichbarer Fälle sowie im Interesse der rechtsstaatlich gebotenen Rechtssicherheit und Voraussehbarkeit der Disziplinarmaßnahme eine Regelmaßnahme für die in Rede stehende Fallgruppe als „Ausgangspunkt der Zumessungserwägungen“ zu bestimmen. In Fällen des vorsätzlichen Zugriffs auf Eigentum und Vermögen von Kameraden oder Kameradengemeinschaften („Griff in die Kameradenkasse“) bildet Ausgangspunkt der Zumessungserwägungen danach grundsätzlich die – auch bei Soldaten im Ruhestand nach § 58 Abs. 2 Nr. 3 WDO zulässige – Degradierung. Je nach Erforderlichkeit kommt eine Herabstufung um einen oder mehrere Dienstgrade, gegebenenfalls bis in einen Mannschaftsdienstgrad, in Betracht. Die zweithöchste gerichtliche Disziplinarmaßnahme kann grundsätzlich dem Unrechtsgehalt der in Rede stehenden Pflichtverletzungen Rechnung tragen, der zum einen durch das hohe Gewicht der Kameradschaftspflicht für die Funktionsfähigkeit der Streitkräfte, zum anderen aber auch durch den mildernden Gesichtspunkt bestimmt wird, dass kein Fehlverhalten bei der Erfüllung der dienstlichen Aufgaben im engeren Sinne und nicht zulasten des Dienstherrn in Rede steht (BVerwG, Urteil vom 12. Juli 2018 – 2 WD 1.18 – juris Rn. 38 m.w.N.).
Verhältnis der Disziplinarmaßnahmen zu Strafen und Ordnungsmaßnahmen (Rn. 26 ff.)
Einer Kürzung des Ruhegehalts nach § 58 Abs. 2 Nr. 1 WDO steht auch nicht § 16 Abs. 1 Nr. 2 WDO entgegen. Das Verfahren ist deshalb nicht einzustellen (§ 108 Abs. 3 Satz 1 WDO) und die Berufung insoweit erfolglos.
Zwar ist gegen den früheren Soldaten ein rechtskräftiges Strafurteil ergangen; das Bedürfnis nach einer disziplinarischen Ahndung der Pflichtverletzungen ist dadurch jedoch nicht erloschen. Zwar liegt keine Beeinträchtigung des Ansehens der Bundeswehr, also ihres „guten Rufs“ bei Außenstehenden vor. Das wäre nur der Fall, wenn der betreffende Soldat als „Repräsentant“ der Bundeswehr oder eines bestimmten Truppenteils anzusehen ist und sein Verhalten negative Rückschlüsse auf die Streitkräfte als Angehörige eines – an Recht und Gesetz (Art. 20 Abs. 3 GG), insbesondere an die Grundrechte (Art. 1 Abs. 3 GG) gebundenen – Organs des sozialen und demokratischen Rechtsstaats zulässt; hierbei muss die Ansehensschädigung im konkreten Fall tatsächlich eingetreten sein (BVerwG, Urteil vom 14. Mai 2019 – 2 WD 24.18 – juris Rn. 35 m.w.N.). Vorliegend gibt es jedoch keinen Hinweis darauf, dass über die Pflichtverletzung des früheren Soldaten in den Medien unter Hinweis auf seinen Beruf berichtet worden ist. Eine Ansehensschädigung tritt durch ein Bekanntwerden allein bei den Strafverfolgungsorganen nicht ein (BVerwG, Urteil vom 7. Februar 2013 – 2 WD 36.12 – juris Rn. 43).
§ 16 Abs. 1 Nr. 2 Alt. 1 WDO eröffnet jedoch eine disziplinarische Ahndung weiterhin dann, wenn der Verzicht auf die Disziplinarmaßnahme die militärische Ordnung zumindest gefährden würde (Dau, WDO, 8. Aufl. 2017, § 16 Rn. 15 m.w.N.). Dabei meint der Begriff der militärischen Ordnung den sich bei Beachtung der für die Bundeswehr geltenden Rechtsnormen, Befehle und Grundsätze ergebenden Zustand von Personal und Material, dessen die Bundeswehr zur Erfüllung ihres Verteidigungsauftrages bedarf. Bei der hiernach erforderlichen Prognose spielen nicht allein spezialpräventive Aspekte und die individuell verursachte Gefährdung der militärischen Ordnung durch den (früheren) Soldaten eine Rolle. Denn § 16 Abs. 1 Nr. 2 WDO erlaubt gerade auch die vorliegend in Rede stehende Kürzung des Ruhegehaltes. Damit erfasst er auch Soldaten im Ruhestand und diesen nach § 1 Abs. 3 WDO gleichgestellte Soldaten, von denen nach dem Dienstzeitende eine Gefährdung der militärischen Ordnung in der Regel außerhalb von der Teilnahme an Wehrübungen nicht mehr ausgeht. Bei dem früheren Soldaten sprechen jedoch generalpräventive Erwägungen nachdrücklich für das Erfordernis einer Disziplinarmaßnahme. Denn er hat ein im Kameradenkreis erhebliche Unruhe verursachendes Dienstvergehen begangen, das wegen seiner Folgen, Eigenart und Schwere (dazu: BVerwG, Urteil vom 16. Mai 2012 – 2 WD 8.11 – juris Rn. 26) von solchem Gewicht war, das an sich das Ruhegehalt (nach § 58 Abs. 2 Nr. 4 WDO) hätte aberkannt werden müssen, wenn nicht besondere Milderungsgründe in der Person und den Umständen der Tat vorgelegen hätten. Von einer disziplinarischen Sanktion abzusehen, würde daher dazu führen, die bereits massiv zugunsten des früheren Soldaten berücksichtigten Milderungsumstände doppelt zu gewichten (BVerwG, Urteil vom 7. März 2013 – 2 WD 28.12 – juris Rn. 56), und im Kameradenkreis zudem den Eindruck der Bagatellisierung eines schweren Dienstvergehens entstehen lassen.
Volltext der Entscheidung auf der Website des Bundesverwaltungsgerichts: 2 WD 25.18
BVerwG 2 WD 25.18
TDG Süd 3. Kammer – 05.06.2018 – AZ: TDG S 3 VL 19/16