Bundesverwaltungsgericht entscheidet über eine Berufung nach der Wehrdisziplinarordnung (WDO) – Beschluss des 2. Wehrdienstsenats vom 4. November 2021 – BVerwG 2 WD 5.20
Leitsätze:
1. Beim Einbringen von nationalsozialistischer Kennzeichen in eine Bundeswehrkaserne bildet ein Beförderungsverbot den Ausgangspunkt der disziplinarrechtlichen Zumessungserwägungen.
2. Wird das Verwenden der nationalsozialistischen Kennzeichen nicht angeschuldigt, kann es nicht maßnahmeverschärfend berücksichtigt werden.
Hervorzuhebende Auszüge aus der Entscheidung:
Gegenstand der Urteilsfindung (Rn. 17 f.)
Zum Gegenstand der Urteilsfindung dürfen gemäß § 123 Satz 3 i.V.m. § 107 Abs. 1 WDO nur die angeschuldigten Pflichtverletzungen gemacht werden. Demzufolge muss der in der Anschuldigungsschrift gemäß § 99 Abs. 1 Satz 2 WDO zu bezeichnende Vorwurf so deutlich und klar sein, dass Umfang und Grenzen des Prozessstoffes konkret bestimmt sind und sich der Soldat für seine Verteidigung darauf einstellen kann (zur Umgrenzungs- und Informationsfunktion: BVerwG, Beschluss vom 13. April 2021 – 2 WDB 1.21 – NZWehrr 2021, 212 <213 ff.>). Nach Maßgabe dessen beschränkt sich der dem Soldaten in der Anschuldigungsformel gegenüber erhobene Vorwurf darauf, die inkriminierte Tasse in die Kaserne eingebracht und aufbewahrt zu haben. Angeschuldigt worden ist nicht, sie anderen zur Schau gestellt zu haben.
Zwar ist grundsätzlich nicht schädlich, dass in der Anschuldigungs- wie in der Nachtragsanschuldigungsschrift als verletzte Dienstpflicht nur die innerdienstliche Wohlverhaltenspflicht und die Pflicht zum treuen Dienen bezeichnet wurden. Denn der Senat hat den konkret angeschuldigten Sachverhalt unter allen in Betracht kommenden disziplinarrechtlichen Gesichtspunkten zu würdigen, sodass es nicht darauf ankommt, ob die Anschuldigungsschrift die verletzten Pflichten des Soldatengesetzes zutreffend und vollständig nennt. Die Rechtsausführungen in der Anschuldigungsschrift geben den Wehrdienstgerichten nicht den rechtlichen Rahmen ihrer Prüfung vor (vgl. BVerwG, Urteil vom 14. Oktober 2021 – 2 WD 26.20 – Rn. 25).
Vermeidbarkeit eines Verbotsirrtums (Rn. 22)
Ob ein Verbotsirrtum vermeidbar oder unvermeidbar war, bestimmt sich nach der vom Soldaten nach seiner Amtsstellung (Status, Dienstposten) und seinen persönlichen Kenntnissen und Fähigkeiten (Vorbildung, dienstlicher Werdegang) zu fordernden Sorgfalt unter Berücksichtigung ihm zugänglicher Informationsmöglichkeiten. Das Bewusstsein der Pflichtwidrigkeit setzt dabei in der Regel keine juristisch genaue Kenntnis der verletzten Rechtsvorschriften und Verwaltungsanordnungen voraus. Es genügt, wenn der Soldat Umfang und Inhalt seiner, auf diesen Regelungen beruhenden, Dienstpflichten im weitesten Sinne erfasst. Davon ist im Regelfall aufgrund der Ausbildung eines Soldaten auszugehen. Im Zweifel wird von ihm erwartet, dass er sich bei seiner Dienststelle rechtzeitig über Umfang und Inhalt seiner Dienstpflichten erkundigt (BVerwG, Urteil vom 4. Juli 2019 – 2 WD 20.18 – Buchholz 450.2 § 38 WDO 2002 Nr. 66 Rn. 59).
Verletzte Dienstpflichten beim Einbringer einer Hakenkreuz-Tasse in die Kaserne (Rn. 24 ff.)
Er hat mit dem vorsätzlichen Einbringen der Hakenkreuz-Tasse am 4. Juni 2018 in die Kaserne gegen Nr. 156 Satz 1 der seit dem 18. Oktober 2016 gültigen Zentralrichtlinie und damit gegen die Pflicht zum innerdienstlichen Wohlverhalten (§ 17 Abs. 2 Satz 1 SG) und zum treuen Dienen verstoßen. § 7 SG schließt die Verpflichtung ein, dienstlichen Anweisungen auch dann zu folgen, wenn ihnen der Befehlscharakter nach § 11 SG i.V.m. § 2 Nr. 2 WStG fehlt (BVerwG, Urteil vom 2. Juli 2020 – 2 WD 9.19 – Buchholz 450.2 § 38 WDO 2002 Nr. 80 Rn. 26 m.w.N.). Am Befehlscharakter fehlt es der Richtlinie deshalb, weil sie nicht vom Bundesverteidigungsminister oder in Vertretung von einem (beamteten) Staatssekretär erlassen worden ist, sondern vom Zentrum für Innere Führung (BVerwG, Urteil vom 4. Mai 2021 – 2 WD 16.20 – juris Rn. 28). Anders als vom Truppendienstgericht angenommen, verbietet Nr. 156 Satz 1 Zentralrichtlinie nicht nur das Einbringen, sondern auch das Aufbewahren entsprechender Gegenstände. Da es sich um keine gesetzliche Regelung handelt, ist sie nicht nach den für die Rechtsnormen, sondern für Verwaltungsvorschriften maßgeblichen Grundsätzen, das heißt als Willenserklärung der anordnenden Stelle unter Berücksichtigung der tatsächlichen Handhabung, auszulegen (BVerwG, Urteil vom 17. September 2020 – 2 C 2.20 – BVerwGE 169, 254 – 268). Danach folgt bereits aus der Formulierung der Vorschrift, es sei untersagt, „auch nur vorübergehend“ Gegenstände dieser Art einzubringen, bei lebensnaher Sichtweise auch das Verbot eines Verwahrens.
Der Soldat hat somit bis zum 19. Juni 2018 gegen Nr. 156 der Zentralrichtlinie verstoßen. Denn das Hakenkreuz bildet ein Kennzeichen oder Propagandamittel einer verfassungswidrigen Organisation i.S. von § 86a Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 86 Abs. 1 Nr. 4 StGB. Es ist das Kennzeichen der NSDAP (BGH, Urteil vom 23. Juli 1969 – 3 StR 326/68 -, BGHSt 23, 65 f. – Rn. 49). Dass es in Verbindung mit dem Signet des Afrika-Korps als einem Großverband der deutschen Wehrmacht und somit auf dem Wappenschild einer staatlichen Einrichtung dargestellt wird, ändert daran nichts (BGH, Urteil vom 23. Juli 1969 – 3 StR 326/68 -, BGHSt 23, 65 – Rn. 42 f.). Bereits im Zusammenhang mit dem Schutzzweck des § 86a StGB hat die Strafgerichtsbarkeit betont, die Norm wolle auch verhindern, dass die Verwendung von Kennzeichen verbotener verfassungsfeindlicher Organisationen gerade ungeachtet der damit verbundenen Absichten sich wieder derart einbürgere, dass das Ziel, sie aus dem Bild des politischen Lebens Deutschlands grundsätzlich zu verbannen, nicht erreicht werde und dies zur Folge habe, dass sie von den Verfechtern der politischen Ziele, für die das Kennzeichen stehe, wieder gefahrlos gebraucht werden könne (BGH, Urteil vom 15. März 2007 – 3 StR 486/06 – BGHSt 51, 244 – Rn. 5; vgl. auch OLG München, Urteil vom 14. Juli 2005 – 5St RR 114/05 – NStZ-RR 2005, 371 f. – sowie LG Koblenz, Beschluss vom 17. November 2008 – 2 Qs 87/08 – NStZ-RR 2009, 105 – 106). Diese Erwägungen gelten vorliegend entsprechend.
Ein weiterer Verstoß gegen § 7 SG in der Gestalt, dass er vom Soldaten die Wahrung der Rechtsordnung, insbesondere vorliegend des § 86a Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 86 Abs. 1 Nr. 4 StGB verlangt, liegt nicht vor. Ein Verwenden nationalsozialistischer Kennzeichen in der Öffentlichkeit ist weder angeschuldigt noch ersichtlich (vgl. dazu BGH, Beschluss vom 19. August 2010 – 3 StR 301/10 – NStZ 2011, 575 f.).
Anders als vom Truppendienstgericht angenommen, hat der Soldat mit seinem Verhalten auch gegen die politische Treuepflicht nach § 8 Alt. 2 SG verstoßen.
Die unabhängig vom Dienstgrad bestehende Pflicht eines Soldaten nach § 8 SG verlangt von diesem, die freiheitliche demokratische Grundordnung des Grundgesetzes zum einen anzuerkennen und zum anderen, durch sein gesamtes Verhalten für ihre Erhaltung einzutreten. Es handelt sich um eine Kernpflicht des Soldaten, deren Verletzung stets schwer wiegt. Der Begriff „freiheitliche demokratische Grundordnung“ in § 8 SG ist identisch mit dem Begriff der freiheitlichen demokratischen Grundordnung, wie er bezogen auf Art. 21 Abs. 2 GG konturiert worden ist. Daraus folgt eine Konzentration auf wenige, zentrale Grundprinzipien, die für den freiheitlichen Verfassungsstaat schlechthin unentbehrlich sind. Ausgangspunkt für die Bestimmung des Begriffsinhalts ist danach die Würde des Menschen und das Demokratieprinzip, für das die Möglichkeit gleichberechtigter Teilnahme aller am politischen Willensbildungsprozess sowie die Rückbindung der Ausübung von Staatsgewalt an das Volk maßgeblich ist. Schließlich erfasst der Begriff den Grundsatz der Rechtsstaatlichkeit.
Mit der politischen Treuepflicht ist folglich ein Verhalten unvereinbar, das objektiv geeignet oder gar darauf angelegt ist, die Ziele des NS-Regimes zu verharmlosen sowie Kennzeichen, Symbole oder sonstige Bestandteile der NS-Ideologie (wieder) gesellschaftsfähig zu machen. Denn das Grundgesetz bildet gleichsam den „Gegenentwurf zu dem Totalitarismus des nationalsozialistischen Regimes“ (vgl. BVerfG, Beschluss vom 4. November 2009 – 1 BvR 2150/08 – BVerfGE 124, 300 <328>; zusammenfassend: BVerwG, Urteil vom 22. Oktober 2008 – 2 WD 1.08 – BVerwGE 132, 179 Rn. 54).
Die Verpflichtung zum Eintreten für die freiheitliche demokratische Grundordnung nach § 8 Alt. 2 SG geht weiter als die Pflicht zu ihrer Anerkennung gemäß § 8 Alt. 1 SG. Sie verlangt, dass der Soldat sich nicht nur innerlich, sondern auch äußerlich von Gruppen und Bestrebungen distanziert, die den Staat, seine verfassungsmäßigen Organe und die geltende Verfassungsordnung angreifen, bekämpfen und diffamieren. Ein Soldat darf daher auch nicht entgegen seiner inneren verfassungstreuen Gesinnung nach außen hin verfassungsfeindliche Bestrebungen unterstützen und sich objektiv betrachtet illoyal verhalten (BVerwG, Urteil vom 18. Juni 2020 – 2 WD 17.19 – BVerwGE 168, 323 Rn. 36 ff.).
Nach Maßgabe dessen hat der Soldat zwar nicht gegen die Verpflichtung zur Anerkennung der freiheitlich demokratischen Grundordnung verstoßen (1), wohl aber des Eintretens für sie (2).
Der Senat ist davon überzeugt, dass der Soldat keine nationalsozialistische Gesinnung hat. Dies folgt aus dem Eindruck, den er mit seinen Einlassungen in der Berufungshauptverhandlung beim Senat hinterlassen hat. Er wird bestätigt durch seine früheren Einlassungen, durch die Stellungnahmen der Disziplinarvorgesetzten, der Mitteilung des Militärischen Abschirmdienstes und durch die Aussagen der Stubenkameraden. Vor allem letztere haben nicht von Äußerungen berichtet, die Rückschlüsse auf eine nationalsozialistische Gesinnung des Soldaten zulassen. Dem steht auch nicht die – am 20. Juni 2018 außergerichtlich zu Protokoll gegebene – Aussage des Hauptmanns … entgegen, vom Soldaten seien anlässlich einer politischen Bildungsreise unpassende politische Bemerkungen geäußert worden. So habe der Soldat – seiner Erinnerung nach – geäußert, dass eine deutliche Unterscheidung zwischen Wehrmacht und SS getroffen werden müsse, da erstere sich nur zu geringen Anteilen an den Gräueltaten des Dritten Reiches beteiligt habe. Des Weiteren habe er „Vorfälle“ damit entschuldigt, dass auch andere Nationen Kriegsverbrechen begangen hätten. Selbst wenn diese vom Soldaten ausdrücklich in Abrede gestellten Äußerungen zuträfen, wären sie zwar gemeinhin dem politisch rechten Meinungsspektrum zuzuordnen, jedoch würde sich darin noch keine nationalsozialistische Gesinnung manifestieren. Ungeachtet der historischen Fragwürdigkeit der Behauptungen bewegen sie sich noch im Bereich des nach Art. 5 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 GG, § 15 Abs. 1 Satz 2 SG Zulässigen (vgl. BVerwG, Urteil vom 1. Juli 2020 – 2 WD 15.19 – BVerwGE 169, 66 ff.).
33(2) Bereits mit dem Einbringen und dem Aufbewahren der Hakenkreuz-Tasse hat er indes objektiv den Eindruck erweckt, verfassungsfeindliche Bestrebungen zu unterstützen und sich damit illoyal zu verhalten (BVerwG, Beschluss vom 18. November 2003 – 2 WDB 2.03 – BVerwGE 119, 206 <214>). Denn beim Batteriefeldwebel und der Vertrauensperson, welche die Tasse zur Kenntnis genommen haben, wurden dadurch Irritationen über die politische Gesinnung des Soldaten erzeugt.
Regelmaßnahme beim Verwenden nationalsozialistischer Kennzeichen (Rn. 36 ff. )
Ist das Verhalten eines Soldaten Ausdruck einer nationalsozialistischen Gesinnung, ist grundsätzlich die Höchstmaßnahme zu verhängen (BVerwG, Urteile vom 28. Februar 2002 – 2 WD 35.01 – Buchholz 236.1 § 8 SG Nr. 4 S. 24 f. und vom 17. November 2017 – 2 C 25.17 – BVerwGE 160, 370 Rn. 25 f.; Beschlüsse vom 29. August 2002 – 2 WDB 6.02 – Rn. 24 und vom 9. Oktober 2019 – 2 WDB 3.19 – Buchholz 450.2 § 126 WDO 2002 Nr. 8 Rn. 23). Denn damit liegt sowohl eine Verletzung der Anerkennungspflicht aus § 8 Alt. 1 SG als auch der Eintretenspflicht aus § 8 Alt. 2 SG vor.
Beruht die Verwendung nationalsozialistischer Kennzeichen indes nicht auf einer verfassungsfeindlichen Einstellung, ist die Dienstgradherabsetzung zum Ausgangspunkt der Zumessungserwägungen zu machen. Dazu gehört etwa das Erweisen des sogenannten Hitlergrußes (BVerwG, Urteil vom 23. März 2017 – 2 WD 16.16 – juris Rn. 76). Dies hat seinen Grund darin, dass er Außenstehenden als Ausdruck der Verehrung des Führers des nationalsozialistischen Unrechtsregimes erscheinen muss und dass die öffentliche Verwendung dieses nationalsozialistischen Kennzeichens im Inland nach § 86a Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 StGB strafrechtlich untersagt ist. Ebenso spricht auch in anderen Fällen die strafrechtliche Ächtung eines entsprechenden Verhaltens für die Dienstgradherabsetzung als Regelmaßnahme, wobei die spezifisch strafrechtlichen Einschränkungen (Inlandsbezug, Öffentlichkeit) für die disziplinarrechtliche Einstufung nicht so bedeutsam sind, dass sie für eine Dienstgradherabsetzung nach § 58 Abs. 1 Nr. 4 i.V.m. § 62 WDO zwingend vorliegen müssen (vgl. BVerwG, Urteil vom 17. November 2017 – 2 C 25.17 – BVerwGE 160, 370 Rn. 29, 74, 76). Zeigt ein Soldat hingegen niedrigschwelligere, bagatellisierende Verhaltensweisen von einigem Gewicht, bildet grundsätzlich ein Beförderungsverbot den Ausgangspunkt der Zumessungserwägungen. Angesichts der großen Bandbreite möglicher niedrigschwelliger Verletzungen der politischen Treuepflicht ist eine Typisierung in diesem Bereich allerdings nur eingeschränkt möglich. Insbesondere bei einmaligen, unüberlegten oder aus jugendlicher Unreife verübten Verstößen im niedrigschwelligeren Bereich können gerichtliche Disziplinarmaßnahmen nach Maßgabe des § 38 Abs. 1 WDO unangemessen sein (BVerwG, Urteil vom 18. Juni 2020 – 2 WD 17.19 – BVerwGE 168, 323 Rn. 47 f.).
Volltext der Entscheidung auf der Website des Bundesverwaltungsgerichts: 2 WD 25.20
BVerwG 2 WD 25.20
TDG Süd 6. Kammer – 29.07.2020 – AZ: TDG S 6 VL 23/19