Bundesverwaltungsgericht entscheidet über eine Berufung nach der Wehrdisziplinarordnung (WDO) – Beschluss des 2. Wehrdienstsenats vom 9. Dezember 2021 – BVerwG 2 WD 29.20

Hervorzuhebende Auszüge aus der Entscheidung:

Regelmaßnahme bei außerdienstlich begangener vorsätzlicher sexueller Nötigung im Sinne des § 177 V StGB (Rn. 25 f.):

Auf der ersten Stufe ist im Hinblick auf das Gebot der Gleichbehandlung vergleichbarer Fälle sowie im Interesse der rechtsstaatlich gebotenen Rechtssicherheit und Voraussehbarkeit der Disziplinarmaßnahme eine Regelmaßnahme für die in Rede stehende Fallgruppe als „Ausgangspunkt der Zumessungserwägungen“ zu bestimmen.

Dies ist bei Dienstvergehen nach § 177 Abs. 5 Nr. 1 StGB in der Form außerdienstlich begangener, vorsätzlicher sexueller Nötigungen grundsätzlich die Dienstgradherabsetzung gemäß § 58 Abs. 2 Nr. 3 i.V.m. § 62 Abs. 1 WDO. Denn ein solches Fehlverhalten entspricht in seinem Unrechtsgehalt einer vorsätzlichen Verletzung der körperlichen Integrität. Es begründet in der Regel in derselben Weise Zweifel an der Zuverlässigkeit eines Soldaten bei der Erfüllung seines dienstlichen Auftrages. Denn beide Formen des Fehlverhaltens missachten in gravierender Weise elementare Grundrechte der Geschädigten und damit Grundwerte der Verfassung, die die Streitkräfte nach Außen schützen sollen. Erschwerenden Aspekten aus den Umständen der Tatbegehung oder den Auswirkungen der Tat insbesondere für ihr Opfer kann auf der zweiten Stufe der Zumessungserwägungen ausreichend Rechnung getragen werden. Damit kann im Einzelfall angemessen berücksichtigt werden, dass sich aus diesen Gesichtspunkten die Untragbarkeit eines Soldaten für die Bundeswehr ergeben kann.

Angesichts der Vielgestaltigkeit der denkbaren Fälle vorsätzlicher sexueller Nötigung nach § 177 Abs. 5 Nr. 1 StGB erscheint eine typisierende Berücksichtigung schon auf der ersten Stufe der Zumessungserwägungen, wie sie der Senat vornimmt, wenn er beim sexuellen Missbrauch eines Kindes oder der sexuellen Nötigung eines Jugendlichen die Zumessungserwägungen bereits von der Verhängung der Höchstmaßnahme ausgehen lässt (vgl. BVerwG, Urteil vom 3. Juni 2021 – 2 WD 18.20 – juris Rn. 17), nicht geboten. Daran ändert auch nichts, dass der Strafrahmen des § 177 Abs. 5 StGB für Handlungen nach dessen Nr. 1 StGB nicht unter einem Jahr liegt. Zum einen erfasst der seit dem 50. Strafrechtsänderungsgesetz vom 4. November 2016 (BGBl. I S. 2460) in § 177 Abs. 5 StGB nötigungsunabhängige (vgl. E. Hoven, NStZ 2020, 578 <583 ff.>) Gewaltbegriff ein breites Spektrum aggressiver, sich gegen die sexuelle Selbstbestimmung richtender Verhaltensweisen (zur Entwicklung des Gewaltbegriffs: BVerfG, Beschluss vom 29. März 2007 – 2 BvR 932/06 – NJW 2007, 1669 ff.; Th. Fischer, StGB, 68. Aufl. 2021, § 249 Rn. 10 ff.), so dass selbst bei niedrigschwelliger Gewaltausübung ansonsten bereits die Höchstmaßnahme im Raum stünde. Zum anderen sieht § 48 Satz 1 Nr. 2 SG einen Automatismus nur bei der konkreten Verhängung einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr wegen einer vorsätzlich begangenen Tat vor. Mit dieser gesetzgeberischen Wertung stünde es nicht im Einklang, wenn bereits die abstrakte Strafandrohung von mindestens einem Jahr regelmäßig die Entfernung aus dem Dienstverhältnis nach sich zöge (BVerwG, Urteil vom 30. Oktober 2012 – 2 WD 28.11 – BVerwGE 145, 31 Rn. 53).

Verhängung der Höchstmaßnahme steht sachgleiche strafrechtliche Verurteilung nicht entgegen (Rn. 39):

Das Dienstvergehen mit der Höchstmaßnahme zu ahnden, verbietet sich auch nicht wegen der strafrechtlich sachgleichen Verurteilung. Insbesondere ist ohne Bedeutung, dass gegen den früheren Soldaten eine Freiheitsstrafe von unter einem Jahr verhängt wurde, so dass das Dienstverhältnis nicht bereits mit Eintritt der Rechtskraft des Strafurteils zur Beendigung des Soldatenverhältnisses geführt hat (§ 48 Satz 1 Nr. 2 SG). Steht im Einzelfall § 16 WDO der Zulässigkeit des Ausspruchs einer Disziplinarmaßnahme nicht entgegen, ist die Art oder Höhe einer Kriminalstrafe oder sonstige Strafsanktion für die Gewichtung der Schwere des sachgleichen Dienstvergehens regelmäßig nicht von ausschlaggebender Bedeutung (BVerwG, Urteil vom 4. Juni 2020 – 2 WD 10.19 – Buchholz 450.2 § 38 WDO 2002 Nr. 77 Rn. 59). Eine die disziplinare Maßnahmebemessung limitierende Indizwirkung kommt dem nicht zu (BVerwG, Urteil vom 4. März 2021 – 2 WD 11.20 – NVwZ-RR 2021, 807 Rn. 53). Da die Höchstmaßnahme auszusprechen ist, erlangt eine etwaige unangemessen lange Dauer des gerichtlichen Disziplinarverfahrens keine Bedeutung mehr (BVerwG, Urteil vom 15. Juli 2021 – 2 WD 6.21 – juris Rn. 56 m.w.N.).

Volltext der Entscheidung auf der Website des Bundesverwaltungsgerichts: 2 WD 29.20

BVerwG 2 WD 29.20
TDG Süd 2. Kammer – 06.10.2020 – AZ: TDG S 2 VL 27/19

WordPress Cookie Hinweis von Real Cookie Banner