Bundesverwaltungsgericht entscheidet über eine Berufung nach der Wehrdisziplinarordnung (WDO) – Urteil des 2. Wehrdienstsenats vom 02. Juni 2022 – BVerwG 2 WD 30.20
Leitsatz:
Das Zugänglichmachen kinderpornographischer Inhalte indiziert unabhängig davon die disziplinarische Höchstmaßnahme, ob dem Verhalten eine pädophile oder eine masochistische Sexualpräferenz zugrunde liegt. Eine Wehrbeschädigung kann in diesem Zusammenhang grundsätzlich nicht als mildernder Umstand gewertet werden.
Hervorzuhebende Auszüge aus der Entscheidung:
Regelmaßnahmen beim Besitz bzw. Verbreiten von kinderpornographischer Schriften (Rn. 18)
Auf der ersten Stufe bestimmt er zwecks Gleichbehandlung vergleichbarer Fälle und im Interesse der Rechtssicherheit und Voraussehbarkeit der Disziplinarmaßnahme eine Regelmaßnahme für die betreffende Fallgruppe als Ausgangspunkt der Zumessungserwägungen. Diese besteht beim Besitz kinderpornographischer Schriften und beim Unternehmen des Sichverschaffens des Besitzes daran in einer Dienstgradherabsetzung. In Fällen des Verbreitens derartiger Schriften, ihres Zugänglichmachens in der Öffentlichkeit und des Unternehmens der Besitzverschaffung an eine andere Person ist im Regelfall die Höchstmaßnahme tat- und schuldangemessen (vgl. BVerwG, Urteile vom 14. Oktober 2021 – 2 WD 26.20 – juris Rn. 30 m. w. N. und vom 15. April 2021 – 2 WD 14.20 – juris Rn. 31 m. w. N.). Da der frühere Soldat es auch unternommen hat, anderen den Besitz an kinderpornographischen Schriften zu verschaffen, ist Ausgangspunkt der Zumessungserwägungen die Höchstmaßnahme. Diese besteht für ihn gemäß § 58 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4, Satz 2 WDO in der Aberkennung des Ruhegehalts.
Anforderungen an die Prüfung des § 21 StGB (Rn. 37)
Die richterliche Entscheidung, ob im Sinne des § 21 StGB die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in § 20 StGB a. F. bezeichneten Gründe zum Zeitpunkt des Dienstvergehens erheblich vermindert war, erfolgt mehrstufig. Zunächst ist festzustellen, ob beim Täter zu den Tatzeitpunkten eine psychische Störung vorlag, die ein solches Ausmaß erreichte, dass sie unter eines der psychopathologischen Eingangsmerkmale des § 20 StGB a. F. zu subsumieren ist. Sodann sind der Ausprägungsgrad der Störung und deren Einfluss auf die soziale Anpassungsfähigkeit des Täters zu untersuchen. Durch die festgestellten psychopathologischen Verhaltensmuster muss die psychische Funktionsfähigkeit des Täters bei der Begehung der Taten beeinträchtigt worden sein. Hierzu ist das Gericht jeweils für die Tatsachenbewertung auf die Hilfe eines Sachverständigen angewiesen. Gleichwohl handelt es sich bei der Frage des Vorliegens eines der Eingangsmerkmale des § 20 StGB a. F. bei gesichertem Vorliegen eines psychiatrischen Befunds ebenso wie bei der Prüfung der aufgehobenen oder erheblich eingeschränkten Steuerungsfähigkeit zur Tatzeit um vom Gericht zu beantwortende Rechtsfragen (vgl. BGH, Urteil vom 27. März 2019 – 2 StR 382/18 – NStZ-RR 2019, 170 m. w. N.). Lässt sich nach erschöpfender Sachaufklärung ohne vernünftigen Zweifel ein Sachverhalt nicht ausschließen, der eine erheblich verminderte Schuldfähigkeit ergibt, ist dieser Gesichtspunkt zugunsten des Täters in die Gesamtwürdigung einzustellen (vgl. BVerwG, Urteil vom 4. Juni 2020 – 2 WD 10.19 – Buchholz 450.2 § 38 WDO 2002 Nr. 77 Rn. 30 m. w. N.).
Keine ausschlaggebende Bedeutung der Art und Höhe der Kriminalstrafe für die Disziplinarmaßnahme (Rn. 52)
Steht – wie hier – § 16 WDO der Zulässigkeit des Ausspruchs einer Disziplinarmaßnahme nicht entgegen, ist die Art oder Höhe einer Kriminalstrafe oder sonstigen Strafsanktion für die Gewichtung der Schwere des sachgleichen Dienstvergehens regelmäßig nicht von ausschlaggebender Bedeutung. Die Kriminalstrafe unterscheidet sich nach Wesen und Zweck grundlegend von der Disziplinarmaßnahme. Während erstere neben Abschreckung und Besserung der Vergeltung und Sühne für begangenes Unrecht gegen den allgemeinen Rechtsfrieden dient, ist die disziplinarische Ahndung darauf ausgerichtet, unter Beachtung des Gleichbehandlungsgrundsatzes einen geordneten und integren Dienstbetrieb aufrechtzuerhalten oder wiederherzustellen, indem sie denjenigen, der die ihm obliegenden Dienstpflichten schuldhaft verletzt hat, entweder durch eine erzieherische Maßnahme zu künftig pflichtgemäßem Verhalten mahnt oder ihn aus dem Dienstverhältnis entfernt bzw. die sonst gebotene Höchstmaßnahme ausspricht. Daher misst der Senat zwar der in den Strafrahmen des Strafgesetzbuchs zum Ausdruck kommenden Gewichtung des Unrechtsgehalts einer Tat durch den Gesetzgeber eine indizielle Bedeutung für die Schwere auch des Dienstvergehens bei, nicht aber der Höhe einer konkreten strafrechtlichen Sanktion (vgl. BVerwG, Urteil vom 2. Mai 2012 – 2 WD 14.11 – juris Rn. 49 m. w. N.).
Volltext der Entscheidung auf der Website des Bundesverwaltungsgerichts: 2 WD 30.20
BVerwG 2 WD 30.20
TDG Nord 7. Kammer – 07.10.2020 – AZ: N 7 VL 36/19