Bundesverwaltungsgericht entscheidet über eine Berufung nach der Wehrdisziplinarordnung (WDO) – Beschluss des 2. Wehrdienstsenats vom 23. April 2020 – BVerwG 2 WD 4.19

Leitsätze:

1. Ausgangspunkt der Zumessungserwägungen für die Bemessung der Disziplinarmaßnahme ist beim Besitz kinder- und jugendpornografischer Dateien und dem Sichverschaffen des Besitzes davon eine Dienstgradherabsetzung, beim Verbreiten, Verschaffen und Zugänglichmachen der Dateien die Höchstmaßnahme.

2. Die Anzahl an kinder- und jugendpornografischen Dateien, die ein Soldat besitzt, ist ein maßgebliches Kriterium für die Schwere des Dienstvergehens.

3. Der mit einer vorläufigen Dienstenthebung verbundene Arbeitsausfall eines Soldaten ist ihm nicht als nachteilige Folge eines Dienstvergehens i.S.d. § 38 Abs. 1 WDO zur Last zu legen, wenn die Rechtmäßigkeit der vorläufigen Dienstenthebung durchgreifenden Zweifeln unterliegt.

Hervorzuhebende Auszüge aus der Entscheidung:

Möglichkeit zur Abänderung des Urteils zu Gunsten des Soldaten trotz Berufung durch Wehrdisziplinaranwaltschaft (Rn. 10)

Gemäß § 91 Abs. 1 Satz 1 WDO i.V.m. § 301 StPO ist der Senat befugt, trotz der ausschließlich von der Wehrdisziplinaranwaltschaft zu Ungunsten des früheren Soldaten eingelegten Berufung das angefochtene Urteil zu dessen Gunsten zu ändern (vgl. BVerwG, Urteil vom 12. November 2015 – 2 WD 1.15 – juris Rn. 26 m.w.N.).

Regelmaßnahme bei Besitz / Verbreiten von kinder- und jugendpornografischen Schriften (Rn. 13 ff.)

Auf der ersten Stufe bestimmt er zwecks Gleichbehandlung vergleichbarer Fälle sowie zur Rechtssicherheit und Voraussehbarkeit der Disziplinarmaßnahme eine Regelmaßnahme für die betreffende Fallgruppe als Ausgangspunkt der Zumessungserwägungen. Diese besteht beim Besitz kinder- und jugendpornografischer Dateien und dem Sichverschaffen des Besitzes regelmäßig in einer Dienstgradherabsetzung. Im Fall des Verbreitens, Verschaffens und Zugänglichmachens derartiger Dateien sieht der Senat im Regelfall die Höchstmaßnahme als tat- und schuldangemessen an (vgl. BVerwG, Urteil vom 19. Juni 2019 – 2 WD 21.18 – NVwZ-RR 2019, 961 Rn. 24 ff.). An dieser Differenzierung hält der Senat auch weiterhin fest. Sie orientiert sich an den unterschiedlichen gesetzlichen Strafrahmen für das jeweilige Fehlverhalten:

So wurde der Besitz kinderpornografischer Darstellungen (hier: am 21. April 2016) und das Sichverschaffen des Besitzes daran (hier: zwischen dem 31. Januar 2012 und dem 26. Februar 2013) nach § 184b Abs. 4 StGB 2008 mit einer Freiheitsstrafe von bis zu zwei Jahren oder mit einer Geldstrafe sanktioniert. Der Strafrahmen wurde durch § 184b Abs. 3 StGB 2015 bei Wiedergabe eines tatsächlichen oder wirklichkeitsnahen Geschehens auf bis zu drei Jahre erhöht. Der Besitz jugendpornografischer Darstellungen (hier: am 21. April 2016) und das Sichverschaffen des Besitzes daran (hier: zwischen dem 20. Februar 2012 und dem 26. Februar 2013) wurden nach § 184c Abs. 4 StGB 2008 mit einer Freiheitsstrafe von bis zu einem Jahr oder mit einer Geldstrafe sanktioniert. Der Strafrahmen wurde durch § 184c Abs. 3 StGB 2015 bei Wiedergabe eines tatsächlichen Geschehens auf bis zu zwei Jahre erhöht.

Für Fälle des Verbreitens, Verschaffens und Zugänglichmachens sehen § 184b Abs. 1 Nr. 1 und 2, Abs. 2 StGB 2008 bzw. § 184b Abs. 1 Nr. 1 und 2 StGB 2015 bei kinderpornografischen Darstellungen mit einer Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren oder einer Geldstrafe hingegen einen deutlich höheren Strafrahmen vor, der durch § 184b Abs. 2 StGB 2015 bei Wiedergabe eines tatsächlichen oder wirklichkeitsnahen Geschehens auf eine Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren erhöht wurde. § 184c Abs. 1 Nr. 1 und 2, Abs. 2 StGB 2008 bzw. § 184c Abs. 1 Nr. 1 und 2 StGB 2015 sehen bei jugendpornografischen Darstellungen eine Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren oder eine Geldstrafe vor, die durch § 184c Abs. 2 StGB 2015 bei Wiedergabe eines tatsächlichen oder wirklichkeitsnahen Geschehens auf eine Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren erhöht wurde. Der jeweils höhere Strafrahmen im Vergleich zum Besitz kinder- und jugendpornografischer Darstellungen und des Sichverschaffens des Besitzes hat seinen Grund darin, dass die aktive Beteiligung am kinderpornografischen Marktgeschehen als Anbieter im Regelfall ein wesentlich größeres Unrecht darstellt als die eher passive Beteiligung als nachfragender Konsument.

Diese strafrechtliche Wertung ist nach der Rechtsprechung des Senats auch für die disziplinarrechtliche Würdigung leitend. Die Orientierung am gesetzlichen Strafrahmen gewährleistet eine nachvollziehbare und gleichmäßige disziplinarische Ahndung. Sie verhindert, dass die Wehrdienstgerichte ihre jeweils eigene Einschätzung des Unwertgehalts eines Delikts oder die Einschätzung der Wehrdisziplinaranwaltschaft an die Stelle der Bewertung des Gesetzgebers setzen (vgl. BVerwG, Urteil vom 19. Juni 2019 – 2 WD 21.18 – NVwZ-RR 2019, 961 Rn. 26).

Keine Gewichtung der vorläufigen Dienstenthebung zu Lasten des Soldaten bei Zweifeln an deren Rechtmäßigkeit (Rn. 27)

Zwar kann es grundsätzlich zu Lasten des früheren Soldaten gewichtet werden, wenn er durch sein Verhalten eine vorläufige Dienstenthebung verursacht und dem Bund dadurch ein erheblicher finanzieller Schaden entsteht (vgl. BVerwG, Urteile vom 4. Dezember 2014 – 2 WD 23.13 – juris Rn. 38 und vom 19. Mai 2015 – 2 WD 13.14 – juris Rn. 29; Dau/Schütz, WDO, 7. Aufl. 2017, § 38 Rn. 31). An einer Verantwortlichkeit für die mit der vorläufigen Dienstenthebung verbundenen nachteiligen Folgen fehlt es jedoch, wenn die Rechtmäßigkeit der vorläufigen Dienstenthebung durchgreifenden Zweifeln unterliegt. Nach der Rechtsprechung des Senats kommt eine vorläufige Dienstenthebung gemäß § 126 Abs. 1 WDO nicht schon immer dann in Betracht, wenn auf der ersten Stufe der Zumessungserwägungen eine Dienstgradherabsetzung im Raum steht. Sie setzt vielmehr zudem voraus, dass der Dienstbetrieb bei einem Verbleiben des Soldaten im Dienst empfindlich gestört oder in besonderem Maße gefährdet würde (vgl. BVerwG, Beschluss vom 10. Oktober 2019 – 2 WDB 2.19 – juris Rn. 11).

Überlanges Disziplinarverfahren als Milderungsgrund bei pflichtenmahnenden Disziplinarmaßnahmen (Rn. 36)

Bei pflichtenmahnenden Disziplinarmaßnahmen – wie einer Dienstgradherabsetzung – stellt ein gegen Art. 6 EMRK und Art. 19 Abs. 4 GG, Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG verstoßendes überlanges Disziplinarverfahren einen Milderungsgrund dar. Denn das Verfahren als solches wirkt bereits belastend und ist deshalb mit pflichtenmahnenden Nachteilen verbunden, die nach dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz das Sanktionsbedürfnis mindern (vgl. BVerwG, Urteil vom 16. Januar 2020 – 2 WD 2.19 – juris Rn. 39 m.w.N.). Die Notwendigkeit, den mit einer überlangen Prozessdauer verbundenen Verfahrensmangel auszugleichen, besteht auch, wenn sich dadurch – wie hier – nicht konkret eine Beförderung verzögert hat (vgl. BVerwG, Urteil vom 16. Januar 2020 – 2 WD 2.19 – juris Rn. 39).

Volltext der Entscheidung auf der Website des Bundesverwaltungsgerichts: 2 WD 4.19

BVerwG 2 WD 4.19
TDG Süd 6. Kammer – 25.10.2018 – AZ: TDG S 6 VL 18/17

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