Bundesverwaltungsgericht entscheidet über eine Berufung nach der Wehrdisziplinarordnung (WDO) – Beschluss des 2. Wehrdienstsenats vom 16. April 2002 – BVerwG 2 WD 43.01

Leitsatz

1. Zur Maßnahmebemessung bei intimen Beziehungen eines Soldaten zu einer Kameradin, die zugleich Ehefrau eines Kameraden war und zu der der Soldat – ebenso wie zu ihrem Ehemann – in der Funktion eines Disziplinarvorgesetzten stand.

2. Geht die Initiative zu den intimen Beziehungen von der Kameradin aus, so kann dieser Umstand bei der Maßnahmebemessung zugunsten des Soldaten berücksichtigt werden.

Hervorzuhebende Auszüge aus der Entscheidung:

Verletzung der Kameradschaftspflicht durch Einbruch in Kameradenehe (Rn. 4)

Ein Verstoß gegen die Kameradschaftspflicht liegt nicht erst dann vor, wenn ein Recht des Kameraden, also eines anderen Soldaten der Bundeswehr, verletzt wird. Die Gefährdung eines solchen Rechts reicht regelmäßig aus (vgl. dazu u.a. Urteil vom 31. Oktober 1979 – BVerwG 2 WD 108.78 – ), da es bereits dann an der vom Gesetz geforderten hinreichenden „Achtung“ fehlt. Ein Soldat, der sexuelle oder sonstige ehewidrige Beziehungen zu der Ehefrau eines Kameraden unterhält, lässt es an der gebotenen Achtung der ehelichen Lebensgemeinschaft seines Kameraden mangeln. Ehegatten sind nach dem geltenden Familienrecht (vgl. § 1353 Abs. 1 BGB) einander zur ehelichen Lebensgemeinschaft und damit auch zur ehelichen Treue verpflichtet. Die Verpflichtung und das daraus resultierende wechselseitige Recht der Ehegatten zur ehelichen Lebensgemeinschaft entfällt erst unter den Voraussetzungen des § 1353 Abs. 2 BGB, also insbesondere dann, wenn die Ehe im Sinne des § 1353 Abs. 2 BGB „gescheitert“ ist. Wann dies der Fall ist, ergibt sich aus den einschlägigen familienrechtlichen Bestimmungen (§§ 1565 ff BGB).

Verletzung der Fürsorgepflicht nach Art. 10 III SG durch Beziehung mit Ehefrau eines Untergebenen (Rn. 5)

Durch sein Fehlverhalten hat der frühere Soldat auch gegen seine Verpflichtung verstoßen, für seine Untergebenen zu sorgen (§ 10 Abs. 3 SG). Ein Vorgesetzter muss stets bemüht sein, die ihm unterstellten Soldaten vor Nachteilen und Schäden zu bewahren. Dies gilt auch für immaterielle Schäden (vgl. Urteil vom 6. Juli 1976 – BVerwG 2 WD 11.76 – >). Indem sich der frühere Soldat seit Ende 2000/Anfang 2001 über mehrere Monate hinweg auf eine intime Beziehung mit der Zeugin S. einließ, obwohl deren eheliche Lebensgemeinschaft mit dem Zeugen S. fortbestand und die Ehe zum damaligen Zeitpunkt – wie dargelegt – (noch) nicht im Sinne des § 1353 Abs. 2 BGB gescheitert war, verletzte er seine Fürsorgepflicht als Disziplinarvorgesetzter jedenfalls gegenüber dem ihm unterstellten Zeugen S.. Denn sein Verhalten war zumindest geeignet, den Fortbestand der in Rede stehenden gesetzlich geschützten ehelichen Lebensgemeinschaft zu beeinträchtigen und bereits dadurch seinem Untergebenen einen schwerwiegenden Nachteil zuzufügen. Zudem wurde durch sein vor dem Zeugen S. verheimlichtes Fehlverhalten dieser im Kameradenkreis über Wochen und Monate hinweg zumindest der Gefahr von mehr oder weniger peinlichen Vermutungen und Gerüchten sowie von spöttischen Bemerkungen über seine „Blauäugigkeit“ als betrogener Ehemann ausgesetzt.

Verletzung der innerdienstlichen Wohlverhaltenspflicht durch ehewidrige Beziehung zu Untergebener (Rn. 6)

Schließlich verstieß das festgestellte Fehlverhalten des früheren Soldaten auch gegen seine Achtungs- und Vertrauenswahrungspflicht (§ 17 Abs. 2 Satz 1 SG). Maßstab für den Umfang der Pflicht zu achtungs- und vertrauenswürdigem Verhalten sind die dienstliche Stellung und die dienstlichen Aufgaben des Soldaten. Soweit sich ein einheitlich zu bewertendes Verhalten – wie hier das Bestehen einer ehewidrigen Beziehung zu einer Untergebenen – teils innerhalb, teils außerhalb dienstlicher Unterkünfte und Anlagen ereignet hat, ist die Frage der Pflichtwidrigkeit allein nach § 17 Abs. 2 Satz 1 SG, nicht jedoch nach der Vorschrift § 17 Abs. 2 Satz 2 SG zu beurteilen, die lediglich solches Fehlverhalten erfasst, das allein und ausschließlich dem außerdienstlichen Bereich zuzurechnen ist (vgl. Urteile vom 13. März 1973 – BVerwG 2 WD 19.72 – und vom 2. Juni 1981 – BVerwG 2 WD 22.80 – = NZWehrr 1982, 228>). Für die Feststellung eines Verstoßes kommt es allein darauf an, ob das Verhalten des Soldaten geeignet ist, eine ernsthafte achtungs- oder vertrauensschädigende Wirkung auszulösen.

Maßnahmenbemessung bei Einbruch in Kameradenehe von disziplinar untergebenen Soldaten – laufbahnhemmende Maßnahme (Rn. 9 ff.)

Eine sexuelle oder sonst ehewidrige Beziehung zu der Ehefrau eines Kameraden hat, wie der Senat in ständiger Rechtsprechung (vgl. etwa Urteile vom 9. Dezember 1971 – BVerwG 2 WD 38.71 – > und vom 27. Juni 1991 – BVerwG 2 WD 8.91 – ) stets hervorgehoben hat, erhebliches disziplinarrechtliches Gewicht. Ein solcher Verstoß gegen die Kameradschaftspflicht wiegt schwer und ist geeignet, in schwerwiegender Weise die Vertrauenswürdigkeit, das Ansehen und die Autorität eines Soldaten, der sich in dieser Weise unkameradschaftlich verhält, zu beeinträchtigen. Dies gilt erst recht, wenn ein nach § 10 Abs. 1 SG zu vorbildlicher Haltung und Pflichterfüllung verpflichteter Soldat in Vorgesetztenstellung auf solche Weise versagt.

Besonders schwerwiegend ist, worauf die Truppendienstkammer zutreffend hingewiesen hat, ein solches Fehlverhalten bei einem Soldaten, der in der Funktion eines Disziplinarvorgesetzten steht und ein sexuelles Intimverhältnis mit einer verheirateten Frau eingeht, die selbst Soldatin ist und ebenso wie ihr Ehemann in einem Untergebenenverhältnis zu ihm steht. Neben der Kameradschaftspflichtverletzung fällt zudem der Verstoß gegen die gebotene Fürsorgepflicht erheblich ins Gewicht. Wer als Vorgesetzter in seiner eigenen Einheit mit einer Untergebenen, die mit einem anderen Untergebenen verheiratet ist, in sexuelle Beziehungen eintritt, muss sich vorhalten lassen, dass erhebliche Zweifel an seinem Verantwortungsbewusstsein angezeigt sind. Er nimmt mit seinem Verhalten einen erheblichen Verlust an Autorität und Ansehen bei Vorgesetzten und Untergebenen in Kauf, was im vorliegenden Fall nach den Bekundungen des Zeugen H. zumindest bei einem Teil der Angehörigen des Heeresmusikkorps auch konkret der Fall war.

Das Gebot, die Rechte des Kameraden zu achten, soll gerade Handlungsweisen verhindern, die objektiv geeignet sind, gegenseitiges Vertrauen und die Bereitschaft von Soldaten, jederzeit füreinander einzustehen, zu gefährden. Der Senat hat daher in seiner bisherigen Rechtsprechung bei der Ahndung einer eheschädigenden Beziehung eines Soldaten zur Ehefrau eines Kameraden regelmäßig eine laufbahnhemmende Maßnahme zum Ausgangspunkt seiner Zumessungserwägungen genommen.

Der Senat hat jedoch bereits in seiner bisherigen Rechtsprechung (vgl. Urteil vom 1. Juli 1992 – BVerwG 2 WD 14.92 – = NZWehrr 1993, 72>) mildernd berücksichtigt, wenn sich die Ehefrau eines Kameraden aus Enttäuschung über die Entwicklung ihrer Ehe bewusst einem Soldaten zugewandt und ihrerseits offensichtlich zielgerichtet darauf hingewirkt hatte, dass es zum wiederholten Austausch von Zärtlichkeiten kam, die über ein rein freundschaftliches Ausmaß hinausgingen. In Fortentwicklung dieser Rechtsprechung gibt der vorliegende Fall dem Senat Anlass zur Klarstellung, dass dies in den Fällen, in denen die Initiative zur Anbahnung eines ehewidrigen Verhältnisses von der Ehefrau des Kameraden ausgeht, in der Regel auch Auswirkungen auf die Art der Maßnahme hat.

BVerwG 2 WD 43.01

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