Bundesverwaltungsgericht entscheidet über eine Berufung nach der Wehrdisziplinarordnung (WDO) – Beschluss des 2. Wehrdienstsenats vom 10. März 2022 – BVerwG 2 WD 7.21

Leitsätze:

1. Ein Soldat, der einen rechtswidrigen, aber verbindlichen Befehl befolgt, handelt hinsichtlich der mit der Befehlsausführung verbundenen Dienstpflichtverletzungen ohne Schuld.

2. Auf Befehlsnotstand kann sich auch ein Soldat berufen, der einen rechtswidrigen und unverbindlichen gefährlichen Befehl befolgt, ohne dabei eine Straftat zu begehen.

3. § 35 Abs. 2 StGB gilt entsprechend für einen Irrtum über das Vorliegen der Voraussetzungen eines Befehls.

Hervorzuhebende Auszüge aus der Entscheidung:

Dienstpflichtverletzungen aufgrund von Missachtung von Verkehrszeichen auf dem Truppenübungsplatz (Rn. 26 ff.)

Eine schuldhafte Verletzung von Dienstpflichten liegt in dem wissentlichen und willentlichen Passieren der zum inneren Schrankenring gehörenden Sperre ca. 50 m nach Querung der Ringstraße. Damit hat der Soldat vorsätzlich seine Pflichten zum treuen Dienen (§ 7 SG) und zum innerdienstlichen Wohlverhalten (§ 17 Abs. 2 Satz 1 SG) verletzt.

Mit der Missachtung der in die Fahrbahn geklappten Halbschranken mit dem Vorschriftszeichen 250 hat der Soldat gegen die dienstlichen Weisungen nach Nr. 501 und 519 der Zentralen Dienstvorschrift A-1050/11 (Betrieb von Dienstfahrzeugen) in der ab dem 7. November 2017 geltenden Version 2 i.V.m. Nr. 328 der Zentralrichtlinie A2-220/0-0-5 (Übungsplätze und Schießanlagen am Standort) in der ab dem 6. August 2015 geltenden Version 1.4 verstoßen. Nach Nr. 501 ZDv A-1050/11 sind Kraftfahrer von Dienstkraftfahrzeugen für die Einhaltung der straßenverkehrsrechtlichen Bestimmungen und der Regelungen der Bundeswehr zum Kraftfahrbetrieb verantwortlich. Nach Nr. 519 ZDv A-1050/11 haben Kraftfahrer der Bundeswehr während der Benutzung die straßenverkehrsrechtlichen Regelungen und die besonderen Bestimmungen der Bundeswehr zum Kraftfahrbetrieb einzuhalten.

Zwar galt an der betreffenden Stelle nicht die Straßenverkehrsordnung. Denn diese gilt nur im öffentlichen Verkehrsraum (vgl. BGH, Urteil vom 4. März 2004 – 4 StR 377/03 – juris Rn. 7). Nach Nr. 327 der Zentralrichtlinie A2-220/0-0-5 sind die Straßen eines Übungsplatzes im Allgemeinen nichtöffentliche Straßen. Auch der hier auf dem Truppenübungsplatz befahrene Weg durfte nicht vom öffentlichen Straßenverkehr mitgenutzt werden. Jedoch muss gemäß Nr. 328 der Zentralrichtlinie A2-220/0-0-5 – vorbehaltlich nicht einschlägiger Ausnahmen – auch auf nichtöffentlichen Straßen des Übungsplatzes das Verhalten der Verkehrsteilnehmer grundsätzlich den Bestimmungen der Straßenverkehrsordnung entsprechen.

Das Passieren der beschilderten Halbschranken entsprach nicht der danach entsprechend anwendbaren Straßenverkehrsordnung. Denn bei den in die Fahrbahn geklappten, rot-weiß gestreiften Halbschranken handelte es sich um eine Verkehrseinrichtung in Form einer Absperrschranke im Sinne des § 43 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 Satz 1 StVO i.V.m. lfd. Nr. 1 der Anlage 4 zur StVO (Zeichen 600), die nach § 43 Abs. 3 Satz 2 StVO nicht passiert werden durfte. Zudem war das an der rechten Halbschranke angebrachte Vorschriftszeichen 250 (Verbot für Fahrzeuge aller Art) gemäß § 41 Abs. 1 StVO i.V.m. lfd. Nr. 28 der Anlage 2 zur StVO zu beachten.

Darüber hinaus handelte es sich bei der Sperre um eine Absperrungsvorkehrung der Truppenübungsplatzkommandantur gemäß Nr. 502 der Zentralrichtlinie A2-2090/0-0-1 (Schießsicherheit) in der seit dem 8. November 2005 geltenden Version 1.2, nämlich um eine geschlossene Schranke an einem Weg, der in einen gefährdeten Bereich führte. Dass diese Schranke trotz der Möglichkeit, sie zu umfahren, für den allgemeinen Verkehr geschlossen war, ergibt sich daraus, dass die Halbschranken entgegen ihrer üblichen Stellung (parallel zur Fahrbahn am Fahrbahnrand) in die Fahrbahn geklappt waren und dadurch das an der rechten Halbschranke angebrachte Vorschriftszeichen 250 mittig in der Fahrbahn zu sehen war. In einer solchen Sperre ist eine – mit der Durchfahrt verletzte – Weisung der Truppenübungsplatzkommandantur zu sehen, nicht in den abgesperrten Bereich einzufahren.

Anforderungen an das Entfallen der Schuld bei Handeln auf Befehl (Rn. 32 ff.)

Zwar kann bei einem Handeln auf Befehl die Schuld entfallen. Denn ein Soldat muss nach § 11 Abs. 1 Satz 1 SG seinen Vorgesetzten gehorchen und ihre Befehle gemäß § 11 Abs. 1 Satz 2 SG nach besten Kräften vollständig, gewissenhaft und zügig ausführen. Dies gilt, sofern ein Befehl nicht ausnahmsweise unverbindlich ist, auch für rechtswidrige Befehle, selbst wenn damit Ordnungswidrigkeiten begangen oder – wie hier – Dienstpflichten verletzt werden (vgl. BVerwG, Urteil vom 28. September 2018 – 2 WD 14.17 – Buchholz 449 § 11 SG Nr. 3 Rn. 41; Lucks, in: Scherer/Alff/Poretschkin/Lucks, SG, 10. Aufl. 2018, § 11 Rn. 12 m.w.N.).

In diesem Fall trägt nach § 10 Abs. 5 Satz 1 SG der Vorgesetzte für seine Befehle die Verantwortung. Dieser der hierarchischen Ordnung der Streitkräfte entsprechende Grundsatz (vgl. BT-Drs. 2/1700 S. 4 zu § 8 SG-E) verlagert die Verantwortung für das Handeln des Untergebenen auf den befehlenden Vorgesetzten. Während bei einem einvernehmlichen Handeln vom Vorgesetzten und Untergebenen letzteren eine Mitverantwortung trifft, trägt der Vorgesetzte bei einem Befehl im Grundsatz die Alleinverantwortung für dessen Ausführung.

Ob das Handeln aufgrund eines zwar rechtswidrigen, aber verbindlichen Befehls gerechtfertigt oder nur entschuldigt ist, ist umstritten (siehe dazu Lingens/Korte, WStG, 5. Aufl. 2012, § 2 Rn. 33 m.w.N.; Dau, in: Erbs/Kohlhaas, Strafrechtliche Nebengesetze, Stand September 2021, § 2 WStG Rn. 5). Die letztgenannte Auffassung ist überzeugender. Denn eine rechtswidrige Ausführungshandlung kann durch einen rechtswidrigen Befehl nicht zur rechtmäßigen Handlung werden. Auch könnte andernfalls ein von der rechtswidrigen Ausführungshandlung betroffener Dritter Notwehr ausüben, wenn der Vorgesetzte diese Handlung selbst beginge, wäre hingegen schutzlos, wenn der Untergebene sie ausführt. Aus diesem Grund führt auch ein unverbindlicher Befehl, mit dessen Befolgen eine Straftat begangen wird, gemäß § 5 WStG unter den dort genannten Voraussetzungen nur zu einem Schuldausschluss oder zu einer Schuldmilderung des Untergebenen.

Voraussetzungen eines Befehls im Sinne des § 11 I SG iVm § 2 Nr. 2 WStG (Rn. 36)

Ein „Befehl“ im Sinne des § 11 Abs. 1 SG i.V.m. § 2 Nr. 2 WStG setzt voraus, dass einem militärischen Untergebenen durch einen militärischen Vorgesetzten schriftlich, mündlich oder in anderer Weise eine Anweisung zu einem bestimmten Tun oder Unterlassen mit Gehorsamsanspruch erteilt wird. Zwar muss dabei der Ausdruck „Befehl“ nicht verwendet werden. Der Anspruch auf Gehorsam muss aber aus Sicht eines objektiven Betrachters (vgl. BVerwG, Urteile vom 22. August 2007 – 2 WD 27.06 – BVerwGE 129, 181 Rn. 45 und vom 17. Januar 2013 – 2 WD 25.11 – juris Rn. 45) nach dem Kontext und dem objektiven Erklärungsgehalt der Äußerung eindeutig erkennbar sein. Dem Adressaten muss vermittelt und deutlich werden, dass der militärische Vorgesetzte nicht nur eine bloße Erwartung kundtut, sondern mit seinem Verlangen die Gehorsamspflicht einfordert, die notfalls mit einer Drohung mit disziplinar- und/oder strafrechtlichen Konsequenzen oder anderen Maßnahmen durchgesetzt werden kann (vgl. BVerwG, Urteil vom 22. März 2006 – 2 WD 7.05 – Buchholz 450.2 § 107 WDO 2002 Nr. 2 LS 2 und Rn. 30).

Anwendung des § 35 Abs. 2 StGB bei einem Irrtum über das Vorliegen der Voraussetzungen eines Befehls (Rn. 40)

§ 35 Abs. 2 StGB regelt den Irrtum des Täters über Umstände, die ihn nach § 35 Abs. 1 StGB entschuldigen würden. Die Vorschrift findet entsprechende Anwendung bei einem Irrtum über Umstände, die einen anderen gesetzlichen oder anerkannten ungeschriebenen Entschuldigungsgrund begründen (vgl. Schaefer, in: Leipold/Tsambikakis/Zöller, Anwaltskommentar StGB, 3. Aufl. 2020, E 16 Rn. 21 m.w.N.; Zieschang, in: Leipziger Kommentar, StGB, 13. Aufl. 2019, § 35 Rn. 117 m.w.N.; Sternberg-Lieben, in: Schönke/Schröder, StGB, 30. Aufl. 2019, Vor § 32 ff. Rn. 126a). Dies gilt auch für einen Irrtum über das Vorliegen der Voraussetzungen eines Befehls (vgl. Lingens/Korte, WStG, 5. Aufl. 2012, § 5 Rn. 3; Dau, in: Münchner Kommentar, StGB, 3. Aufl. 2018, § 5 WStG Rn. 6; a. A. Fischer, StGB, 69. Aufl. 2022, § 16 Rn. 25 – Bestrafung wegen Fahrlässigkeitsschuld bei vermeidbarem Irrtum wie beim Irrtum über Rechtfertigungsmerkmale). Denn beim Handeln aufgrund eines Befehls kann – wie ausgeführt – die Schuld entfallen. Auch ist der psychische Druck eines vermeintlichen Befehls für den Täter derselbe wie der eines tatsächlichen Befehls (vgl. Lingens/Korte, WStG, 5. Aufl. 2012, § 5 Rn. 3).

Pflicht zur Gegenvorstellung bei Irrtum des Befehlenden über dem Befehl zu Grunde liegende Tatsachen (Rn. 42)

Erkennt nämlich ein Soldat, dass sich der Befehlende in einem Irrtum über tatsächliche Umstände befindet und bei Kenntnis der wahren Sachlage den Befehl vielleicht gar nicht erteilt haben würde, ist er jedenfalls dann, wenn es ohne Weiteres möglich ist, verpflichtet, den Vorgesetzten durch eine Gegenvorstellung auf seinen Irrtum aufmerksam zu machen, vor allem, wenn sonst Gefahren entstehen könnten. Das folgt schon daraus, dass jeder Befehl nach § 11 Abs. 1 Satz 2 SG nach besten Kräften gewissenhaft auszuführen ist. Dasselbe gilt, wenn für einen Soldaten nach den ihm bekannten Umständen ein solcher Irrtum des Vorgesetzten offensichtlich ist. Führt er den Befehl dennoch aus, haftet er strafrechtlich für die Folgen (vgl. BGH, Urteil vom 31. Januar 1964 – 4 StR 514/63 – juris Rn. 25). Entsprechendes gilt disziplinarisch.

Verletzung der Kameradschaftspflicht durch Aussetzen in konkrete Lebensgefahr (Rn. 46)

Mit dem Queren der Schießbahn 6, auf der gerade geschossen wurde, hat der Soldat zusätzlich seine Kameradschaftspflicht (§ 12 Satz 2 SG) verletzt, weil er seine Kameraden damit einer konkreten Lebensgefahr ausgesetzt und dadurch ihre Rechte nicht gewahrt hat. Zu diesen Rechten gehören das Leben und die körperliche Unversehrtheit. § 12 Satz 2 SG ist bereits verletzt, wenn die geschützten Rechte eines Kameraden gefährdet sind (vgl. BVerwG, Urteil vom 16. April 2002 – 2 WD 43.01 – Buchholz 236.1 § 12 SG Nr. 18 Seite 42).

Unverbindlichkeit eines sogenannten gefährlichen Befehls (Rn. 50)

Ob und unter welchen Voraussetzungen ein sogenannter gefährlicher Befehl, dessen Befolgung die Gefahr eines Fahrlässigkeitsdelikts in sich birgt, unverbindlich ist, ist umstritten (vgl. Dau, in: Erbs/Kohlhaas, Strafrechtliche Nebengesetze, Stand September 2021, § 2 WStG Rn. 32 m.w.N.; Rönnau/Hohn, in: Leipziger Kommentar, StGB, 13. Aufl. 2019, § 32 Rn. 136 m.w.N.; Sohm, in: Eichen/Metzger/Sohm, SG, 4. Aufl. 2021, § 11 Rn. 51 m.w.N.; Lingens/Korte, WStG, 5. Aufl. 2012, § 2 Rn. 41 m.w.N.; offengelassen in BGH, Urteil vom 31. Januar 1964 – 4 StR 514/63 – juris Rn. 20). Ein solcher Befehl ist jedenfalls unverbindlich, wenn er eine so große Gefahr für Leib und Leben von Untergebenen herbeiführt, dass diese Gefahr in keinem Verhältnis zu dem dienstlichen Zweck des Befehls steht (vgl. BDH, Beschluss vom 8. März 1958 – 2 WB 2.58 – BDHE 4, 181 LS; BVerwG, Urteil vom 28. September 2018 – 2 WD 14.17 – Buchholz 449 § 11 Nr. 3 SG Rn. 48).

Anforderungen an die disziplinarrechtliche Verantwortlichkeit bei Befolgung eines rechtswidrigen und unverbindlichen gefährlichen Befehls (Rn. 52 ff.)

Daraus folgt jedoch nicht, dass ein Soldat, der einen rechtswidrigen und unverbindlich gefährlichen Befehl befolgt, dafür stets disziplinarrechtlich zur Verantwortung gezogen werden kann (so Hucul, in: Eichen/Metzger/Sohm, SG, 4. Aufl. 2021, § 10 Rn. 96). Dies wird von der überwiegenden Meinung mit Recht abgelehnt, solange sich bei der Befolgung des gefährlichen Befehls die Gefahr einer fahrlässigen Körperverletzung oder einer sonstigen Fahrlässigkeitsstraftat nicht realisiert (vgl. BGH, Urteil vom 31. Januar 1964 – 4 StR 514/63 – juris Rn. 21; Lingens/Korte, WStG, 5. Aufl. 2012, § 5 Rn. 7; Sohm, in: Eichen/Metzger/Sohm, SG, 4. Aufl. 2021, § 11 Rn. 24; Dau, in: Münchner Kommentar, StGB, 3. Aufl. 2018, § 2 WStG Rn. 42).

Denn das Soldatengesetz unterscheidet zwischen unverbindlichen Befehlen, die nicht befolgt werden müssen , und solchen, die nicht befolgt werden dürfen (vgl. Dau, in: Erbs/Kohlhaas, Strafrechtliche Nebengesetze, Stand September 2021, § 2 WStG Rn. 39). Während in § 11 Abs. 1 Satz 3, Abs. 2 Satz 1 SG verschiedene Fälle der Unverbindlichkeit von Befehlen aufgeführt sind, wird in § 11 Abs. 2 Satz 1 SG nur ein einziger Fall bezeichnet, in dem ein unverbindlicher Befehl nicht nur nicht befolgt werden muss, sondern nicht befolgt werden darf, nämlich dann, wenn dadurch eine Straftat begangen würde. Dabei trifft den Soldaten nach § 11 Abs. 2 Satz 2 SG nur dann eine Schuld, wenn er erkennt oder es nach den ihm bekannten Umständen offensichtlich ist, dass dadurch eine Straftat begangen wird. Danach soll er eine Verantwortung für die Ausführung selbst eines strafrechtswidrigen Befehls nur tragen, wenn es von seinem Standpunkt unter Ausschluss jeden Zweifels für jeden vernünftigen Menschen offensichtlich gewesen wäre, dass die Ausführung des Befehls strafbar ist (vgl. BT-Drs. 2/1700 S. 20). Dem entsprechen die straf- und völkerrechtlichen Vorschriften des § 5 Abs. 1 WStG und § 3 VStGB.

Aus diesen Regelungen folgt im Umkehrschluss, dass ein Untergebener, der mit dem Befolgen eines unverbindlichen Befehls rechtswidrig, aber nicht strafrechtswidrig handelt, nach dem Willen des Gesetzgebers keine Mitverantwortung tragen soll, sondern die Verantwortung allein beim befehlenden Vorgesetzten verbleibt. Diese Auslegung wird durch die Gesetzesbegründung zu § 11 SG gestützt. Daraus ergibt sich, dass der Gesetzgeber im Blick hatte, dass das deutsche Recht neben strafrechtswidrigen Befehlen weitere Fälle kennt, in denen die Rechtswidrigkeit von Befehlen ihre Unverbindlichkeit zur Folge hat (vgl. BT-Drs. 2/1700 S. 21). Dennoch hat er eine – noch dazu eingeschränkte – Mitverantwortung des Untergebenen ausschließlich für den Fall der Ausführung eines vom Untergebenen als strafrechtswidrig erkannten oder offensichtlich strafrechtswidrigen Befehls vorgesehen. Diese beschränkte Mitverantwortung entspricht auch dem Sinn und Zweck des Befehls als militärischem Führungsmittel, der ein schnelles Handeln zur Durchsetzung militärischer Notwendigkeiten ermöglichen soll. Daher soll es für einen Soldaten im Grundsatz kein Wagnis bedeuten, einem Befehl zu gehorchen, selbst wenn dieser ausnahmsweise einmal unverbindlich sein sollte (vgl. BT-Drs. 2/1700 S. 20).

Anforderungen an die Vermeidbarkeit des Irrtums nach § 35 II StGB (Rn. 62)

Für die Frage der Vermeidbarkeit eines solchen Irrtums im Sinne des § 35 Abs. 2 StGB kommt es darauf an, ob der Betroffene das Vorliegen des Entschuldigungsgrundes gewissenhaft geprüft hat. Dabei sind die Anforderungen an diese Prüfungspflicht nach den konkreten Tatumständen zu bestimmen. Von Bedeutung sind vor allem die Schwere der Tat und die Umstände, unter denen die Prüfung stattgefunden hat, insbesondere die Zeitspanne, die für sie zur Verfügung stand und ob dem Betroffenen eine ruhige Überlegung möglich war; gegebenenfalls kommt es auch darauf an, wodurch ihm die Einsicht in die tatsächliche Sachlage verschlossen war (vgl. BGH, Urteil vom 25. März 2003 – 1 StR 483/02 – BGHSt 48, 255 <262>).

Regelmaßnahme für Führen eines mit Soldaten besetzten KFZ in gesperrten Bereich des Truppenübungsplatzes ohne konkrete Gefährdung der Kameraden (Rn. 66 ff.)

Eine gefestigte Rechtsprechung zum Ausgangspunkt der Zumessungserwägungen für den hier allein das Dienstvergehen ausmachenden Fall, dass ein Soldat vorsätzlich ein mit Kameraden besetztes Dienstfahrzeug in einen für den Verkehr gesperrten Bereich eines Truppenübungsplatzes führt, ohne dass er seine Kameraden dadurch einer konkreten Gefahr aussetzt, besteht nicht. Der Senat hält insoweit im Ausgangspunkt eine Kürzung der Dienstbezüge gemäß § 58 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 59 WDO für angemessen. Dies entspricht dem Gebot kohärenter Rechtsprechung:

Eine Herabsetzung des Dienstgrades ist im Bereich von Straßenverkehrsdelikten Ausgangspunkt der Zumessungserwägungen, wenn ein Soldat auf einer Dienstfahrt fahrlässig einen Verkehrsunfall verursacht, bei dem ein Mensch zu Tode kommt (BVerwG, Urteil vom 11. Dezember 2018 – 2 WD 12.18 – Buchholz 450.2 § 38 WDO 2002 Nr. 61 Rn. 34 ff.). Entsprechendes gilt bei außerdienstlichen Fahrten, wenn ein Soldat durch eine vorsätzliche (vgl. BVerwG, Urteile vom 25. August 2017 – 2 WD 2.17 – Buchholz 450.2 § 38 WDO 2002 Nr. 54 Rn. 52 ff., vom 11. Dezember 2018 – 2 WD 12.18 – Buchholz 450.2 § 38 WDO 2002 Nr. 61 Rn. 33 und vom 17. Juni 2021 – 2 WD 21.20 – Buchholz 450.2 § 38 WDO 2002 Nr. 94 Rn. 22) oder grob fahrlässige (vgl. BVerwG, Urteile vom 23. Januar 2020 – 2 WD 1.19 – Buchholz 450.2 § 38 WDO 2002 Nr. 71 und vom 17. Juni 2021 – 2 WD 21.20 – Buchholz 450.2 § 38 WDO 2002 Nr. 94 Rn. 22; Beschluss vom 26. Oktober 2021 – 2 WDB 8.21 – Rn. 39) Straßenverkehrsgefährdung fahrlässig den Tod eines Menschen verursacht. Verursacht ein Soldat bei einer außerdienstlichen Fahrt fahrlässig den Tod eines anderen Verkehrsteilnehmers, ist Ausgangspunkt der Zumessungserwägungen ein Beförderungsverbot (BVerwG, Urteil vom 17. Juni 2021 – 2 WD 21.20 – Buchholz 450.2 § 38 WDO 2002 Nr. 94 LS).

Das vorliegende Dienstvergehen ist nach Art und Schwere im Vergleich zu diesen Fallkonstellationen deutlich milder zu bewerten. Zwar hat der Soldat auf einer Dienstfahrt vorsätzlich entsprechend anwendbare Bestimmungen der Straßenverkehrsordnung verletzt. Jedoch hat er dadurch Leib und Leben seiner Kameraden weder verletzt noch konkret gefährdet. Denn durch das Umfahren der Halbschranken war der Tagesgefahrenbereich noch nicht erreicht. Allerdings ist wegen des Dienstbezugs nicht nur eine einfache, sondern eine gerichtliche Disziplinarmaßnahme angezeigt, zumal es sich bei der betreffenden Sperre um eine auch der äußeren Schießsicherheit dienende Absperrungsvorkehrung der Truppenübungsplatzkommandantur handelte.

Fehlen der Vorgesetzteneigenschaft kein Milderungsgrund (Rn. 77)

Insbesondere fällt nicht mildernd ins Gewicht, dass der Soldat das Dienstvergehen nicht als Vorgesetzter, sondern als Mannschaftsdienstgrad beging (vgl. BVerwG, Urteile vom 2. Mai 2019 – 2 WD 15.18 – Buchholz 450.2 § 38 WDO 2002 Nr. 63 und vom 3. Juni 2021 – 2 WD 18.20 – Buchholz 450.2 § 38 WDO 2002 Nr. 93 Rn. 29). Denn die verletzten Dienstpflichten gelten für alle Soldaten gleichermaßen. Da § 10 Abs. 1 SG bei Vorgesetzten hinsichtlich der Erfüllung dieser Pflichten erhöhte Anforderungen stellt (vgl. BT-Drs. 2/1770 S. 19, BT-Drs. 2/2140 S. 6), wäre eine Vorgesetzteneigenschaft verschärfend zu berücksichtigen (vgl. BVerwG, Urteile vom 15. April 2021 – 2 WD 14.20 – juris Rn. 33 m.w.N. und vom 3. Juni 2021 – 2 WD 18.20 – Buchholz 450.2 § 38 WDO 2002 Nr. 93 Rn. 29). Dies bedeutet jedoch nicht, dass das Fehlen der Vorgesetzteneigenschaft ein Milderungsgrund ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 3. Juni 2021 – 2 WD 18.20 – Rn. 29 m.w.N.).

Volltext der Entscheidung auf der Website des Bundesverwaltungsgerichts: 2 WD 7.21

BVerwG 2 WD 7.21
TDG Süd 5. Kammer – 27.01.2021 – AZ: TDG S 5 VL 36/18

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