Bundesverwaltungsgericht entscheidet über eine Berufung nach der Wehrdisziplinarordnung (WDO) – Urteil des 2. Wehrdienstsenats vom 4. Februar 2021 – BVerwG 2 WD 9.20

Leitsätze:

  1. In einem Disziplinarverfahren gegen einen Soldaten können die Tatsachenfeststellungen eines rechtskräftigen verwaltungsgerichtlichen Urteils über die Rückforderung von Trennungsgeld nach § 84 Abs. 2 WDO zugrunde gelegt werden.
  2. Ein den Betrugsvorwurf ausschließender Irrtum über die Rechtmäßigkeit des
    Trennungsgeldbezugs liegt nicht vor, wenn ein Soldat über entscheidungserhebliche
    Tatsachen täuscht, dabei die teilweise oder völlige Rechtswidrigkeit des Trennungsgeldbezugs für möglich hält und sie billigend in Kauf nimmt.
  3. Wird ein Soldat versetzt und verlegt er seinen Lebensmittelpunkt an den neuen
    Dienstort, dann entfällt die für einen Trennungsgeldanspruch nach § 12 Abs. 1 Satz 1
    BUKG erforderliche getrennte Haushaltsführung, selbst wenn die bisherige Wohnung
    weiterhin als Zweit- oder Ferienwohnung genutzt wird.

Hervorzuhebende Auszüge aus der Entscheidung:

Bindungswirkung eines verwaltungsgerichtlichen Verfahrens nach § 84 II WDO (Rn. 14)

Hinsichtlich des Tatvorwurfs liegen zwar keine nach § 84 Abs. 1 WDO bindenden tatsächlichen Feststellungen eines strafgerichtlichen Urteils vor. Der Vorfall ist aber in einem Verwaltungsprozess auf Rückforderung zu Unrecht bezogener Trennungsgeldleistungen untersucht worden. Bei einem verwaltungsgerichtlichen Verfahren handelt es sich um ein anderes geordnetes Verfahren im Sinne des § 84 Abs. 2 WDO (BVerwG, Urteil vom 6. Oktober 2010 – 2 WD 35.09 – Buchholz 450.2 § 58 WDO 2002 Nr. 5 Rn. 21; Dau/Schütz, WDO 7. Aufl. 2017, § 84 Rn. 15). Denn die Verwaltungsgerichte ermitteln den von ihnen festgestellten Sachverhalt in einem rechtsstaatlich geordneten Verfahren und die Prozessbeteiligten können durch Vorlage von Beweismitteln, die Stellung von Beweisanträgen und die Abgabe von Stellungnahmen auf die Tatsachenfeststellung des Gerichts Einfluss nehmen. Daher können die in dem rechtskräftigen Urteil des Verwaltungsgerichts München vom 23. April 2015 getroffenen Tatsachenfeststellungen nach § 84 Abs. 2 WDO ohne nochmalige Prüfung zugrunde gelegt werden; etwas Anderes würde nur gelten, wenn dagegen substantiierte Einwendungen erhoben worden wären (BVerwG, Urteil vom 7. März 2019 – 2 WD 11.18 – BVerwGE 165, 53 Rn. 13).

Voraussetzungen für den Trennungsgeldbezug (Rn. 27, 28, 29)

Wird ein Soldat – wie hier – aus dienstlichen Gründen an einen anderen Dienstort versetzt, hat er nach dem Bundesumzugskostengesetz (BUKG) grundsätzlich einen Anspruch auf Umzugskostenvergütung (§ 3 Abs. 1 Nr. 1 BUKG). In Bereichen mit einer besonderen Versetzungshäufigkeit wie der Bundeswehr kann die Zusage der Umzugskostenvergütung gemäß § 3 Abs. 3 Satz 1 und Satz 2 Nr. 1 BUKG drei Jahre aufgeschoben werden. Bis dahin wird Trennungsgeld für die durch die getrennte Haushaltsführung entstandenen notwendigen Aufwendungen gewährt. Dabei knüpft die Gewährung von Trennungsgeld nach § 12 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BUKG an die durch die Versetzung „erzwungene“ getrennte Haushaltsführung an (BVerwG, Urteil vom 20. Juni 2000 – 10 C 3.99 – BVerwGE 111, 255 <257>). Die getrennte Haushaltsführung ist der gesetzliche Rechtfertigungsgrund für die Trennungsgeldgewährung und damit auch in den Fällen des § 3 Abs. 2 Satz 2 TGV Anspruchsvoraussetzung. Sie liegt vor, wenn der Soldat nach seiner Versetzung in der neuen Wohnung am Dienstort und in der alten Wohnung einen Haushalt führt und die bisherige Wohnung weiterhin den Lebensmittelpunkt bildet.

Verlagert der Soldat seinen Lebensmittelpunkt in die Wohnung am neuen Dienstort, entfällt die getrennte Haushaltsführung. Denn die Verlegung des tatsächlichen Schwerpunkts des Familienlebens vom bisherigen Wohnort zum Dienstort ist der versetzungsbedingte Umzug im Sinne des § 3 Abs. 1 Nr. 1 BUKG (BVerwG, Urteil vom 13. März 1980 – 1 D 101.78 – BVerwGE 63, 346 <348>). Hat der Trennungsgeldberechtigte einen Ehegatten, einen Lebenspartner, einen Lebensgefährten oder sonstige Familienangehörige, kommt es für die Verlagerung des Lebensmittelpunkts auch auf deren Nachzug an (vgl. BVerwG, Urteile vom 27. April 2004 – 2 WD 4.04 – BVerwGE 120, 350 <354 f.> und vom 24. Juli 2008 – 2 C 6.07 – Buchholz 262.1 § 1 ATV Nr. 1 Rn. 16). Für den Umzug kann ein Soldat innerhalb von drei Jahren nach seiner Versetzung gemäß § 3 Abs. 3 Satz 4 BUKG jederzeit eine Umzugskostenvergütung beantragen. Bei diesem Umzug ist es ohne Belang, ob und in welchem Umfang der Soldat eine Wohnung oder Mobiliar an dem alten Wohnort zurückgelassen hat und wie weit sich darin das Familienleben weiterhin zeitweilig oder vorübergehend abspielen soll (vgl. BVerwG, Urteile vom 13. März 1980 – 1 D 101.78 – BVerwGE 63, 346 <348> und vom 27. April 2004 – 2 WD 4.04 – BVerwGE 120, 350 <355>). Denn die Entscheidung, die bisherige Wohnung weiterhin als Zweit- oder Ferienwohnung zu nutzen, ist ein rein privater Entschluss, der anders als der Umzug an den Dienstort oder die dem Umzug vorausgehende Benutzung einer Pendlerwohnung nicht durch die Versetzung bedingt ist.

Ist der Trennungsgeldberechtigte an den Dienstort unter Verlegung seines Lebensmittelpunktes umgezogen, fällt im Sinne des § 8 Abs. 1 TGV die maßgebende Voraussetzung einer getrennten Haushaltsführung weg, sodass kein Anspruch auf Trennungsgeld mehr für die Wohnung am Dienstort besteht. Danach kann der versetzte Soldat nicht anders behandelt werden als alle anderen Soldaten, die ihren Lebensmittelpunkt im Umfeld des Dienstortes haben und ihre Mietkosten als Teil der allgemeinen Lebensführungskosten von ihrer Besoldung bestreiten.

Regelmaßnahme bei vorsätzlicher Schädigung des Dienstherrn durch Reisekosten- oder Trennungsgeldbetrug (Rn. 40)

Auf der ersten Stufe bestimmt er zwecks Gleichbehandlung vergleichbarer Fälle und im Interesse der Rechtssicherheit und Voraussehbarkeit der Disziplinarmaßnahme eine Regelmaßnahme für die betreffende Fallgruppe als Ausgangspunkt der Zumessungserwägungen. Dies ist bei vorsätzlicher Schädigung des Dienstherrn bzw. Gefährdung seines Vermögens durch einen Reisekosten- oder Trennungsgeldbetrug eine Dienstgradherabsetzung (vgl. BVerwG, Urteile vom 7. Dezember 2017 – 2 WD 5.17 – Buchholz 450.2 § 58 WDO 2002 Nr. 12 Rn. 70 und vom 14. Mai 2020 – 2 WD 12.19 – juris Rn. 12).

Volltextveröffentlichung der Entscheidung auf der Website des Bundesverwaltungsgerichts: 2 WD 9.20

BVerwG 2 WD 9.20
TDG Süd 5. Kammer – 31.07.2019 – AZ: TDG S 5 VL 30/16

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