Bundesverwaltungsgericht entscheidet über eine Berufung nach der Wehrdisziplinarordnung (WDO) – Urteil des 2. Wehrdienstsenats vom 14. April 2022 – BVerwG 2 WD 9.21

Leitsatz

Die heimliche Aufbewahrung von Überbeständen der Bundeswehr ist ein Dienstvergehen. Der Verkauf dieses Materials ist als Unterschlagung zu werten und wird im Regelfall mit einer Dienstgradherabsetzung geahndet.

Hervorzuhebende Auszüge aus der Entscheidung:

Möglichkeit neuer Vorwürfe im Rahmen einer Nachtragsanschuldigungsschrift (Rn. 20)

Ob durch die mit der Nachtragsanschuldigungsschrift erfolgte Einbeziehung des „April 2018“ als Tatzeitraum eine neue Pflichtverletzung angeschuldigt wurde oder ob damit lediglich eine Konkretisierung erfolgte (vgl. BVerwG, Beschluss vom 13. April 2021 – 2 WDB 1.21 – NZWehrr 2021, 212 ff.), kann dahingestellt bleiben. Denn in einer Nachtragsanschuldigungsschrift dürfen neue Vorwürfe erhoben werden. Außerdem ist deren Zustellung durch Aushändigung in der Hauptverhandlung und unter Vermerk im Protokoll zulässig. In diesem Fall kann – wie geschehen – auf die von § 99 Abs. 2 WDO vorgesehene Aussetzung des Verfahrens und Einräumung einer Äußerungsfrist verzichtet werden (vgl. BVerwG, Beschluss vom 31. Mai 1979 – 2 WD 29.79 – juris Rn. 28 f.).

Eigenbesitzbegründung des Bundes an herrenlosen Sachen in einem Spind einer Kaserne (Rn. 26)

Ferner steht zur Überzeugung des Gerichts fest, dass dieser Sprechsatz zum Zeitpunkt der Entnahmehandlung im Eigentum des Bundes stand. Selbst wenn es sich um einen privaten Sprechsatz gehandelt hätte, den ein anderer Soldat zurückgelassen hat, ändert sich daran nichts. Denn auch wenn der Sprechsatz zunächst im Sinne des § 959 BGB herrenlos dadurch geworden wäre, dass ein anderer Soldat den Besitz daran in der Absicht aufgegeben hätte, auf das Eigentum zu verzichten, hätte der Bund ihn gemäß § 958 Abs. 1 BGB dadurch in Eigenbesitz genommen, dass er ihn in einen Spind einschließen ließ und dem Zugriff Dritter entzog. Dass nach Aussage des Soldaten andere Soldaten – die sogenannten Zugkellerverwalter – über den Schlüssel zu diesem Spind verfügten, schließt den Eigenbesitz des Bundes nicht aus, weil es sich bei ihnen um Besitzdiener nach § 855 BGB handelte (BVerwG, Urteil vom 28. August 2019 – 2 WD 28.18 – Buchholz 450.2 § 38 WDO 2002 Nr. 68 <103 f.>).

Verletzung der Pflicht zum treuen Dienen durch Entziehung von Bundeswehreigentum auch ohne Zueignungsabsicht (Rn. 35 f.)

Die Pflicht zum treuen Dienen nach § 7 SG umfasst die Pflicht, das Vermögen des Dienstherrn zu schützen (BVerwG, Urteil vom 18. April 2013 – 2 WD 16.12 – Buchholz 450.2 § 38 WDO 2002 Nr. 43 <41>). Unvereinbar ist damit, diesem über einen längeren Zeitraum – vorliegend von gut eineinhalb Jahren – die Nutzungsmöglichkeit an Gegenständen zu entziehen, die in dessen Eigentum stehen (BVerwG, Urteil vom 28. August 2019 – 2 WD 28.18 – Buchholz 450.2 § 38 WDO 2002 Nr. 68 Rn. 45). Denn die Bundeswehr kann ihren Aufgaben nur nachkommen, wenn ihre Angehörigen, ihr Gerät und ihre Mittel jederzeit zur Verfügung stehen. Die Vorenthaltung von Material der Bundeswehr ist damit unvereinbar.

Dies gilt auch, wenn – wie vorliegend beim Soldaten – keine Zueignungsabsicht bestand (BVerwG, Urteil vom 13. September 2011 – 2 WD 15.10 – juris Rn. 40) und somit auch kein Straftatbestand verwirklicht wird, der als Verstoß gegen die Loyalität der Rechtsordnung gegenüber (BVerwG, Urteile vom 1. Februar 2012 – 2 WD 1.11 – Buchholz 449 § 7 SG Nr. 57 <1> und vom 15. April 2021 – 2 WD 14.20 – juris Rn. 27) im Hinblick auf § 7 SG zusätzlich Bedeutung erlangt hätte. An der Zueignungsabsicht fehlte es deshalb, weil der Soldat mit dem Verbringen des Sprechsatzes auf seine Stube den Bund als Eigentümer zwar faktisch aus dessen Berechtigtenstellung verdrängte (Enteignungskomponente), er den Sprechsatz jedoch (noch) nicht seinem Vermögen einverleiben wollte (Aneignungskomponente, vgl. BGH, Beschluss vom 21. Januar 1964 – 5 StR 514/63 – BGHSt 19, 387; sowie Fischer, StGB, 68. Aufl. 2021, § 242 Rn. 35 ff.). Denn nach den Tatsachenfeststellungen wollte er die Sache zum Entnahmezeitpunkt nicht für sich – eigentumsgleich – wirtschaftlich verwerten.

Regelmaßnahme für vorsätzliches Vergreifen am Vermögen des Dienstherrn (Rn. 45)

Vergreift sich ein Soldat vorsätzlich am Eigentum oder Vermögen seines Dienstherrn, indiziert ein solches schweres Fehlverhalten regelmäßig eine Dienstgradherabsetzung. Erfolgt der vorsätzliche Zugriff im Bereich der dienstlichen Kernpflichten eines Soldaten oder in der Ausnutzung einer vergleichbaren Vertrauensstellung, bildet die Entfernung aus dem Dienstverhältnis den Ausgangspunkt der Zumessungserwägungen (BVerwG, Urteil vom 30. Januar 2017 – 2 WD 1.16 – juris Rn. 77 f. und Beschluss vom 23. Februar 2012 – 2 B 143.11 – juris Rn. 5). Dabei liegt ein Zugriff auf anvertrautes Material jedoch nur vor, wenn es sich bei gewöhnlichem Ablauf regulär im Arbeitsbereich des Soldaten befindet und dieser sich auch faktisch gewöhnlich mit der Verwahrung und Verwaltung von derartigen Gegenständen befasst (BVerwG, Urteil vom 18. April 2013 – 2 WD 16.12 – Buchholz 450.2 § 38 WDO 2002 Nr. 43); die bloße Möglichkeit des Zugriffs auf Gegenstände begründet kein Anvertrautsein (BVerwG, Urteil vom 28. August 2019 – 2 WD 28.18 – Buchholz 450.2 § 38 WDO 2002 Nr. 68 Rn. 55 m. w. N.). Nach Maßgabe dessen lag kein Anvertrautsein des Sprechsatzes vor, weil der Soldat zum Zeitpunkt der Zugriffshandlung schon keine unmittelbare Zugriffsmöglichkeit besaß, sondern davon abhängig war, dass ihm die Verwahrer des Spindschlüssels den Zugriff ermöglichten.

Volltext der Entscheidung auf der Website des Bundesverwaltungsgerichts: 2 WD 9.21

BVerwG 2 WD 9.21
TDG Süd 5. Kammer – 17.02.2021 – AZ: TDG S 5 VL 56/20

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