Bundesverwaltungsgericht entscheidet über eine Beschwerde nach der Wehrdisziplinarordnung (WDO) – Beschluss des 2. Wehrdienstsenats vom 29. Januar 2019 – BVerwG 2 WDB 1.18

Leitsatz:

Bei Betätigung gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung steht die Überschreitung der Altersgrenze von 65 Jahren der Durchführung eines wehrdisziplinargerichtlichen Verfahrens und der Aberkennung des Dienstgrades nicht entgegen.

Hervorzuhebende Auszüge aus der Entscheidung

Nachwirkende Dienstpflichten (Rn. 11)

Die von § 23 Abs. 2 Nr. 2 SG geregelten nachwirkenden Dienstpflichten stehen in einem Stufenverhältnis. Die erste Alternative beschäftigt sich mit der grundlegenden politischen Treuepflicht, die jedem aktiven Soldaten nach § 8 SG und in geringerem Maße früheren Unteroffizieren und Offizieren nach § 23 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 1 SG obliegt (vgl. BVerwG, Urteil vom 6. September 2012 – 2 WD 26.11 – Buchholz 450.2 § 38 WDO 2002 Nr. 39 Rn. 52). Die Achtung vor der freiheitlichen demokratischen Grundordnung ist für einen Reservisten gleichsam das fortwirkende Band, das ihn mit der Bundeswehr als dem „Parlamentsheer“ eines demokratischen Rechtsstaats innerlich verbindet. Die zweite Alternative des § 23 Abs. 2 Nr. 2 SG beschäftigt sich hingegen mit der darüber hinausgehenden Vorgesetztenpflicht zum würdigen Auftreten. Sie nimmt Bezug auf die in § 17 Abs. 3 SG niedergelegte Pflicht von Offizieren und Unteroffizieren, auch nach ihrem Ausscheiden aus dem Wehrdienst der Achtung und dem Vertrauen gerecht zu werden, die für ihre Wiederverwendung in ihrem Dienstgrad erforderlich sind. Überschreitet ein früherer Unteroffizier oder Offizier die Altersgrenze von 65 Jahren und kann er darum nicht mehr als Vorgesetzter verwendet werden, entfällt diese fortwirkende Vorgesetztenpflicht. Hingegen bleibt auch nach Überschreitung der Altersgrenze die Stellung als Reservist oder früherer Berufssoldat erhalten, weswegen er den früheren Dienstgrad mit dem Zusatz „d.R.“ bzw. „a.D.“ weiterführen darf (§ 2 ResG).

Dieser fortwirkenden Verbundenheit eines Reservisten mit der Bundeswehr im gegenseitigen Treueverhältnis entspricht es, dass auch seine Grundpflicht, die freiheitliche demokratische Grundordnung nicht zu bekämpfen, über die Grenze der Wiederverwendungsfähigkeit hinaus bestehen bleibt. Betätigt er sich gleichwohl gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung, besteht ein Interesse daran, einen ehemaligen Unteroffizier oder Offizier aus den Reihen der Reservisten einer demokratisch-rechtsstaatlichen Armee formell auszuschließen. Dies entspricht auch dem Sinn und Zweck des § 23 Abs. 2 Nr. 2 SG, die moralische Integrität des Reserveoffiziers- und Reserveunteroffizierkorps zu gewährleisten (BVerwG, Urteil vom 24. Februar 1981 – 2 WD 72.80 – BVerwGE 73, 148 <151>). Daher kann – entgegen der Rechtsauffassung des Truppendienstgerichts – auf der Grundlage dieser Vorschrift auch nach Überschreitung der Altersgrenze von 65 Jahren bei Betätigung gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung im wehrdisziplinargerichtlichen Verfahren der Dienstgrad gegen den Willen des Betroffenen aberkannt werden.

Umgrenzungsfunktion der Anschuldigungsschrift (Rn. 9)

Die Annahme des Truppendienstgerichts, die Anschuldigungsschrift beschränke die gerichtliche Prüfung darauf, ob ein Dienstvergehen nach § 23 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 SG vorliege, beruht jedoch auf einem fehlerhaften Verständnis des § 99 Abs. 1 Satz 2 und des § 107 Abs. 1 WDO. Zwar dürfen gemäß § 107 Abs. 1 WDO zum Gegenstand der Urteilsfindung nur Pflichtverletzungen gemacht werden, die einem Soldaten in der Anschuldigungsschrift zur Last gelegt worden sind; in ihr sind jedoch gemäß § 99 Abs. 1 Satz 2 WDO nur die Tatsachen darzustellen, in denen ein Dienstvergehen erblickt wird. Nur durch sie wird der Prozessstoff, d.h. der Sachverhalt, der allein zum Gegenstand der Urteilsfindung gemacht werden darf, bestimmt (BVerwG, Urteil vom 27. Juni 2013 – 2 WD 5.12 – Buchholz 450.2 § 38 WDO 2002 Nr. 44 Rn. 30). Allein in diesem Umfang wird eine Bindung des Wehrdienstgerichts begründet. Nicht erforderlich ist hingegen die Bezeichnung der Rechtsnorm, gegen die der frühere Soldat verstoßen haben soll. Für den Vorsitzenden des Truppendienstgerichts war somit nicht die Feststellung in der Anschuldigungsschrift bindend, das Verhalten des früheren Soldaten sei rechtlich als Dienstvergehen gemäß § 23 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 SG zu würdigen. Zu prüfen war auf Grund des in der Anschuldigungsschrift ausführlich und konkret beschriebenen Tatverhaltens zusätzlich, ob der frühere Soldat sich dadurch im Sinne von § 23 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 1 SG gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung des Grundgesetzes betätigt hat und ob auch im Hinblick darauf ein Verfahrenshindernis besteht.

Voraussetzungen für Beschluss ohne ehrenamtliche Richter nach § 108 IV WDO (Rn. 14)

Zwar liegt es grundsätzlich nach § 108 Abs. 4 WDO im Ermessen des Vorsitzenden, außerhalb der Hauptverhandlung ein Verfahren ohne ehrenamtliche Beisitzer durch Beschluss einzustellen. Wirft die Prüfung der Frage, ob ein Verfahrenshindernis vorliegt, jedoch bislang höchstrichterlich nicht geklärte Rechtsfragen auf, ist darüber wegen der damit verbundenen Grundsatzbedeutung – wie bei der Abweichung von einer höchstrichterlichen Rechtsprechung – in einer Hauptverhandlung durch die gesamte Kammer zu entscheiden (vgl. BVerwG, Beschluss vom 10. Juli 2018 – 2 WDB 2.18 – NZWehrr 2018, 248 <250>).

Volltext der Entscheidung auf der Website des Bundesverwaltungsgerichts: 2 WDB 1.18

BVerwG 2 WDB 1.18
TDG Nord 6. Kammer – 15.01.2018 – AZ: TDG N 6 VL 8/16

WordPress Cookie Hinweis von Real Cookie Banner