Bundesverwaltungsgericht entscheidet über eine Beschwerde nach der Wehrdisziplinarordnung (WDO) – Beschluss des 2. Wehrdienstsenats vom 11. Februar 2021 – BVerwG 2 WDB 10.20

Hervorzuhebende Auszüge aus der Entscheidung

Voraussetzungen der vorläufigen Dienstenthebung (Rn. 11 – 14)

Gemäß § 126 Abs. 1 Satz 1 WDO kann die Einleitungsbehörde einen Soldaten vorläufig des Dienstes entheben, wenn das gerichtliche Disziplinarverfahren gegen ihn eingeleitet wird oder eingeleitet worden ist.

Eine vorläufige Dienstenthebung dient dazu, einen Zustand, der endgültig erst auf Grund eines längere Zeit beanspruchenden förmlichen Verfahrens geregelt wird, vorübergehend zu ordnen, um dadurch Nachteile und Gefahren insbesondere für Disziplin und Ordnung in den Streitkräften abzuwehren oder zu verhindern, dass vollendete Tatsachen geschaffen werden, bevor die Entscheidung im gerichtlichen Disziplinarverfahren getroffen ist (vgl. BVerwG, Beschluss vom 18. April 1991 – 2 WDB 3.91 – BVerwGE 93, 69 <71> m.w.N.).

Der erforderliche besondere Grund für eine Anordnung nach § 126 Abs. 1 Satz 1 WDO ist regelmäßig jedenfalls dann gegeben, wenn eine Dienstgradherabsetzung im Raum steht und der Dienstbetrieb bei einem Verbleib des Soldaten im Dienst empfindlich gestört oder in besonderem Maße gefährdet würde (vgl. BVerwG, Beschluss vom 27. Juli 2020 – 2 WDB 5.20 – Buchholz 450.2 § 126 WDO 2002 Nr. 12 Rn. 24 m.w.N.).

Bei der Ausübung ihres Ermessens hinsichtlich des Erlasses und der Aufrechterhaltung einer vorläufigen Dienstenthebung hat die Einleitungsbehörde den verfassungsrechtlichen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu beachten. Dieser sich als übergreifende Leitregel allen staatlichen Handelns aus dem Rechtsstaatsprinzip ergebende Grundsatz besagt, dass das gewählte Mittel und der gewollte Zweck in einem vernünftigen Verhältnis zueinander stehen müssen. Dies ist bei einer vorläufigen Dienstenthebung, mit der ein Verlust der Berufsförderung als Minderung der dem Soldaten vom Dienstherrn geschuldeten Leistungen einhergeht, nur der Fall, wenn das disziplinargerichtliche Verfahren mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ein auf die Höchstmaßnahme lautendes Urteil erwarten lässt (vgl. BVerwG, Beschluss vom 18. April 1991 – 2 WDB 3.91 – BVerwGE 93, 69 <70> m.w.N.).

Verfahren über die Aufrechterhaltung einer Einbehaltensanordnung (Rn. 18)

Im Verfahren gemäß § 126 Abs. 5 WDO über die Aufrechterhaltung einer auf § 126 Abs. 2 Satz 1 WDO gestützten Einbehaltensanordnung ist ebenfalls grundsätzlich von der Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung auszugehen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 27. Juli 2020 – 2 WDB 5.20 – Buchholz 450.2 § 126 WDO 2002 Nr. 12 Rn. 18 m.w.N.). Ergibt sich dabei, dass die Einbehaltensanordnung aufzuheben ist, ist weiter zu prüfen, ob sie auch schon zuvor rechtswidrig war und deshalb rückwirkend aufzuheben ist. An der diesbezüglichen Feststellung besteht ein Rechtsschutzinteresse, weil die nach § 126 WDO einbehaltenen Beträge gemäß § 127 Abs. 1 Nr. 1 WDO verfallen, wenn im disziplinargerichtlichen Verfahren auf die Höchstmaßnahme erkannt wird. Der Verfall tritt indes nicht ein, soweit die Einbehaltensanordnung aufgehoben wurde (vgl. BVerwG, Beschluss vom 16. Dezember 2020 – 2 WDB 9.20 – Rn. 12 m.w.N.).

Ausübung des Ermessens bei Anordnung einer Einbehaltensanordnung (Rn. 20, 21)

Die Einleitungsbehörde hat auch bei der Ausübung ihres Ermessens hinsichtlich des Erlasses und der Aufrechterhaltung einer Einbehaltungsanordnung den verfassungsrechtlichen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu beachten. Daraus folgt, dass ein durch eine Einbehaltensanordnung bewirkter Eingriff in die Rechtsposition des Betroffenen nicht länger dauern darf, als er sachlich geboten erscheint (vgl. BVerwG, Beschluss vom 17. Februar 2020 – 2 WDB 6.19 – Buchholz 450.2 § 126 WDO 2002 Nr. 10 Rn. 10 m.w.N. zu § 126 Abs. 3 WDO).

Die gesetzlich vorgesehene Einbehaltensanordnung ist nur in Ansehung eines ordnungsgemäß durchzuführenden Disziplinarverfahrens unter Beachtung des Beschleunigungsgrundsatzes eine im Allgemeinen verfassungsrechtlich unbedenkliche Maßnahme. Mit zunehmender Verzögerung des Abschlusses des Disziplinarverfahrens gerät die Aufrechterhaltung einer teilweisen Einbehaltung von Dienstbezügen notwendigerweise immer stärker in einen Widerstreit mit dem Prinzip der Verhältnismäßigkeit. Da innerhalb einer stetig verlaufenden zeitlichen Entwicklung der präzise Zeitpunkt, zu dem eine noch verhältnismäßige, durch die Einbehaltung verursachte Belastung in eine unverhältnismäßige Belastung umschlägt, nicht feststellbar ist, bedarf es zur hinreichenden Begründung der Unverhältnismäßigkeit ihrer sich aus den konkreten Umständen des Einzelfalls ergebenden Evidenz (vgl. BVerfG, Beschluss vom 8. September 1993 – 2 BvR 1517/92 – NVwZ 1994, 574 <574>, BVerwG, Beschluss vom 17. Februar 2020 – 2 WDB 6.19 – Buchholz 450.2 § 126 WDO 2002 Nr. 10 Rn. 11 m.w.N.).

Voraussetzungen der Anordnung einer Einbehaltensanordnung (Rn. 19)

Gemäß § 126 Abs. 2 Satz 1 WDO kann die Einleitungsbehörde gleichzeitig mit einer vorläufigen Dienstenthebung eines Soldaten oder später anordnen, dass ein Teil, höchstens die Hälfte der jeweiligen Dienstbezüge des Soldaten einbehalten wird, wenn im gerichtlichen Disziplinarverfahren voraussichtlich auf Entfernung aus dem Dienstverhältnis oder Aberkennung des Ruhegehalts erkannt werden wird.

Volltext der Entscheidung auf der Website des Bundesverwaltungsgerichts: 2 WDB 10.20

BVerwG 2 WDB 10.20

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