Bundesverwaltungsgericht entscheidet über eine Beschwerde nach der Wehrdisziplinarordnung (WDO) – Beschluss des 2. Wehrdienstsenats vom 4. Januar 2021 – BVerwG 2 WDB 11.20
Entscheidung:
Die Anordnung der teilweisen Einbehaltung des Ruhegehalts setzt neben einer wirksamen Einleitungsverfügung die Prognose voraus, dass dem in den Ruhestand getretenen früheren Soldaten im gerichtlichen Disziplinarverfahren voraussichtlich das Ruhegehalt aberkannt werden wird. Bei der Ausübung ihres Ermessens hinsichtlich des Erlasses einer Einbehaltensanordnung hat die Einleitungsbehörde den verfassungsrechtlichen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu beachten. Dieser sich als übergreifende Leitregel allen staatlichen Handelns aus dem Rechtsstaatsprinzip ergebende Grundsatz besagt, dass das gewählte Mittel und der gewollte Zweck in einem vernünftigen Verhältnis zueinander stehen müssen. Daraus folgt, dass ein durch eine Einbehaltensanordnung bewirkter Eingriff in die Rechtsposition des Betroffenen nicht länger dauern darf, als er sachlich geboten erscheint (vgl. BVerwG, Beschluss vom 17. Februar 2020 – 2 WDB 6.19 – NVwZ-RR 2020, 646 Rn. 10 m.w.N. zu § 126 Abs. 3 WDO). Da die Anordnung der teilweisen Einbehaltung des Ruhegehalts an die vorangegangene Anordnung der teilweisen Einbehaltung der Dienstbezüge anknüpft, sind bei der Ausübung des der Einleitungsbehörde durch § 126 Abs. 2 Satz 2 Halbs. 2 WDO eingeräumten Ermessens auch die bereits eingetretenen Belastungen des Betroffenen durch die teilweise Einbehaltung seiner Dienstbezüge zu berücksichtigen.
Die gesetzlich vorgesehene Einbehaltensanordnung ist nur in Ansehung eines ordnungsgemäß durchzuführenden Disziplinarverfahrens unter Beachtung des Beschleunigungsgrundsatzes eine im Allgemeinen verfassungsrechtlich unbedenkliche Maßnahme. Mit zunehmender Verzögerung des Abschlusses des Disziplinarverfahrens gerät die Aufrechterhaltung einer teilweisen Einbehaltung von Dienstbezügen oder von Ruhegehalt notwendigerweise immer stärker in einen Widerstreit mit dem Prinzip der Verhältnismäßigkeit. Da innerhalb einer stetig verlaufenden zeitlichen Entwicklung der präzise Zeitpunkt, zu dem eine noch verhältnismäßige, durch die Einbehaltung verursachte Belastung in eine unverhältnismäßige Belastung umschlägt, nicht feststellbar ist, bedarf es zur hinreichenden Begründung der Unverhältnismäßigkeit ihrer sich aus den konkreten Umständen des Einzelfalls ergebenden Evidenz (vgl. BVerfG, Beschluss vom 8. September 1993 – 2 BvR 1517/92 – NVwZ 1994, 574 <574>, BVerwG, Beschluss vom 17. Februar 2020 – 2 WDB 6.19 – NVwZ-RR 2020, 646 Rn. 11 m.w.N.).
Volltext der Entscheidung auf der Website des Bundesverwaltungsgerichts: 2 WDB 11.20
BVerwG 2 WDB 11.20