Bundesverwaltungsgericht entscheidet über eine Beschwerde nach der Wehrdisziplinarordnung (WDO) – Beschluss des 2. Wehrdienstsenats vom 10. Juli 2022 – BVerwG 2 WDB 11.21

Leitsätze:

1. Eine Beschwerde ist auch dann rechtswirksam eingelegt, wenn sie nicht an die Kammer des (zuständigen) Truppendienstgerichts adressiert ist, deren Entscheidung angefochten wird (Aufgabe von BVerwGE 46, 259 f.).

2. Die Notfallzuständigkeit eines anderen Truppendienstgerichts nach § 20 Abs. 1 Satz 1 WDO aktualisiert sich erst, wenn kein Richter des grundsätzlich zuständigen Truppendienstgerichts nach dessen Geschäftsverteilungsplan erreichbar ist.

3. Dient die Durchsuchungsanordnung dem Nachweis mehrerer Pflichtverletzungen, ist dem bei der Frage des Anfangsverdachts und der notwendig zu durchsuchenden Gegenstände differenzierend und insbesondere verhältnismäßig Rechnung zu tragen.

Hervorzuhebende Auszüge aus der Entscheidung:

Statthaftigkeit der Beschwerde gegen Durchsuchungs- und Beschlagnahmebeschlüsse des Truppendienstgerichts (Rn. 15 f. )

Ihre Statthaftigkeit folgt aus § 114 Abs. 1 Satz 1 und 2 WDO. Danach sind Beschwerden gegen Beschlüsse des Truppendienstgerichts, die der Urteilsfällung vorausgehen, ausnahmsweise zulässig, wenn sie eine Durchsuchung oder Beschlagnahme betreffen, sofern das Gesetz nicht etwas anderes bestimmt. § 114 WDO gilt nach seiner systematischen Stellung in der Wehrdisziplinarordnung auch für richterliche Beschlüsse, die – wie hier – in einem von der Wehrdisziplinaranwaltschaft geführten Vorermittlungsverfahren (§ 92 WDO) ergangen sind (BVerwG, Beschluss vom 7. August 2012 – 2 WDB 1.12 – juris Rn. 21 m. w. N.). Für Anordnungen, die nach § 20 Abs. 1 WDO durch den Truppendienstrichter ergehen, sieht die Wehrdisziplinarordnung – anders als bei Entscheidungen der Truppendienstkammer nach § 20 Abs. 2 Satz 8 WDO – auch nicht vor, dass sie endgültig (unanfechtbar) sind.

Die Beschwerde ist gemäß § 114 Abs. 2 Satz 1 WDO am 13. Oktober 2021 innerhalb eines Monats nach der am 6. Oktober 2021 erfolgten Bekanntgabe des Beschlusses an den Soldaten fristgerecht erhoben worden. Dass sie an die 5. Kammer adressiert war, nimmt ihr nicht ihre Wirksamkeit. Soweit der Senat in seinem Beschluss vom 20. Mai 1974 – 2 WD 50.73 – (BVerwGE 46, 259 <260 f.>) ausgeführt hat, das Rechtsmittel – dort der Berufung – dürfe bei der Kammer, die die angefochtene Entscheidung erlassen habe, auch bei dem Truppendienstgericht, bei dem die Kammer eingerichtet sei, eingelegt werden, nicht aber bei einer anderen Kammer desselben Gerichts, hält er daran nicht mehr fest. Der Wortlaut des § 114 Abs. 2 Satz 1 WDO vermittelt für eine derartige Restriktion des Zugangs zur Rechtsmittelinstanz keinen Anhaltspunkt; sie würde zu einer Überspannung prozessualer Anforderungen führen, die durch Sachgründe nicht zu rechtfertigen wäre (vgl. BVerfG, Kammerbeschluss vom 18. März 2022 – 2 BvR 1232/20 – NVwZ 2022, 789 Rn. 23 ff.). Dies gilt umso mehr, als nach dem durch Art. 2 des Gesetzes zur Neuregelung des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens vom 17. Dezember 1990 (BGBl. 1990 I S. 2809) in das Gerichtsverfassungsgesetz eingefügten § 17b Abs. 1 Satz 2 GVG die Wirkungen der Rechtshängigkeit selbst dann bestehen bleiben, wenn der Rechtsstreit an ein schon im Grundsatz unzuständiges Gericht herangetragen worden ist und er verwiesen wird.

Voraussetzungen von Durchsuchungs- und Beschlagnahmeanordnungen (Rn. 21)

Durchsuchungs- und Beschlagnahmeanordnungen nach § 20 Abs. 1 WDO sind rechtlich selbständige und in einem Stufenverhältnis stehende Entscheidungen. Eine Durchsuchungsanordnung setzt eine berechtigte Auffindevermutung im Hinblick auf potenzielle Beweismittel voraus. Da bei Erlass einer Durchsuchungsanordnung im Regelfall nicht feststeht, ob und welche potenziellen Beweisgegenstände im Einzelnen bei der Durchsuchung vorgefunden werden, müssen diese in der Durchsuchungsanordnung noch nicht konkret bezeichnet werden. Im Gegensatz dazu muss sich jedoch eine Beschlagnahmeanordnung als gewichtiger Eingriff in das Eigentumsgrundrecht (Art. 14 Abs. 1 GG) auf Einzelgegenstände beschränken, deren Beweiseignung und Beschlagnahmefähigkeit bereits konkret gegenstandsbezogen geprüft worden ist (vgl. BVerwG, Beschluss vom 9. Februar 2022 – 2 WDB 12.21 – Leitsatz 4). Dazu dient insbesondere bei elektronischen Speichermedien die in § 91 Abs. 1 Satz 1 WDO i. V. m. § 110 StPO gesondert geregelte Durchsicht und für die Durchsicht privater Papiere § 20 Abs. 3 Satz 3 WDO. Sie bewegen sich zwischen der Durchsuchung und der Beschlagnahme und dienen der Klärung, ob und in welchem Umfang noch eine richterliche Beschlagnahmeanordnung zu erwirken ist oder die vorläufig zur Durchsicht sichergestellten Gegenstände zurückzugeben sind. Die Durchsicht ist zwar angesichts der fortdauernden Besitzentziehung in ihrer Wirkung für den Betroffenen der Beschlagnahme angenähert, aber noch Teil der Durchsuchung. Dementsprechend ist eine bereits vorab mit einem Durchsuchungsbeschluss verbundene allgemeine Beschlagnahmegestattung, die keine Konkretisierung der erfassten Gegenstände, sondern nur gattungsmäßige Umschreibungen enthält, regelmäßig noch keine Beschlagnahmeanordnung im Rechtssinne. Ihr kommt lediglich die Bedeutung einer Richtlinie für die Durchsuchung mit dem Ziel der Begrenzung des Durchsuchungsbeschlusses zu (zusammenfassend: BVerwG, Beschluss vom 9. Februar 2022 – 2 WDB 12.21 – juris Rn. 12 ff. m. w. N.).

Zuständiger Richter zum Erlass eines Durchsuchungsbeschlusses nach § 20 WDO (Rn. 25)

Die Anordnung zu Durchsuchungen durch den Disziplinarvorgesetzten hat gemäß § 20 Abs. 1 Satz 1 WDO durch den zuständigen Richter zu erfolgen. Dies ist nach § 72 Abs. 5 WDO i. V. m. § 21e GVG sowie dem maßgeblichen Geschäftsverteilungsplan des Truppendienstgerichts der dort als zuständig bestimmte Richter oder – im Fall seiner Verhinderung – dessen Vertreter. Die nach § 20 Abs. 1 Satz 1 WDO vorgesehene (Notfall-)Zuständigkeit „des nächst erreichbaren Truppendienstgerichts“ aktualisiert sich nach dem Gesetzeswortlaut erst dann, wenn überhaupt kein Richter des – gemäß § 69 Abs. 2 Satz 1 WDO über mehrere Kammern verfügenden – zuständigen Truppendienstgerichts (§ 69 Abs. 1 WDO) erreichbar ist. Nur in diesem Fall darf sich der Disziplinarvorgesetzte an ein anderes, für ihn nächst erreichbares Truppendienstgericht wenden. Dort ist der nach dem Geschäftsverteilungsplan für Notfälle im Sinne des § 20 Abs. 1 Satz 1 WDO bzw. für sonstige Sachen bestellte Richter zuständig, so dass der Wehrdisziplinaranwaltschaft kein Wahlrecht hinsichtlich des einzelnen Truppendienstrichters zusteht. Die im Schrifttum gegen die Rechtsstaatlichkeit des § 20 Abs. 1 Satz 1 WDO geäußerten Bedenken sind daher unberechtigt (vgl. Dau/Schütz, WDO, 8. Aufl. 2022, § 20 Rn. 14 i. V. m. § 40 Rn. 5 und 7).

Volltext der Entscheidung auf der Website des Bundesverwaltungsgerichts: 2 WDB 11.21

BVerwG 2 WDB 11.21
TDG Nord 4. Kammer – 06.10.2021 – AZ: N 4 DsL 06/21 und N 5 BLd 2/21

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