Bundesverwaltungsgericht entscheidet über eine Beschwerde nach der Wehrdisziplinarordnung (WDO) – Beschluss des 2. Wehrdienstsenats vom 9. Februar 2022 – BVerwG 2 WDB 12.21
Leitsätze:
1. Eine richterliche Durchsuchungsanordnung nach § 20 Abs. 1 WDO muss vom zuständigen Richter nicht handschriftlich unterzeichnet werden.
2. § 20 Abs. 1 WDO ist eine verfassungskonforme Ermächtigungsgrundlage für die richterliche Anordnung einer Durchsuchung von Datenträgern und darauf gespeicherten Daten (hier: Smartphones und Tablets).
3. Einwendungen gegen die Dauer der Durchsicht von Datenträgern, die aufgrund eines Durchsuchungsbeschlusses dem Soldaten vorläufig entzogen wurden, sind im Beschwerdeverfahren nach § 42 Nr. 5 WDO geltend zu machen.
4. Die mit einer richterlichen Durchsuchungsanordnung verbundene allgemeine Beschlagnahmegestattung ersetzt nicht die konkrete Beschlagnahme einzelner beweiserheblicher Gegenstände bzw. Daten nach § 20 Abs. 1 WDO.
Hervorzuhebende Auszüge aus der Entscheidung:
Stufenverhältnis von Durchsuchungs- und Beschlagnahmeanordnung im Sinne des § 20 I WDO (Rn. 12 ff. )
Durchsuchungs- und Beschlagnahmeanordnungen nach § 20 Abs. 1 WDO sind rechtlich selbständige, regelmäßig in einem Stufenverhältnis stehende Entscheidungen. Eine Durchsuchungsanordnung setzt eine berechtigte Auffindevermutung im Hinblick auf potenzielle Beweismittel voraus. Da bei Erlass einer Durchsuchungsanordnung im Regelfall nicht feststeht, ob und welche potenziellen Beweisgegenstände im Einzelnen bei der Durchsuchung vorgefunden werden, müssen diese in der Durchsuchungsanordnung noch nicht konkret bezeichnet werden. Demgegenüber muss sich eine Beschlagnahmeanordnung als gewichtiger Eingriff in das Eigentumsgrundrecht (Art. 14 Abs. 1 GG) auf Einzelgegenstände beschränken, deren Beweiseignung und Beschlagnahmefähigkeit bereits konkret gegenstandsbezogen geprüft worden ist (vgl. BVerfG, Kammerbeschlüsse vom 28. April 2003 – 2 BvR 358/03 – BVerfGK 1, 126 Rn. 23 und vom 18. März 2009 – 2 BvR 1036/08 – BVerfGK 15, 225 Rn. 50). Dazu dient insbesondere bei elektronischen Speichermedien die in § 91 Abs. 1 Satz 1 WDO i.V.m. § 110 StPO gesondert geregelte Durchsicht, die vorliegend noch nicht abgeschlossen ist. Sie bewegt sich zwischen der Durchsuchung und der Beschlagnahme und dient erst der Klärung, ob und in welchem Umfang eine richterliche Beschlagnahmeanordnung zu erwirken ist oder die vorläufig zur Durchsicht sichergestellten Gegenstände zurückzugeben sind. Die Durchsicht ist zwar angesichts der fortdauernden Besitzentziehung in ihrer Wirkung für den Betroffenen der Beschlagnahme angenähert, ist aber noch Teil der Durchsuchung (vgl. BVerfG, Kammerbeschluss vom 30. November 2021 – 2 BvR 2038/18 – juris Rn. 44 m.w.N.).
Dementsprechend ist eine bereits vorab mit einem Durchsuchungsbeschluss verbundene allgemeine Beschlagnahmegestattung, die keine Konkretisierung der erfassten Gegenstände, sondern nur gattungsmäßige Umschreibungen enthält, ungeachtet ihrer Bezeichnung noch keine Beschlagnahmeanordnung im Rechtssinne. Ihr kommt lediglich die Bedeutung einer Richtlinie für die Durchsuchung mit dem Ziel der Begrenzung des Durchsuchungsbeschlusses zu (vgl. BVerfG, Beschluss vom 16. Juni 2009 – 2 BvR 902/06 – BVerfGE 124, 43 <76> zu §§ 94 ff. StPO sowie Kammerbeschlüsse vom 29. Juni 2009 – 2 BvR 174/05 – juris Rn. 25 und vom 20. September 2018 – 2 BvR 708/18 – NJW 2018, 3571 Rn. 22).
Statthaftigkeit der Beschwerde gegen Durchsuchungsbeschlüsse nach § 20 WDO (Rn. 16)
Ihre Statthaftigkeit folgt aus § 114 Abs. 1 Satz 1 und 2 WDO. Danach sind Beschwerden gegen Beschlüsse des Truppendienstgerichts, die der Urteilsfällung vorausgehen, ausnahmsweise zulässig, wenn sie eine Durchsuchung oder Beschlagnahme betreffen, sofern das Gesetz nicht ausdrücklich etwas anderes bestimmt. § 114 WDO gilt nach seiner systematischen Stellung in der Wehrdisziplinarordnung auch für richterliche Beschlüsse, die – wie hier – in einem von der Wehrdisziplinaranwaltschaft geführten Vorermittlungsverfahren (§ 92 WDO) ergangen sind (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 10. März 2009 – 2 WDB 3.08 – BVerwGE 133, 231 Rn. 18 und vom 7. August 2012 – 2 WDB 1.12 – juris Rn. 21 m.w.N.). Für Durchsuchungsanordnungen, die nach § 20 Abs. 1 WDO durch den Truppendienstrichter ergehen, sieht die Wehrdisziplinarordnung – anders als bei Entscheidungen der Truppendienstkammer nach § 20 Abs. 2 Satz 8 WDO – auch nicht vor, dass das Truppendienstgericht „endgültig“ entscheidet.
Rechtsgrundlage für Durchsuchungsbeschlüsse (Rn. 21)
Der Beschluss findet seine Rechtsgrundlage in § 20 WDO. Diese Vorschrift gilt nach ihrer systematischen Stellung im Ersten Abschnitt (Allgemeine Bestimmungen) des Zweiten Teils (Ahndung von Dienstvergehen durch Disziplinarmaßnahmen) der Wehrdisziplinarordnung für alle Arten der im Zweiten Teil geregelten Disziplinarverfahren. Sie geht in gerichtlichen Disziplinarverfahren (Dritter Abschnitt des Zweiten Teils) als spezielle Regelung über Durchsuchungen in der Wehrdisziplinarordnung dem lediglich ergänzenden und damit subsidiären Verweis in § 91 Abs. 1 Satz 1 WDO auf die Vorschriften der Strafprozessordnung vor (BVerwG, Beschluss vom 7. August 2012 – 2 WDB 1.12 – juris Rn. 25).
Anforderungen an die Verhältnismäßigkeit eines Durchsuchungsbeschlusses im Sinne des § 20 WDO (Rn. 55)
Die Anordnung der Durchsuchung war auch verhältnismäßig. Nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit muss die Durchsuchung auch im Einzelfall mit Blick auf den bei der Anordnung verfolgten gesetzlichen Zweck erfolgversprechend sein. Ferner muss gerade diese Zwangsmaßnahme zur Ermittlung und Verfolgung des Dienstvergehens erforderlich sein, was nicht der Fall ist, wenn andere, weniger einschneidende Mittel zur Verfügung stehen. Schließlich muss der Eingriff in einem angemessenen Verhältnis zur Schwere des vorgeworfenen Dienstvergehens und der Stärke des Tatverdachts stehen. Hierbei sind auch die Bedeutung der potenziellen Beweismittel für das Disziplinarverfahren sowie der Grad des auf die verfahrenserheblichen Informationen bezogenen Auffindeverdachts zu bewerten (vgl. BVerfG, Kammerbeschluss vom 20. November 2019 – 2 BvR 31/19, 2 BvR 886/19 – NJW 2020, 384 Rn. 25 m.w.N.).
Rechtsschutzmöglichkeit des Soldaten gegen Vollzug der Durchsuchungsanordnung (Rn. 57 f.)
Soweit der Soldat die Dauer der noch laufenden Auswertung der Geräte rügt, betrifft dies den Vollzug der Durchsuchungsanordnung, macht diese als solche aber nicht rechtswidrig. Gegenstand der vorliegenden Beschwerde ist – wie ausgeführt – allein die Rechtmäßigkeit der richterlichen Durchsuchungsanordnung, nicht die Rechtmäßigkeit seiner Ausführung. Diese kann im Verfahren nach § 114 WDO, das auf richterliche Beschlüsse und richterliche Verfügungen beschränkt ist, nicht überprüft werden (vgl. BVerwG, Beschluss vom 7. August 2012 – 2 WDB 1.12 – juris Rn. 32).
Gegen die Durchführung von Maßnahmen nach § 20 WDO kann der Soldat gemäß § 42 Nr. 5 Satz 1 WDO mit einer in die abschließende Zuständigkeit des Truppendienstgerichts fallenden Beschwerde vorgehen. In einem solchen Verfahren wäre insbesondere die von ihm aufgeworfene Frage der Verhältnismäßigkeit der fortdauernden Besitzentziehung der elektronischen Geräte zur Durchsicht zu prüfen, wobei die vom Bundesverfassungsgericht zur Durchsuchung, Sicherstellung und Beschlagnahme von Datenträgern und den darauf befindlichen Daten entwickelten Maßstäbe (vgl. BVerfG, Beschluss vom 12. April 2005 – 2 BvR 1027/02 – BVerfGE 113, 29 Rn. 113 ff.) zu berücksichtigen und die im Strafprozessrecht zur angemessenen Dauer einer Durchsicht entwickelten Grundsätze (vgl. Tsambikakis, in: Löwe-Rosenberg, StPO, 27. Aufl. 2019, § 110 Rn. 22) heranzuziehen wären.
Volltext der Entscheidung auf der Website des Bundesverwaltungsgerichts: 2 WDB 12.21
BVerwG 2 WDB 12.21
TDG Nord 5. Kammer – 03.09.2021 – AZ: N 5 DsL 12/21 und N 5 BLd 1/21