Bundesverwaltungsgericht entscheidet über eine Beschwerde nach der Wehrdisziplinarordnung (WDO) – Beschluss des 2. Wehrdienstsenats vom 13. März 2020 – BVerwG 2 WDB 2.20
Leitsätze:
1. Für die Anordnung der vorläufigen Dienstenthebung und eines Uniformtrageverbots nach § 126 Abs. 1 WDO genügt es, wenn voraussichtlich die Dienstgradherabsetzung als zweitschwerste Disziplinarmaßnahme den Ausgangspunkt der Zumessungserwägungen bildet und der Dienstbetrieb bei einem Verbleib des Soldaten im Dienst empfindlich gestört oder in besonderem Maße gefährdet würde.
2. Bewahrt ein Soldat Audiodateien mit rechtsextremistischen Liedern im Kasernenbereich auf, ohne dass er sie Kameraden überlässt, sie mit Kameraden anhört oder sich des Besitzes dieser Lieder berühmt, begeht er nur dann eine Dienstpflichtverletzung, wenn die Aufbewahrung dieser Lieder im Kasernenbereich durch innerdienstliche Weisung untersagt ist.
Hervorzuhebende Auszüge aus der Entscheidung
Voraussetzungen der Anordnung von vorläufigen Maßnahmen nach § 126 WDO (Rn. 11)
Nach § 126 Abs. 1 WDO kann die Einleitungsbehörde einen Soldaten vorläufig des Dienstes entheben, wenn das gerichtliche Disziplinarverfahren gegen ihn eingeleitet wird oder eingeleitet worden ist. Mit der vorläufigen Dienstenthebung kann das Verbot verbunden werden, Uniform zu tragen. Unter den Voraussetzungen des § 126 Abs. 2 WDO kann die Einleitungsbehörde schließlich eine Kürzung der Dienstbezüge anordnen. Diese Anordnungen sind formell ordnungsgemäß ergangen (a). Sie setzen in materieller Hinsicht eine rechtswirksame Einleitungsverfügung (b) und einen besonderen, sie rechtfertigenden Grund voraus (c). Zudem muss das behördliche Ermessen (d) rechtsfehlerfrei ausgeübt worden sein (BVerwG, Beschluss vom 9. Oktober 2019 – 2 WDB 3.19 – juris Rn. 11 m.w.N.).
Unterschiedliche Ziele von Anschuldigungsschrift und Einleitungsverfügung (Rn. 13)
Soweit das Truppendienstgericht den Vorwurf 1 für zu unbestimmt hält, überträgt es die vom Senat zu Anschuldigungsschriften entwickelten Grundsätze zu Unrecht auf Einleitungsverfügungen. Beide verfolgen indes unterschiedliche Ziele. Die Einleitungsverfügung bestimmt weder den Umfang des Verfahrens noch braucht sie – anders als die Anschuldigungsschrift – den disziplinaren Vorwurf im Einzelnen darzulegen. Das einmal eingeleitete gerichtliche Disziplinarverfahren kann ohne Ergänzung oder eine weitere Einleitungsverfügung auf Vorwürfe ausgedehnt werden, die nicht bereits Gegenstand der Einleitungsverfügung waren. Dies folgt namentlich aus § 99 Abs. 2 WDO, der die Einbeziehung neuer Pflichtverletzungen im bereits anhängigen gerichtlichen Disziplinarverfahren unter gänzlichem Verzicht auf eine insoweit neue Einleitungsverfügung zulässt (vgl. BVerwG, Beschluss vom 9. Oktober 2019 – 2 WDB 3.19 – juris Rn. 14 m.w.N.). Erforderlich ist lediglich, dass das Dienstvergehen, welches die vorläufige Dienstenthebung rechtfertigen soll, sachgleich mit dem Verhalten ist, das den Gegenstand der Einleitungsverfügung bildet (Dau/Schütz, WDO, 7. Aufl. 2017, § 126 Rn. 4)
Erfordernis des „Besonderen rechtlfertigenden Grundes“ für Anordnungen nach § 126 WDO (Rn. 15 f.)
Das Erfordernis eines besonderen rechtfertigenden Grundes beruht auf dem Umstand, dass das Gesetz nicht stets bei der Einleitung eines gerichtlichen Disziplinarverfahrens die in § 126 Abs. 1 WDO vorgesehenen Maßnahmen anordnet, sondern dafür zusätzlich eine behördliche Einzelfallprüfung vorsieht. Des Weiteren folgt im Gegenschluss aus § 126 Abs. 2 WDO, demzufolge eine Einbehaltensanordnung nur bei einer voraussichtlich zu verhängenden Höchstmaßnahme ergehen darf, dass für den Erlass der sonstigen Anordnungen die Höchstmaßnahme nicht zwingend zu erwarten sein muss. Ein besonderer Grund kommt bei Anordnungen nach § 126 Abs. 1 WDO folglich regelmäßig dann in Betracht, wenn nach der vom Senat entwickelten Zweistufentheorie auf der ersten Stufe eine Dienstgradherabsetzung – als gemäß § 58 Abs. 1 Nr. 4, § 62 WDO zweitschwerste Disziplinarmaßnahme – im Raum steht und der Dienstbetrieb bei einem Verbleib des Soldaten im Dienst empfindlich gestört oder in besonderem Maße gefährdet würde (vgl. BVerwG, Beschluss vom 9. Oktober 2019 – 2 WDB 3.19 – juris Rn. 17 m.w.N.).
Maßgebend ist die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (vgl. BVerwG, Beschluss vom 19. Januar 2006 – 2 WDB 6.05 – Buchholz 450.2 § 126 WDO 2002 Nr. 3 Rn. 24 m.w.N.). Liegt bei der gerichtlichen Nachprüfung von Anordnungen nach § 126 Abs. 1 und 2 WDO – wie hier – bereits eine Anschuldigungsschrift vor, kommt es darauf an, ob diese eine geeignete Grundlage für die Voraussehbarkeit der genannten Disziplinarmaßnahmen bietet (vgl. BDH, Beschluss vom 12. September 1962 – WDB 18.62 – NZWehrr 1963, 123; Dau/Schütz, WDO, 7. Aufl. 2017, § 126 Rn. 31).
Inhalt der Zurückhaltungspflicht nach § 10 VI SG (Rn. 19 ff.)
Mit den Vorwürfen 1 bis 6 dürfte der Soldat im Fall der Erweislichkeit vorsätzlich gegen die nach § 10 Abs. 6 SG bestehende Verpflichtung verstoßen haben, innerhalb und außerhalb des Dienstes bei seinen Äußerungen die Zurückhaltung zu wahren, die erforderlich ist, um das Vertrauen als Vorgesetzter zu erhalten.
Die nach dieser Norm jedem Offizier – so auch dem Soldaten als Oberleutnant – bei dienstlichen und außerdienstlichen Äußerungen auferlegten Beschränkungen (Achtung der Rechte anderer, Besonnenheit, Toleranz und Sachlichkeit) sind für einen Vorgesetzten nach der gesetzlichen Entscheidung unerlässlich, um seine dienstlichen Aufgaben erfüllen und seinen Untergebenen in Haltung und Pflichterfüllung Vorbild sein zu können (BVerwG, Beschluss vom 10. Oktober 2019 – 2 WDB 2.19 – juris Rn. 17 m.w.N.).
§ 10 Abs. 6 SG erfasst alle „Äußerungen“, die geeignet sind, das Vertrauen in Vorgesetzte zu erschüttern. Bei der Auslegung der in Rede stehenden Äußerungen ist von deren objektivem Erklärungsgehalt auszugehen, wie ihn ein unbefangener Dritter verstehen musste. Dabei sind alle Begleitumstände einschließlich des Kontextes und der sprachlichen und gesellschaftlichen Ebene, auf der die Äußerung fiel, zu berücksichtigen (BVerwG, Beschluss vom 10. Oktober 2019 – 2 WDB 2.19 – juris Rn. 18 m.w.N.).
Einstellung eines Strafverfahrens steht disziplinarrechtlicher Würdigung nicht entgegen (Rn. 25)
Dass das Strafverfahren gegen den Soldaten wegen Volksverhetzung eingestellt wurde, steht der disziplinaren Ahndung nicht entgegen, da ein achtungs- und vertrauenswürdiges Verhalten ebenso wie eine Verletzung der politischen Treuepflicht eines Soldaten auch bei einem nicht strafbaren Verhalten möglich ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 17. November 2017 – 2 C 25.17 – BVerwGE 160, 370 Rn. 21 ff., 76).
Volltext der Entscheidung auf der Website des Bundesverwaltungsgerichts: 2 WDB 2.20
BVerwG 2 WDB 2.20
TDG Nord 3. Kammer – 29.10.2019 – AZ: TDG N 3 GL 1/19