Bundesverwaltungsgericht entscheidet über eine Beschwerde nach der Wehrdisziplinarordnung (WDO) – Beschluss des 2. Wehrdienstsenats vom 9. Oktober 2019 – BVerwG 2 WDB 3.19
Leitsatz:
Für die Anordnung der vorläufigen Dienstenthebung und eines Uniformtrageverbots nach § 126 Abs. 1 WDO genügt es, wenn voraussichtlich die Dienstgradherabsetzung als zweitschwerste Disziplinarmaßnahme den Ausgangspunkt der Zumessungserwägungen bildet und der Dienstbetrieb bei einem Verbleib des Soldaten im Dienst empfindlich gestört oder in besonderem Maße gefährdet würde.
Hervorzuhebende Auszüge aus der Entscheidung
Zulässigkeit der Beschwerde der Wehrdisziplinaranwaltschaft gegen Beschlüsse nach § 126 V WDO (Rn. 9)
Die Beschwerde der Wehrdisziplinaranwaltschaft ist zulässig, insbesondere statthaft. Nach § 114 Abs. 1 Satz 1 WDO ist gegen Beschlüsse des Truppendienstgerichts und gegen gerichtliche Verfügungen die Beschwerde zum Bundesverwaltungsgericht möglich, soweit das Gesetz nicht ausdrücklich etwas anderes bestimmt. Ein solcher Ausschluss folgt nicht aus § 126 Abs. 5 Satz 3 WDO, der einen Rechtsbehelf nur für den Soldaten eröffnet. Dass nur der Soldat gegen die ihn belastenden Anordnungen bei Gericht einstweiligen Rechtsschutz beantragen kann, bedeutet ähnlich wie bei § 80 Abs. 5 VwGO nicht, dass auch nur ihm ein Beschwerderecht gegen die gerichtliche Entscheidung zusteht. Denn je nach Ausgang des truppendienstgerichtlichen Verfahrens können entweder der Soldat oder die Einleitungsbehörde beschwert sein, sodass aus Gründen der Waffengleichheit beiden Seiten ein Beschwerderecht zustehen muss. Die Möglichkeit der Beschwerde ist dann auch der Wehrdisziplinaranwaltschaft als Vertreterin der Einleitungsbehörde (§ 81 Abs. 2 Satz 1 WDO analog) eröffnet.
Voraussetzungen der Maßnahmen nach § 126 WDO (Rn. 11)
Nach § 126 Abs. 1 WDO kann die Einleitungsbehörde einen Soldaten vorläufig des Dienstes entheben, wenn das gerichtliche Disziplinarverfahren gegen ihn eingeleitet wird oder eingeleitet worden ist. Mit der vorläufigen Dienstenthebung, die von dem unter dem 24. September 2018 ausgesprochenen Verbot der Dienstausübung nach § 22 SG zu unterscheiden ist, kann das Verbot verbunden werden, Uniform zu tragen. Unter den Voraussetzungen des § 126 Abs. 2 WDO kann sie schließlich eine Kürzung der Dienstbezüge anordnen. Diese Anordnungen sind formell ordnungsgemäß ergangen (a). Sie setzen in materieller Hinsicht eine rechtswirksame Einleitungsverfügung (b) und einen besonderen, sie rechtfertigenden Grund voraus (c). Liegen diese Voraussetzungen vor, muss das behördliche Ermessen (d) rechtsfehlerfrei ausgeübt worden sein (vgl. BVerwG, Beschluss vom 17. März 2005 – 2 WDB 1.05 – Buchholz 235.01 § 126 WDO 2002 Nr. 2 S. 6).
Unterschiedliche Anforderungen an Einleitungsverfügung und Anschuldigungsschrift (Rn. 14)
Soweit es die Vorwürfe zu 3, 4, 7, 9 und 10 mangels Angabe eines Tatortes für zu unbestimmt hält, überträgt es die vom Senat zu Anschuldigungsschriften entwickelten Grundsätze zu Unrecht auf Einleitungsverfügungen. Beide verfolgen indes unterschiedliche Ziele. Die Einleitungsverfügung bestimmt weder den Umfang des Verfahrens noch braucht sie – anders als die Anschuldigungsschrift – den disziplinaren Vorwurf im Einzelnen darzulegen. Das einmal eingeleitete gerichtliche Disziplinarverfahren kann ohne Ergänzung oder eine weitere Einleitungsverfügung auf Vorwürfe ausgedehnt werden, die nicht bereits Gegenstand der Einleitungsverfügung waren. Dies folgt namentlich aus § 99 Abs. 2 WDO, der die Einbeziehung neuer Pflichtverletzungen im bereits anhängigen gerichtlichen Disziplinarverfahren unter gänzlichem Verzicht auf eine insoweit neue Einleitungsverfügung zulässt (vgl. BVerwG, Urteil vom 17. Januar 2013 – 2 WD 25.11 – Rn. 28 m.w.N., Dau/Schütz, WDO, 7. Aufl. 2017, § 92 Rn. 1). Erforderlich ist lediglich, dass das Dienstvergehen, welches die vorläufige Dienstenthebung rechtfertigen soll, sachgleich mit dem Verhalten ist, das den Gegenstand der Einleitungsverfügung bildet (Dau/Schütz, WDO, 7. Aufl. 2017, § 126 Rn. 4).
Erfordernis des besonderen rechtlichen Grundes für Anordnungen nach § 126 WDO (Rn. 16 f.)
Für Anordnungen nach § 126 Abs. 1 und 2 WDO bedarf es eines besonderen rechtlichen Grundes, der hinsichtlich der vorläufigen Dienstenthebung und des Uniformtrageverbots, nicht aber hinsichtlich der Einbehaltensanordnung vorliegt.
Das Erfordernis eines besonderen rechtfertigenden Grundes beruht auf dem Umstand, dass das Gesetz nicht stets bei der Einleitung eines gerichtlichen Disziplinarverfahrens die in § 126 Abs. 1 WDO vorgesehenen Maßnahmen anordnet, sondern dafür zusätzlich eine behördliche Einzelfallprüfung vorsieht. Des Weiteren folgt im Gegenschluss aus § 126 Abs. 2 WDO, demzufolge eine Einbehaltensanordnung nur bei einer voraussichtlich zu verhängenden Höchstmaßnahme ergehen darf, dass für den Erlass der sonstigen Anordnungen die Höchstmaßnahme nicht zwingend zu erwarten sein muss (BVerwG, Beschluss vom 19. Januar 2006 – 2 WDB 6.05 – Buchholz 450.2 § 126 WDO 2002 Nr. 3 Rn. 27). Ein besonderer Grund kommt bei Anordnungen nach § 126 Abs. 1 WDO folglich regelmäßig dann in Betracht, wenn nach der vom Senat entwickelten Zweistufentheorie (vgl. BVerwG, Urteil vom 23. März 2017 – 2 WD 16.16 – juris Rn. 91 m.w.N.) auf der ersten Stufe eine Dienstgradherabsetzung – als gemäß § 58 Abs. 1 Nr. 4, § 62 WDO zweitschwerste Disziplinarmaßnahme – im Raum steht und der Dienstbetrieb bei einem Verbleib des Soldaten im Dienst empfindlich gestört oder in besonderem Maße gefährdet würde.
Vorgaben der Ermessensentscheidung im Rahmen des § 126 WDO (Rn.26)
Bei der Anordnung der vorläufigen Dienstenthebung und des Uniformtrageverbots hat der Dienstherr seine Entscheidung ermessensfehlerfrei getroffen und den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz gewahrt. Diese Anforderungen sind nur dann erfüllt, wenn der Dienstbetrieb bei einem Verbleiben des Soldaten im Dienst empfindlich gestört oder in besonderem Maße gefährdet würde. Dabei dürfen dem Soldaten keine Nachteile zufügt werden, die außer Verhältnis zu dem Interesse des Dienstherrn stehen, einen Soldaten, der eines schwerwiegenden Dienstvergehens hinreichend verdächtig ist, bis zur endgültigen Klärung dieses Vorwurfs von der Dienstausübung auszuschließen (BVerwG, Beschluss vom 19. Januar 2006 – 2 WDB 6.05 – Buchholz 450.2 § 126 WDO 2002 Nr. 3 Rn. 27 m.w.N.). Das Wehrdienstgericht ist insoweit auf eine Überprüfung der behördlichen Ermessensentscheidung beschränkt und trifft – im Gegensatz zur späteren Disziplinarmaßnahme – keine originäre gerichtliche Entscheidung.
Volltext der Entscheidung auf der Website des Bundesverwaltungsgerichts: 2 WDB 3.19
BVerwG 2 WDB 3.19
TDG Süd 5. Kammer – 27.06.2019 – AZ: TDG S 5 GL 3/19