Bundesverwaltungsgericht entscheidet über eine Beschwerde nach der Wehrdisziplinarordnung (WDO) – Beschluss des 2. Wehrdienstsenats vom 3. September 2021 – BVerwG 2 WDB 4.21
Entscheidung:
Gemäß § 83 Abs. 1 Satz 1 WDO wird das gerichtliche Disziplinarverfahren ausgesetzt, wenn gegen den Soldaten wegen des Sachverhalts, der dem gerichtlichen Disziplinarverfahren zu Grunde liegt, im Strafverfahren die öffentliche Klage erhoben worden ist. Diese Regelung ist Ausdruck des uneingeschränkten zeitlichen und sachlichen Vorrangs eines sachgleichen Strafverfahrens gegenüber dem disziplinargerichtlichen Verfahren. Sie soll aus Gründen der Rechtssicherheit vermeiden, dass in verschiedenen Verfahren wegen desselben Sachverhalts einander widersprechende Feststellungen getroffen werden. Darüber hinaus dient sie dem Schutz des Soldaten, der rechtlich nicht gezwungen sein soll, sich gleichzeitig in einem straf- und in einem disziplinargerichtlichen Verfahren verteidigen zu müssen (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 22. Mai 1996 – 2 WDB 1.96 – Buchholz 235.0 § 109 WDO Nr. 1 = juris Rn. 4 und vom 20. September 2001 – 2 WDB 9.01 – BVerwGE 115, 147 <149>, jeweils zu § 76 Abs. 1 Satz 1 WDO a.F.).
Die Vorschrift steht in einem engen sachlichen Zusammenhang mit § 84 Abs. 1 Satz 1 WDO, wonach die tatsächlichen Feststellungen eines rechtskräftigen Urteils im Strafverfahren, auf denen die Entscheidung beruht, im gerichtlichen Disziplinarverfahren, das denselben Sachverhalt zum Gegenstand hat, für das Wehrdienstgericht bindend sind. Im Fall eines Freispruchs im sachgleichen Strafverfahren darf eine Disziplinarmaßnahme zudem nur bei einem disziplinaren Überhang verhängt werden (vgl. § 16 Abs. 3 Satz 1 WDO). Bei einem anderen Ausgang des Strafverfahrens kann sich aus § 16 Abs. 1 WDO ein Verbot der Verhängung bestimmter Disziplinarmaßnahmen ergeben.
Das gerichtliche Disziplinarverfahren ist in der Regel auch dann gemäß § 83 Abs. 1 Satz 1 WDO auszusetzen, wenn gegen den Soldaten – wie hier – nur wegen eines Teils des Sachverhalts, der dem gerichtlichen Disziplinarverfahren zu Grunde liegt, im Strafverfahren die öffentliche Klage erhoben worden ist. Denn nach § 18 Abs. 2 WDO sind mehrere Pflichtverletzungen eines Soldaten, über die gleichzeitig entschieden werden kann, als ein Dienstvergehen zu ahnden. Das Gebot einheitlicher Ahndung lässt es nicht zu, einzelne Pflichtverletzungen, über die gleichzeitig entschieden werden kann, zu verselbständigen (vgl. BVerwG, Urteil vom 21. Februar 1974 – II WD 32.73 – BVerwGE 46, 232 <234>). Denn das Disziplinarrecht hat nicht wie das Strafrecht den Zweck, über einzelne Taten zu urteilen, sondern die Frage zu klären, welche Folgerungen aus dem Gesamtverhalten eines Soldaten für sein Dienstverhältnis zu ziehen sind.
Dies gilt zwar wegen des Beschleunigungsgrundsatzes (§ 17 Abs. 1 WDO) ausnahmsweise nicht, wenn der in beiden Verfahren gegenständliche Sachverhalt angesichts der weiteren im gerichtlichen Disziplinarverfahren angeschuldigten Pflichtverletzungen für die Art und Höhe der zu erwartenden Disziplinarmaßnahme voraussichtlich nicht ins Gewicht fällt und daher nach § 107 Abs. 2 Satz 1 WDO ausgeklammert werden kann. Ein solcher Fall liegt hier aber nicht vor. Denn die Anschuldigungspunkte 1 und 2, zu denen das sachgleiche Strafverfahren geführt wird, sind in der Gesamtschau mit den weiteren Anschuldigungspunkten 3 bis 5 im gerichtlichen Disziplinarverfahren von erheblichem Gewicht.
Volltext der Entscheidung auf der Website des Bundesverwaltungsgerichts: 2 WDB 4.21
BVerwG 2 WDB 4.21