Bundesverwaltungsgericht entscheidet über eine Beschwerde nach der Wehrdisziplinarordnung (WDO) – Beschluss des 2. Wehrdienstsenats vom 15. März 2022 – BVerwG 2 WDB 2.22

Hervorzuhebende Auszüge aus der Entscheidung:

Materielle Voraussetzungen von vorläufigen Anordnungen nach § 126 WDO (Rn. 12)

Sie sind auch materiell rechtmäßig. Nach § 126 Abs. 1 Satz 1 WDO kann die Einleitungsbehörde einen Soldaten vorläufig des Dienstes entheben, wenn das gerichtliche Disziplinarverfahren gegen ihn eingeleitet wird oder eingeleitet worden ist. Mit der vorläufigen Dienstenthebung kann gemäß § 126 Abs. 1 Satz 2 WDO das Verbot verbunden werden, Uniform zu tragen. Die Anordnungen müssen auf einer wirksamen Einleitungsverfügung beruhen, von einem besonderen, sie rechtfertigenden Grund getragen und nach pflichtgemäßem Ermessen ergangen sein (vgl. BVerwG, Beschluss vom 17. März 2005 – 2 WDB 1.05 – Buchholz 235.01 § 126 WDO 2002 Nr. 2 S. 5).

Anforderungen an den „besonderen rechtfertigenden Grund“ im Rahmen des § 126 WDO (Rn. 15)

Das Erfordernis eines besonderen rechtfertigenden Grundes beruht darauf, dass das Gesetz nicht stets bei der Einleitung eines gerichtlichen Disziplinarverfahrens die in § 126 Abs. 1 WDO vorgesehenen Maßnahmen anordnet, sondern dafür eine behördliche Einzelfallprüfung vorsieht. Aus § 126 Abs. 2 WDO, wonach eine Einbehaltensanordnung nur bei einer voraussichtlich zu verhängenden Höchstmaßnahme ergehen darf, folgt im Umkehrschluss, dass für den Erlass von Nebenentscheidungen nach § 126 Abs. 1 WDO die Höchstmaßnahme nicht zwingend zu erwarten sein muss (vgl. BVerwG, Beschluss vom 19. Januar 2006 – 2 WDB 6.05 – Buchholz 450.2 § 126 WDO 2002 Nr. 3 Rn. 27). Daher kommt ein besonderer Grund bei Anordnungen nach § 126 Abs. 1 WDO regelmäßig bereits dann in Betracht, wenn eine Dienstgradherabsetzung oder die schwerste Disziplinarmaßnahme im Raum steht und der Dienstbetrieb bei einem Verbleib des Soldaten im Dienst empfindlich gestört oder in besonderem Maße gefährdet würde (vgl. BVerwG, Beschluss vom 27. Juli 2020 – 2 WDB 5.20 – Buchholz 450.2 § 126 WDO 2002 Nr. 12 Rn. 24).

Verletzte Dienstpflichten bei Ziegen des „Hitlergrußes“ (Rn. 28)

Darin läge, wenn das Zeigen des Hitlergrußes Ausdruck einer verfassungsfeindlichen Gesinnung war, eine vorsätzliche Verletzung seiner Pflicht nach § 8 Alt. 1 SG, die freiheitliche demokratische Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes anzuerkennen, und der Pflicht nach § 8 Alt. 2 SG, durch sein gesamtes Verhalten für deren Einhaltung einzutreten. Damit einher ginge ein vorsätzlicher Verstoß gegen die Wohlverhaltenspflicht nach § 17 Abs. 2 SG. Sollte das Zeigen des Hitlergrußes nicht Ausdruck einer verfassungsfeindlichen Gesinnung gewesen sein, läge darin ein vorsätzlicher Verstoß gegen § 8 Alt. 2 SG und § 17 Abs. 2 SG. Denn die Pflicht nach § 8 Alt. 2 SG wird bereits verletzt, wenn ein Soldat sich nicht eindeutig von Bestrebungen distanziert, die diesen Staat und die geltende Verfassungsordnung angreifen, bekämpfen und diffamieren. Wer auf einer bundeswehrinternen Feier den Hitlergruß ausführt, verherrlicht aus Sicht eines neutralen Betrachters die Gewalt- und Willkürherrschaft des Nazi-Regimes, begründet objektiv den Anschein, er stehe nicht mehr hinter dem Staat des Grundgesetzes, und verletzt damit die Pflicht, sich von derartigen Bestrebungen zu distanzieren (vgl. BVerwG, Urteil vom 14. Januar 2021 – 2 WD 7.20 – Buchholz 450.2 § 38 WDO 2002 Nr. 89 Rn. 28 m.w.N.).

Regelmaßnahme bei Zeigen des „Hitlergrußes“ (Rn. 30)

Für das Dienstvergehen stünde jedenfalls eine Dienstgradherabsetzung im Raum. Der Senat geht bei der Verletzung der politischen Treuepflicht nach § 8 SG durch das Zeigen eines Hitlergrußes grundsätzlich von der Höchstmaßnahme aus, wenn es Ausdruck einer nationalsozialistischen Gesinnung ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 18. Juni 2020 – 2 WD 17.19 – Rn. 44 m.w.N.). Erweist ein Soldat den Hitlergruß, ohne dass damit eine entsprechende Gesinnung einhergeht, hält der Senat regelmäßig eine Dienstgradherabsetzung für geboten (vgl. BVerwG, Urteil vom 14. Januar 2021 – 2 WD 7.20 – Buchholz 450.2 § 38 WDO 2002 Nr. 89 Rn. 35 m.w.N.).

Anforderungen an die Schuldmilderung bei Alkoholkonsum (Rn. 31)

Zwar wäre die enthemmende Wirkung einer Alkoholisierung auch schon im Vorstadium des § 21 StGB schuldmildernd zu berücksichtigen, wenn der Soldat wegen einer Alkoholerkrankung schuldlos Alkohol konsumiert und wegen dieses Zustandes das Dienstvergehen begangen hätte (vgl. BVerwG, Urteil vom 19. Juni 2019 – 2 WD 21.18 – Buchholz 450.2 § 38 WDO 2002 Nr. 65 Rn. 35). Aus den Akten ergeben sich aber keine Hinweise auf eine Alkoholerkrankung. In einem solchen Fall verbleibt es bei dem Grundsatz, dass ein Soldat, der sich schuldhaft alkoholisiert und sich damit in einen zum Dienstvergehen führenden Zustand versetzt, dafür verantwortlich bleibt (vgl. BVerwG, Urteil vom 20. Januar 2022 – 2 WD 2.21 – juris Rn. 43 m.w.N.).

Volltext der Entscheidung auf der Website des Bundesverwaltungsgerichts: 2 WDB 4.22

BVerwG 2 WDB 4.22
TDG Süd 9. Kammer – 18.01.2022 – AZ: S 9 GL 01/21

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