Bundesverwaltungsgericht entscheidet über eine Beschwerde nach der Wehrdisziplinarordnung (WDO) – Beschluss des 2. Wehrdienstsenats vom 14. August 2017 – BVerwG 2 WDB 5.17

Leitsätze:

1. Ein Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe ist im wehrdisziplinarrechtlichen Verfahren als Antrag auf Bestellung eines Verteidigers nach § 90 Abs. 1 Satz 2 WDO auszulegen.

2. Wird die Berufungsfrist mangels rechtzeitiger Entscheidung über einen Antrag auf Verteidigerbestellung versäumt, kann Wiedereinsetzung nach § 91 Abs. 1 Satz 1 WDO i.V.m. § 45 Abs. 1 StPO beantragt werden.

Hervorzuhebende Auszüge aus der Entscheidung

Kein Institut der Prozesskostenhilfe in der WDO – Möglichkeit der Bestellung eines Verteidigers (Rn. 3 f.)

Der Antrag des früheren Soldaten auf Gewährung von Prozesskostenhilfe ist als Antrag auf Bestellung eines Verteidigers für das Berufungsverfahren nach § 90 Abs. 1 Satz 2 WDO auszulegen. Es trifft zwar zu, dass das Wehrdisziplinarrecht das Rechtsinstitut der Prozesskostenhilfe nicht kennt (vgl. Dau/Schütz, WDO, 7. Aufl. 2017, § 137 Rn. 1). Es ermöglicht es jedoch stattdessen in § 90 Abs. 1 Satz 2 WDO dem Soldaten auf Antrag oder von Amts wegen einen Verteidiger zu bestellen, wenn die Mitwirkung eines Verteidigers geboten erscheint. Daher ist ein Antrag auf Prozesskostenhilfe im Wehrdisziplinarrecht ebenso wie im Strafprozessrecht als Antrag auf Bestellung eines Verteidigers zu verstehen (vgl. § 300 StPO) und inhaltlich zu prüfen (vgl. OLG Braunschweig, Beschluss vom 20. November 2013 – 1 Ws 366/13 – NStZ-RR 2014, 51 Rn. 7; KG Berlin, Beschluss vom 14. Januar 1997 – 1 AR 9/97 – 5 Ws 19/97 – juris Rn. 2).

Wird der Antrag erstmals im Berufungsverfahren gestellt, hat darüber nach § 123 Satz 3 i.V.m. § 90 Abs. 1 Satz 2 WDO der Vorsitzende des Berufungsgerichts zu befinden. Auch insofern gilt im Wehrdisziplinarrecht nichts anders als im Strafprozessrecht (vgl. Dau/Schütz, WDO, 7. Aufl. 2017, § 90 Rn. 9; OLG Braunschweig, Beschluss vom 20. November 2013 – 1 Ws 366/13 – NStZ-RR 2014, 51 Rn. 8).

Voraussetzungen der Verteidigerbestellung im Sinne des § 90 I 2 WDO (Rn. 5)

Ob die Bestellung eines Verteidigers im Sinne von § 90 Abs. 1 Satz 2 WDO geboten ist, ist – wie bei § 140 Abs. 2 StPO – im Lichte des Rechtsstaatsgebots in seiner Ausgestaltung als Gebot fairer Verfahrensführung zu beurteilen. „Geboten“ im Sinne von § 90 Abs. 1 Satz 2 WDO ist die Verteidigerbestellung insbesondere, wenn sie zum Schutz des Angeschuldigten erforderlich ist. Die Gewährleistung eines fairen Verfahrens kann aus in dem Verfahren, seinem Ablauf und Gegenstand liegenden Gründen, aber auch aus in der Person des Angeschuldigten liegenden Umständen und wegen der Auswirkungen der drohenden Sanktion auf den Angeschuldigten die Mitwirkung eines Verteidigers geboten erscheinen lassen (BVerwG, Urteil vom 5. Mai 2015 – 2 WD 6.14 – Buchholz 450.2 § 90 WDO 2002 Nr. 2 Rn. 24 f. m.w.N.). Dazu gehört auch, dass ein Angeschuldigter, der die Kosten eines Verteidigers nicht aufzubringen vermag, in schwerwiegenden Fällen von Amts wegen einen rechtskundigen Beistand erhält (vgl. BVerfG, Beschluss vom 19. Oktober 1977 – 2 BvR 462/77 – BVerfGE 46, 202 <210> zu § 140 StPO).

Anforderungen an die Berufungsschrift (Rn. 6)

Nach § 116 Abs. 2 WDO ist in der Berufungsschrift das angefochtene Urteil zu bezeichnen und anzugeben, inwieweit es angefochten wird und welche Änderungen beantragt werden. Die Anträge sind zu begründen. Dementsprechend genügt es, wenn der frühere Soldat wenigstens in groben Zügen skizziert, inwiefern er sich durch das Urteil beschwert fühlt, welche Ausführungen im Berufungsurteil aus seiner Sicht fehlerhaft sind und was er mit seiner Berufung erreichen will (vgl. Dau/Schütz, WDO, 7. Aufl. 2017, § 116 Rn. 9).

Wiedereinsetzungsmöglichkeit wegen Nichtbeauftragung eines Rechtsanwalts aufgrund von Mittellosigkeit (Rn. 10 ff.)

Nach § 44 Satz 1 StPO ist jemandem, der ohne Verschulden verhindert war, eine Frist einzuhalten, auf Antrag Wiedereinsetzung zu gewähren. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs in Zivilsachen wird eine Rechtsmittelfrist dann schuldlos versäumt, wenn eine Partei sich wegen ihrer Mittellosigkeit außerstande sehen durfte, einen Rechtsanwalt mit der Einlegung oder Begründung eines Rechtsmittels zu beauftragen, und wenn sie vor Ablauf der Rechtsmittelfrist ordnungsgemäß Prozesskostenhilfe beantragt hat (vgl. BGH, Beschluss vom 8. Februar 2012 − XII ZB 462/11 – NJW-RR 2012, 757 Rn. 8 f.; Hüßtege in Thomas/Putzo, ZPO, 38. Aufl. 2017, § 233 Rn. 36-38). Die unverschuldete Verhinderung dauert bis zur Entscheidung über den Prozesskostenhilfeantrag an (vgl. BGH, Beschluss vom 17. Juli 2013 – XII ZB 174/10 – FamRZ 2013, 1720 Rn. 16).

Dementsprechend anerkennt auch die strafprozessuale Rechtsprechung die Mittellosigkeit eines Angeklagten als Verhinderungsgrund, wenn er fristgerecht die Beiordnung eines Verteidigers nach § 140 Abs. 2 StPO beantragt und das Gericht darüber nicht vor Ablauf der Rechtsmittelbegründungsfrist entschieden hat (vgl. OLG Braunschweig, Beschluss vom 9. Dezember 2013 – 1 Ss 66/13 – juris Rn. 10; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 29. März 1984 – 1 Ws 179/84 – StV 1984, 327).

Nichts Anderes kann gelten, wenn jemand im Hinblick auf seine Mittellosigkeit fristgerecht die Beiordnung eines Verteidigers nach § 90 Abs. 1 Satz 2 WDO zur Einlegung oder Begründung einer Berufung im disziplinarrechtlichen Verfahren beantragt hat. Auch in diesem Fall kann der Betroffene darauf vertrauen, dass ihm bis zu einer ordnungsgemäßen Entscheidung über seinen Antrag keine Fristnachteile aus der fehlenden Begründung des Rechtsmittels erwachsen.

Demzufolge kann auch der Beschuldigte nach § 91 Abs. 1 Satz 2 WDO i.V.m. § 45 Abs. 1 Satz 1 StPO mit dieser Begründung binnen zwei Wochen nach Zugang dieser Entscheidung Wiedereinsetzung in die Berufungsfrist beantragen. Die Tatsachen zur Begründung des Antrags – insbesondere die Mittellosigkeit des Angeschuldigten – sind bei der Antragstellung oder im Verfahren über den Antrag glaubhaft zu machen (z.B. durch Vorlage eines ALG-II-Bescheides).

Volltext der Entscheidung auf der Website des Bundesverwaltungsgerichts: 2 WDB 5.17

BVerwG 2 WDB 5.17

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