Bundesverwaltungsgericht entscheidet über eine Beschwerde nach der Wehrdisziplinarordnung (WDO) – Beschluss des 2. Wehrdienstsenats vom 27. Juli 2020 – BVerwG 2 WDB 5.20

Hervorzuhebende Auszüge aus der Entscheidung

Voraussetzungen für vorläufige Anordnungen nach § 126 WDO (Rn. 19)

Nach § 126 Abs. 1 WDO kann die Einleitungsbehörde einen Soldaten vorläufig des Dienstes entheben, wenn das gerichtliche Disziplinarverfahren gegen ihn eingeleitet wird oder eingeleitet worden ist. Mit der vorläufigen Dienstenthebung kann das Verbot verbunden werden, Uniform zu tragen. Unter den Voraussetzungen des § 126 Abs. 2 WDO kann zusätzlich eine Kürzung der Dienstbezüge angeordnet werden. Alle diese Anordnungen sind formell ordnungsgemäß zu treffen. Sie setzen in materieller Hinsicht eine rechtswirksame Einleitungsverfügung und einen besonderen, sie rechtfertigenden Grund voraus. Zudem muss das behördliche Ermessen rechtsfehlerfrei ausgeübt worden sein (vgl. BVerwG, Beschluss vom 31. März 2020 – 2 WDB 2.20 – juris Rn. 11).

Erfordernis des besonderen rechtfertigenden Grundes für Anordnungen nach § 126 WDO (Rn. 24)

Das Erfordernis eines besonderen rechtfertigenden Grundes beruht auf dem Umstand, dass das Gesetz nicht stets bei der Einleitung eines gerichtlichen Disziplinarverfahrens die in § 126 Abs. 1 WDO vorgesehenen Maßnahmen anordnet, sondern dafür zusätzlich eine behördliche Einzelfallprüfung vorsieht. Des Weiteren folgt im Gegenschluss aus § 126 Abs. 2 WDO, demzufolge eine Einbehaltensanordnung nur bei einer voraussichtlich zu verhängenden Höchstmaßnahme ergehen darf, dass für den Erlass der sonstigen Anordnungen die Höchstmaßnahme nicht zwingend zu erwarten sein muss. Ein besonderer Grund ist bei Anordnungen nach § 126 Abs. 1 WDO folglich regelmäßig jedenfalls dann gegeben, wenn eine Dienstgradherabsetzung – als gemäß § 58 Abs. 1 Nr. 4, § 62 WDO zweitschwerste Disziplinarmaßnahme – im Raum steht und der Dienstbetrieb bei einem Verbleib des Soldaten im Dienst empfindlich gestört oder in besonderem Maße gefährdet würde (BVerwG, Beschluss vom 9. Oktober 2019 – 2 WDB 3.19 – juris Rn. 17 m.w.N.).

Verletzung der Wohlverhaltenspflicht durch außerdienstlicher Anwendung von körperlicher Gewalt (Rn. 39)

Wie der Senat zu außerdienstlichen Körperverletzungen ausgeführt hat, hat die Unfähigkeit, im privaten Bereich die Grenzen rechtmäßiger Anwendung von körperlicher Gewalt einzuhalten, Auswirkungen auf das Vertrauen des Dienstherrn in die Zuverlässigkeit eines Soldaten. Soldaten üben für den Dienstherrn das staatliche Gewaltmonopol in der Verteidigung des Staates und seiner Bürger nach außen hin aus. Hierbei muss der Dienstherr darauf vertrauen können, dass sie besonnen und unter Beachtung rechtlicher Grenzen vorgehen. Dieses Vertrauen ist beeinträchtigt, wenn ein Soldat im privaten Bereich Gewalt als Mittel der Konfliktlösung einsetzt. Daher zieht eine außerdienstliche, versuchte oder vollendete, gemeinschaftliche oder sonst gefährliche Körperverletzung in der Regel eine Herabsetzung im Dienstgrad nach sich (BVerwG, Urteil vom 24. Mai 2012 – 2 WD 18.11 – Buchholz 450.2 § 38 WDO 2002 Nr. 37 Rn. 31, 32). Die Verabredung oder Vorbereitung eines gewaltsamen körperlichen Angriffs ist zwar in Bezug auf die konkreten Auswirkungen der Tat deutlich weniger schwerwiegend als eine versuchte oder vollendete Körperverletzung. Verabreden jedoch mehrere Soldaten und Amtsträger gemeinsam einen gewaltsamen Übergriff im privaten Bereich wiegt die in der gemeinschaftlichen Pflichtverletzung liegende Disziplinlosigkeit schwerer, so dass auch in einem solchen Fall die Dienstgradherabsetzung den Ausgangspunkt der Zumessungserwägungen bilden muss.

Regelmaßnahme bei Durchsetzung eigener politischer Ansichten mittels Gewalt (Rn. 40 f.)

Das Vertrauen des Dienstherrn in die Zuverlässigkeit eines Soldaten ist jedoch noch in weitaus stärkerem Maße beeinträchtigt, wenn ein Soldat ernsthaft Gewalt als Mittel zur Durchsetzung eigener politischer Ansichten einsetzen will. Denn darin liegt nicht nur eine Missachtung des staatlichen Gewaltmonopols, sondern des für den demokratischen Rechtsstaat fundamentalen Prinzips, dass politische Entscheidungen friedlich aufgrund geistiger Auseinandersetzung von den gewählten Repräsentanten des Volkes nach dem Mehrheitsprinzip getroffen werden. Die Verabredung und Vorbereitung politisch motivierter Gewalttaten steht darum mit der in § 8 Alt. 2 SG zum Ausdruck kommenden Verpflichtung des Soldaten, durch sein gesamtes Verhalten für die Erhaltung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung einzutreten, in eklatantem Widerspruch. Hinzu kommt, dass die Achtung der elementaren Menschenrechte und der Menschenwürde ein grundlegendes Prinzip der freiheitlichen demokratischen Grundordnung ist (Art. 1 Abs. 1 und 3, Art. 79 Abs. 3 GG). Daher ist bereits die Kundgabe und Verbreitung rechtsextremistischer Ansichten, die die Menschenrechte von Ausländern grundlegend negieren, mit der Pflicht zur Verfassungstreue unvereinbar (BVerwG, Urteile vom 24. Januar 1984 – 2 WD 40.83 – NZWehrr 1984, 167 <167 f.> und vom 22. Januar 1997 – 2 WD 24.96 – BVerwGE 113, 48 <51 f.>). Erst recht ist die auf einer rechtsextremistisch ausländerfeindlichen Grundhaltung beruhende Verabredung und Vorbereitung eines tätlichen Angriffs auf einen Asylbewerber als schwere Verletzung der Verfassungstreuepflicht aus § 8 Alt. 2 SG anzusehen, weil damit die Schwelle von der Äußerung verfassungswidriger Meinungen zum Handeln überschritten wird.

Der damit verbundene Vertrauensverlust ist in der Regel so schwerwiegend, dass ein solches Verhalten im Ausgangspunkt der Zumessungserwägungen die Höchstmaßnahme nach sich ziehen muss. Denn nicht erst mit der Durchführung einer politisch motivierten Gewalttat, sondern schon mit deren Verabredung und Vorbereitung gibt ein Soldat zu erkennen, dass er die gewaltsame Durchsetzung eigener politischer Zielvorstellungen über die von § 8 Alt. 2 SG geforderte Loyalität zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung stellt.

Prüfung des Ermessens bei Anordnungen nach § 126 WDO durch das Gericht (Rn. 44)

 Die Anordnungen sind auch ermessensfehlerfrei getroffen, insbesondere ist der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz gewahrt worden. Diese Anforderungen sind nur erfüllt, wenn der Dienstbetrieb bei einem Verbleiben des Soldaten im Dienst empfindlich gestört oder in besonderem Maße gefährdet würde. Dabei dürfen dem Soldaten keine Nachteile zugefügt werden, die außer Verhältnis zu dem Interesse des Dienstherrn stehen, einen Soldaten, der eines mit einer gerichtlichen Disziplinarmaßnahme zu ahndenden Dienstvergehens hinreichend verdächtig ist, bis zur endgültigen Klärung dieses Vorwurfs von der Dienstausübung auszuschließen. Das Wehrdienstgericht ist insoweit auf eine Überprüfung der behördlichen Ermessensentscheidung beschränkt und trifft – im Gegensatz zur späteren Disziplinarmaßnahme – keine originäre gerichtliche Entscheidung (BVerwG, Beschlüsse vom 9. Oktober 2019 – 2 WDB 3.19 – juris Rn. 26 und vom 31. März 2020 – 2 WDB 2.20 – juris Rn. 37).

Volltext der Entscheidung auf der Website des Bundesverwaltungsgerichts: 2 WDB 5.20

BVerwG 2 WDB 5.20
TDG Nord 6. Kammer – 04.12.2019 – AZ: TDG N 6 GL 3/19

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