Bundesverwaltungsgericht entscheidet über eine Beschwerde nach der Wehrdisziplinarordnung (WDO) – Beschluss des 2. Wehrdienstsenats vom 13. Juli 2022 – BVerwG 2 WDB 5.22
Hervorzuhebende Auszüge aus der Entscheidung:
Rechtsmittelberechtigung schon bei alleiniger Feststellung eines Dienstvergehens (Rn. 9)
Aus Regelungen wie § 23 Abs. 3 Satz 2, § 42 Satz 2 Nr. 12, § 95 Abs. 2 und § 92 Abs. 4 WDO folgt, dass die Wehrdisziplinarordnung auch bei unterlassener disziplinarischer Ahndung allein in der Feststellung eines Dienstvergehens eine Beschwer erblickt, die isoliert angefochten werden kann. Spiegelbildlich muss dann aber auch der gemäß § 91 Abs. 1 Satz 1 WDO i. V. m. § 296 Abs. 1 StPO ebenfalls rechtsmittelberechtigten Wehrdisziplinaranwaltschaft das Recht zustehen, eine unterbliebene Feststellung als rechtlich falsche Sachbehandlung zum Gegenstand eines Rechtsmittelverfahrens zu machen (Dau/Schütz, WDO, 8. Aufl. 2022, § 115 Rn. 10; Roxin/Schünemann, Strafverfahrensrecht, 28. Aufl. § 53 Rn. 9).
Begriff des Verfahrenshindernisses (Rn. 12)
Unter den Begriff eines Verfahrenshindernisses nach § 108 Abs. 3 Satz 1 Alt. 1 WDO fallen alle Umstände, die der Fortführung des gerichtlichen Disziplinarverfahrens von Rechts wegen entgegenstehen, also diese verhindern (BVerwG, Beschlüsse vom 6. August 2014 – 2 WDB 5.13 – BVerwGE 150, 162 Rn. 9 m. w. N. und vom 10. Juli 2018 – 2 WDB 2.18 – BVerwGE 162, 325 Rn. 5). Dazu zählen etwa fehlende allgemeine Verfahrensvoraussetzungen wie die Verfolgbarkeit von Täter und Tat (BVerwG, Beschluss vom 13. April 2021 – 2 WDB 1.21 – BVerwGE 172, 154 Rn. 9) sowie schwere Mängel des Verfahrens, die nicht auf andere Weise geheilt werden können, wie die Weigerung der Wehrdisziplinaranwaltschaft, einen Mangel im Sinne des § 99 Abs. 3 Satz 1 WDO zu beseitigen (BVerwG, Beschluss vom 13. April 2021 – 2 WDB 1.21 – BVerwGE 172, 154 Rn. 9). Auch eine extreme Verfahrensüberlänge ist geeignet, ein Verfahrenshindernis zu begründen (BVerwG, Urteil vom 28. September 2021 – 2 WD 11.21 – Rn. 24 ff.). Liegt es vor, verbietet sich nach der ständigen Senatsrechtsprechung auch die Feststellung eines Dienstvergehens (BVerwG, Beschlüsse vom 25. März 1997 – 2 WD 4.97 – DokBer B 1998, 12 Rn. 4 sowie vom 15. Juni 2007 – 2 WD 17.06 – BVerwGE 129, 52 Rn. 26).
Einstellung des Verfahrens wegen einer Disziplinarmaßnahmenbeschränkung nach § 58 WDO ist kein Verfahrenshindernis (Rn. 13f.)
Eine Einstellung des Verfahrens, die hingegen darin gründet, dass gegen den (früheren) Soldaten nach § 58 Abs. 2 und Abs. 3 WDO keine der dort als nur noch zulässig ausgewiesenen Disziplinarmaßnahmearten verhängt werden darf, bildet jedoch kein Verfahrenshindernis nach § 108 Abs. 3 Satz 1 Alt. 1 WDO.
Die vom Truppendienstgericht zu seiner Begründung aufgegriffene Formulierung des Senats, zu den allgemeinen Verfahrensvoraussetzungen zähle auch die Möglichkeit, eine der in der Wehrdisziplinarordnung vorgesehene gerichtliche Maßnahme zu verhängen (Beschluss vom 15. Juni 2007 – 2 WD 17.06 – BVerwGE 129, 52 Rn. 15), weist keinen Bezug zu § 58 WDO auf. Ausweislich der Beschlussgründe stand die Formulierung im Kontext mit der Frage, ob gegen den dortigen Soldaten ein gerichtliches Disziplinarverfahren „überhaupt gestattet“ (Rn. 24) war, was sich (dort) bei Wehrpflichtigen bereits von vornherein verbot (Rn. 23). Die Entscheidung betraf daher die Frage der grundsätzlichen Verfolgbarkeit des Täters, während vorliegend nicht die Verfolgbarkeit des früheren Soldaten in grundsätzlicher Weise infrage steht, sondern lediglich die Zulässigkeit einer konkreten Disziplinarmaßnahme als Ergebnis einer individuellen Bemessungsentscheidung bei einem grundsätzlich disziplinarisch maßregelbaren (früheren) Soldaten. Die Konstellation einer Verfahrenseinstellung wegen einer im Einzelfall nicht (mehr) zulässigen Disziplinarmaßnahme regelt die 2. Alternative des § 108 Abs. 3 Satz 1 WDO separat, sodass sich – anders als im Senatsbeschluss vom 30. September 1976 – 2 WD 12.76 – zu § 104 Abs. 3 Satz 1 WDO a. F. angenommen – nach klassischen Auslegungsmethoden verbietet, sie trotz ihrer spezialgesetzlichen Regelung gleichwohl unter den Begriff des Verfahrenshindernisses zu subsumieren.
Möglichkeit der Feststellung eines Dienstvergehens bei nicht mehr zulässiger Ahndung nach § 58 II, III WDO (Rn. 15)
Dass in Fällen, in denen eine Ahndung des Dienstvergehens gemäß § 58 Abs. 2 und Abs. 3 WDO nicht mehr zulässig ist oder nach § 16 WDO nicht mehr verhängt werden darf (BVerwG, Urteile vom 14. Mai 2019 – 2 WD 24.18 – Buchholz 450.2 § 38 WDO 2002 Nr. 64 Rn. 37 und vom 17. Juni 2021 – 2 WD 21.20 – juris Rn. 10 und 33), die Verfahrenseinstellung unter Feststellung eines Dienstvergehens zu treffen ist, folgt daraus, dass bereits der Disziplinarvorgesetzte und die Einleitungsbehörde diese Befugnis besitzen. Nach Maßgabe dessen sind die über noch weitergehende disziplinarische Befugnisse verfügenden Truppendienstgerichte erst Recht berechtigt und verpflichtet, eine solche Feststellung zu treffen.
Volltext der Entscheidung auf der Website des Bundesverwaltungsgerichts: 2 WDB 5.22
BVerwG 2 WDB 5.22
TDG Süd 5. Kammer – 18.03.2022 – AZ: TDG S 5 VL 50/20