Bundesverwaltungsgericht entscheidet über eine Beschwerde nach der Wehrdisziplinarordnung (WDO) – Beschluss des 2. Wehrdienstsenats vom 17. Februar 2020 – BVerwG 2 WDB 6.19

Leitsätze:

1. Eine ungewöhnlich lange Dauer eines Disziplinarverfahrens kann dazu führen, dass eine Einbehaltungsanordnung nach § 126 Abs. 3 WDO unverhältnismäßig wird und von der Einleitungsbehörde aufzuheben ist.

2. Im summarischen Antragsverfahren nach § 126 Abs. 5 Satz 3 WDO löst eine formell rechtskräftige Gerichtsentscheidung eine eingeschränkte Bindungswirkung mit der Folge aus, dass dieselbe Sache nur dann einer erneuten gerichtlichen Überprüfung und Entscheidung unterliegt, wenn neue Tatsachen geltend gemacht oder neue Beweismittel beigebracht werden.

Hervorzuhebende Auszüge aus der Entscheidung

Voraussetzungen der Einbehaltensanordnung nach § 126 III WDO (Rn. 9 f.)

Nach § 126 Abs. 3 WDO kann die Einleitungsbehörde bei einem früheren Soldaten gleichzeitig mit der Einleitung eines gerichtlichen Disziplinarverfahrens oder – wie hier – später anordnen, dass ein Teil, höchstens 30 vom Hundert des Ruhegehalts einbehalten wird. Gemäß § 126 Abs. 5 Satz 1 WDO kann sie eine Einbehaltungsanordnung jederzeit von Amts wegen oder auf Antrag wieder aufheben.

Die Einbehaltungsanordnung nach § 126 Abs. 3 WDO setzt eine rechtswirksame Einleitungsverfügung und die Prognose voraus, dass dem früheren Soldaten im gerichtlichen Disziplinarverfahren voraussichtlich das Ruhegehalt aberkannt werden wird (vgl. BVerwG, Beschluss vom 22. Juli 2002 – 2 WDB 1.02 – Buchholz 235.01 § 126 WDO 2002 Nr. 1). Bei der Ausübung ihres Ermessens hinsichtlich des Erlasses und der Aufhebung einer Einbehaltungsanordnung hat die Einleitungsbehörde den verfassungsrechtlichen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu beachten. Dieser sich als übergreifende Leitregel allen staatlichen Handelns aus dem Rechtsstaatsprinzip ergebende Grundsatz besagt, dass das gewählte Mittel und der gewollte Zweck in einem vernünftigen Verhältnis zueinander stehen müssen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 18. April 1991 – 2 WDB 3.91 – BVerwGE 93, 69 <77>). Daraus folgt, dass ein solcher Eingriff in die Rechtsposition des Betroffenen nicht länger dauern darf, als er sachlich geboten erscheint.

Einbehaltensanordnung bei zunehmender Verzögerung des Disziplinarverfahrens (Rn. 11)

Die gesetzlich vorgesehene Einbehaltung eines Teils des Ruhegehalts ist nur in Ansehung eines ordnungsgemäß durchzuführenden Disziplinarverfahrens unter Beachtung des Beschleunigungsgrundsatzes eine im Allgemeinen verfassungsrechtlich unbedenkliche Maßnahme. Mit zunehmender Verzögerung des Abschlusses des Disziplinarverfahrens gerät die Aufrechterhaltung der Einbehaltung von Ruhegehalt notwendigerweise immer stärker in einen Widerstreit mit dem Prinzip der Verhältnismäßigkeit. Da innerhalb einer stetig verlaufenden zeitlichen Entwicklung der präzise Zeitpunkt, zu dem eine noch verhältnismäßige, durch die Einbehaltung eines Teils des Ruhegehalts verursachte Belastung in eine unverhältnismäßige Belastung umschlägt, nicht feststellbar ist, bedarf es zur hinreichenden Begründung der Unverhältnismäßigkeit ihrer sich aus den konkreten Umständen des Einzelfalls ergebenden Evidenz, d.h. dass die mögliche Begründung der Unverhältnismäßigkeit nicht generalisierend festgestellt werden kann, sondern sich aus den konkreten Umständen des Einzelfalles ergeben muss (vgl. BVerfG, Beschluss vom 8. September 1993 – 2 BvR 1517/92 – NVwZ 1994, 574; BVerwG, Beschluss vom 6. April 1995 – 2 WDB 6.94 – BVerwGE 103, 222 <224 f.>).

Formelle Bindungswirkung von rechtskräftigem Beschluss Einbehaltensanordnung nicht aufzuheben (Rn. 13)

Demgegenüber ist die Einbehaltungsanordnung nicht auch für den Zeitraum vom 1. April 2014 bis zum 4. April 2018 aufzuheben. Denn das Truppendienstgericht hat mit Beschluss vom 21. November 2017 bereits entschieden, dass sie nicht aufzuheben ist. Dieser Beschluss ist mangels Einlegung von Rechtsmitteln nach § 125 Abs. 1 Satz 1 WDO formell rechtskräftig geworden. Zwar entfaltet er mit Rücksicht auf den vorläufigen Charakter von Anordnungen nach § 126 Abs. 3 WDO und des summarischen Antragsverfahrens nach § 126 Abs. 5 Satz 3 keine materielle Rechtskraft (vgl. BVerwG, Beschluss vom 4. Dezember 2009 – 2 WDB 4.09 – Buchholz 450.2 § 126 WDO 2002 Nr. 6). Er löst aber eine eingeschränkte Bindungswirkung mit der Folge aus, dass dieselbe Sache nur dann einer erneuten gerichtlichen Überprüfung und Entscheidung unterliegt, wenn neue Tatsachen geltend gemacht oder neue Beweismittel beigebracht werden (vgl. BVerwG, Beschluss vom 1. Juli 1991 – 1 DB 14.91 – ZBR 1992, 86 m.w.N.).

Volltext der Entscheidung auf der Website des Bundesverwaltungsgerichts: 2 WDB 6.19

BVerwG 2 WDB 6.19
TDG Nord 2. Kammer – 21.08.2019 – AZ: TDG N 2 GL 1/19

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