Bundesverwaltungsgericht entscheidet über die Zulassung einer Rechtsbeschwerde nach der Wehrbeschwerdeordnung (WBO) – Beschluss des 2. Wehrdienstsenats vom 22. Dezember 2020 – BVerwG 2 WNB 8.20

Leitsatz:

Da Soldaten gesetzlich eine weitergehende Impfpflicht auferlegt ist als anderen Staatsbürgern, kann die Verweigerung einer befohlenen Impfung als Dienstvergehen geahndet werden.

Hervorzuhebende Auszüge aus der Entscheidung:

Zulassungsgrund der Rechtsbeschwerde: Abweichung der Rechtsprechung des TDG vom BVerwG (Rn. 6)

Nach der Rechtsprechung des Senats setzt die ordnungsgemäße Darlegung des Zulassungsgrunds der Divergenz voraus, dass die Beschwerde einen inhaltlich bestimmten, den angefochtenen Beschluss tragenden abstrakten Rechtssatz benennt, mit dem die Vorinstanz einem in einer genau bezeichneten Entscheidung eines Wehrdienstgerichts, des gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts aufgestellten ebensolchen Rechtssatz, der sich auf dieselbe Rechtsvorschrift bezieht, widersprochen hat (BVerwG, Beschlüsse vom 29. Oktober 2012 – 2 WNB 3.12 – juris Rn. 17 und vom 7. Juni 2019 – 1 WNB 5.18 – juris Rn. 3).

Dienstpflicht des Impfens (Rn. 7)

Denn der angeführte Rechtssatz sagt aus, dass eine schuldhafte Dienstpflichtverletzung gegen die Pflicht aus § 7 SG dann nicht vorliegt, wenn der Soldat einen Befehl aus Gewissensgründen (Art. 4 Abs. 1 GG) verweigern darf (BVerwG, Urteil vom 21. Juni 2005 – 2 WD 12.04 – juris Rn. 345; insoweit nicht enthalten in BVerwGE 127, 302-374). Hingegen hat der angegriffene Beschluss des Truppendienstgerichts die Verweigerung von Befehlen zu Impfungen aus gesundheitlichen Gründen (Art. 2 Abs. 2 GG) zum Gegenstand. Dabei gelten schon von vornherein andere Maßstäbe, weil Soldaten von Berufs wegen bei der Erfüllung von Befehlen – insbesondere bei Auslandseinsätzen und im Fall der Landesverteidigung – erhebliche Gesundheitsrisiken hinnehmen müssen. Die in Art. 87a Abs. 1 GG vorausgesetzte Funktionsfähigkeit der Bundeswehr wäre gefährdet, wenn die Frage der Zumutbarkeit von mit gesundheitlichen Risiken verbundenen Befehlen ähnlich einer Gewissensentscheidung letztlich von der individuellen Risikoeinschätzung der einzelnen Soldaten abhängig wäre. Da die Verbreitung übertragbarer Krankheiten die Einsatzbereitschaft militärischer Verbände erheblich schwächen kann, hat der Gesetzgeber in § 17a Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 und Satz 2 SG ausdrücklich Art. 2 Abs. 2 GG eingeschränkt und eine Pflicht zur Duldung von Impfungen als Teil der soldatischen Gesunderhaltungspflicht normiert. Bei Erlass der hier maßgeblichen Befehle war dieselbe Regelung noch in § 17 Abs. 4 SG in der Fassung vom 8. Juni 2017 (BGBl. I 1570; im Folgenden: SG 2017) enthalten.

Zulassungsgrund der Rechtsbeschwerde: Grundsätzliche Bedeutung (Rn. 10)

Die Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung einer Rechtssache erfordert die Formulierung einer bestimmten, höchstrichterlich noch ungeklärten und für die Rechtsbeschwerde entscheidungserheblichen Rechtsfrage des revisiblen Rechts, der eine allgemeine, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zukommt (vgl. BVerwG, Beschluss vom 12. April 2018 – 2 WNB 1.18 – juris Rn. 5). In der Beschwerdebegründung muss dargelegt (§ 22b Abs. 2 Satz 2 WBO, § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO), d.h. näher ausgeführt werden, dass und inwieweit eine bestimmte Rechtsfrage des Bundesrechts im allgemeinen Interesse klärungsbedürftig und warum ihre Klärung im beabsichtigten Rechtsbeschwerde- bzw. Revisionsverfahren zu erwarten ist (vgl. BVerwG, Beschluss vom 29. Oktober 2012 – 2 WNB 3.12 – juris Rn. 12 m.w.N.). Die Begründungspflicht verlangt, dass sich die Beschwerde mit den Erwägungen des angefochtenen Beschlusses und mit den Gründen bereits ergangener einschlägiger Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts, auf die sich die aufgeworfene Frage von angeblich grundsätzlicher Bedeutung bezieht, substanziiert auseinandersetzt (BVerwG, Beschlüsse vom 23. Mai 2019 – 5 PB 7.18 – juris Rn. 15 und vom 8. April 2020 – 2 WNB 2.20 – juris Rn. 5).

Dienstvergehen bei Verweigerung der Impfung aus gesundheitlichen Gründen (Rn. 13, 14, 15)

Nach § 17 Abs. 4 Satz 3 SG 2017 (jetzt § 17a Abs. 2 Satz 1 SG 2019) muss der Soldat ärztliche Eingriffe in seine körperliche Unversehrtheit gegen seinen Willen dulden, wenn es sich um Maßnahmen handelt, die der Verhütung oder Bekämpfung übertragbarer Krankheiten oder der Feststellung seiner Dienst- oder Verwendungsfähigkeit dienen. Das Bundesverwaltungsgericht hat dazu bereits mit Beschluss vom 24. September 1969 (- 1 WDB 11.68 – BVerwGE 33, 339 <343>) entschieden, dass Soldaten nach § 17 Abs. 4 Satz 3 SG der damals geltenden Fassung eine weitergehende Impfpflicht auferlegt ist als anderen Staatsbürgern und dass sie insbesondere die – auch hier verweigerte – Impfung gegen Wundstarrkrampf zu dulden haben.

Ebenfalls seit langem geklärt ist, dass ein Soldat, der gegen die Pflicht zur Erhaltung seiner Gesundheit verstößt, ein Dienstvergehen begeht (BVerwG, Beschluss vom 23. Oktober 1979 – 1 WB 149.78 – BVerwGE 63, 278 <283>). Nicht zumutbar ist eine ärztliche Behandlung nach § 17 Abs. 4 Satz 6 SG 2017 (jetzt § 17a Abs. 4 Satz 2 SG) nur dann, wenn sie mit einer erheblichen Gefahr für Leben oder Gesundheit des Soldaten verbunden ist. Damit ergibt sich bereits aus § 17 Abs. 4 Satz 3 und 6 SG 2017 (jetzt § 17a Abs. 2 Satz 1 und Abs. 4 Satz 2 SG), dass der Soldat sich keines Dienstvergehens schuldig macht, wenn er den Befehl zur Teilnahme an einer Impfung aufgrund einer erheblichen Gefahr für seine Gesundheit verweigert. Dem entspricht auch die Regelung in Nr. 106 der Zentralvorschrift A1-840/8-4000. Danach unterbleibt die Impfung, wenn eine medizinische Kontraindikation gegen eine der angeordneten Impfungen vorliegt. Dabei kommt es nach dem eindeutigen Wortlaut des § 17 Abs. 4 Satz 6 SG 2017 auf das objektive Bestehen einer erheblichen Gefahr für Leben oder Gesundheit bei Durchführung der ärztlichen Maßnahme an.

Ob dies der Fall ist und ob die Impfverweigerung bei objektiv fehlender Gesundheitsgefahr ein Dienstvergehen ist, ist eine Frage der Tatsachenfeststellung und Rechtsanwendung im Einzelfall. Diese Frage erlangt auch nicht durch den Hinweis grundsätzliche Bedeutung, dass im vorliegenden Fall zwei privat eingeholte ärztliche Stellungnahmen die Annahme einer erheblichen Gesundheitsgefahr gestützt haben. Denn es bedarf keiner grundsätzlichen Klärung in einem Rechtsbeschwerdeverfahren, ob ein Dienstvergehen vorliegt, wenn ein objektiv impftauglicher Soldat bei seiner Weigerung subjektiv von einer erheblichen Gesundheitsgefahr und damit von einem Rechtfertigungsgrund ausgeht. Bereits aus dem Wortlaut des § 23 Abs. 1 SG folgt, dass ein Dienstvergehen neben der objektiven Pflichtverletzung ein subjektives Verschulden (Fahrlässigkeit oder Vorsatz) erfordert. Dabei ist es wiederum eine Frage des Einzelfalls, ob privatärztliche Stellungnahmen mit Warnungen vor Impfgefahren den Vorsatz bei einer Verweigerung von Impfbefehlen wegen eines Erlaubnistatbestandsirrtums (§ 16 Abs. 1 StGB analog) entfallen lassen. Dies kann insbesondere nicht der Fall sein, wenn diese Stellungnahmen erst nach der Verweigerung zur nachträglichen Rechtfertigung eingeholt werden oder wenn ein genereller Verweigerungsvorsatz unabhängig von den Ergebnissen einer fachlichen Überprüfung der eingereichten Stellungnahmen besteht.

Disziplinararrest bei Ersttätern aus generalpräventiven Gründen (Rn. 17)

Nach § 38 Abs. 3 Alt. 2 WDO kann der Aspekt der „Aufrechterhaltung der militärischen Ordnung“ auch bei Ersttätern und Vorliegen von Schuldmilderungsgründen eine disziplinare Freiheitsentziehung rechtfertigen. Es bedarf jedoch einer tragfähigen Begründung dafür, dass die mit der sichtbaren Maßnahme eines Disziplinararrestes verbundene abschreckende Wirkung geboten ist, um andere von vergleichbaren Entgleisungen abzuhalten oder Nachahmungseffekte zu verhindern (vgl. BVerwG, Beschluss vom 8. November 2018 – 2 WRB 1.18 – BVerwGE 163, 345 Rn. 25).

Zulassungsgrund der Rechtsbeschwerde: Verfahrensmangel der unzureichenden Sachaufklärung (Rn. 21, 22)

Die Beschwerde geht im Ansatz zwar zutreffend davon aus, dass das allgemeine Prozessgrundrecht auf ein faires Verfahren aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG im Bereich des Disziplinarrechts die Gerichte zur Aufklärung aller für die Verhängung einer Disziplinarmaßnahme maßgeblichen Umstände verpflichtet (vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 14. Juni 2000 – 2 BvR 993/94 – DVBl 2001, 118 f. und vom 8. Dezember 2004 – 2 BvR 52/02 – BVerfGK 4, 243 Rn. 35). Die Verletzung dieser einfachrechtlich in § 23a Abs. 2 WBO i.V.m. § 86 Abs. 1 Satz 1 VwGO verankerten Aufklärungspflicht muss im Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde aber nach § 22b Abs. 2 Satz 2 WBO hinreichend dargelegt werden.

Die ordnungsgemäße Darlegung einer Aufklärungsrüge setzt die Angabe voraus, welche Tatsachen auf der Grundlage der materiell-rechtlichen Auffassung des Truppendienstgerichts ermittlungsbedürftig gewesen wären und inwiefern die angegriffene Entscheidung auf der unterbliebenen Sachaufklärung beruhen kann. Weiter muss dargelegt werden, welche konkreten Beweismittel zur Klärung der für entscheidungserheblich gehaltenen Behauptungen zur Verfügung gestanden hätten, welches Ergebnis die Beweisaufnahme voraussichtlich gehabt hätte und dass entsprechende Beweisanträge im gerichtlichen Verfahren gestellt wurden oder warum sich dem Gericht die weitere Aufklärung von Amts wegen hätte aufdrängen müssen (BVerwG, Beschluss vom 12. April 2018 – 2 WNB 1.18 – juris Rn. 3 m.w.N.).

Volltext der Entscheidung auf der Website des Bundesverwaltungsgerichts: 2 WNB 8.20

BVerwG 2 WNB 8.20
TDG Süd 3. Kammer – 07.11.2019 – AZ: TDG S 3 BLb 01/18 und TDG S 3 RL 01/20

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