Bundesverwaltungsgericht entscheidet über eine Rechtsbeschwerde nach der Wehrdisziplinarordnung – Beschluss des 2. Wehrdienstsenats vom 8. November 2018– BVerwG 2 WRB 1.18

Leitsätze:

1. Nicht jede Änderung einer beabsichtigten Disziplinarmaßnahme verpflichtet zur erneuten Anhörung der Vertrauensperson.

2. Den Tatgerichten steht bei der Maßnahmebemessung im Wehrdisziplinarrecht ein erheblicher Beurteilungs- und Ermessensspielraum zu.

3. Mit der Rechtsbeschwerde kann die mangelnde Beachtung einer in § 38 WDO niedergelegten Bemessungsrichtlinie geltend gemacht werden.

Hervorzuhebende Auszüge aus der Entscheidung

Erfordernis der Anhörung der Vertrauensperson im Disziplinarverfahren nach § 28 I SBG (Rn. 15)

Nach dieser Vorschrift ist die Anhörung der Vertrauensperson vor der Verhängung der Disziplinarmaßnahme zur Person des Soldaten, zum Sachverhalt und zum Disziplinarmaß geboten. Der Disziplinarvorgesetzte soll dadurch eine Einschätzung erhalten, wie der Soldat und das angeschuldigte Verhalten aus Kameradensicht beurteilt werden und welches Disziplinarmaß der Vertrauensperson nach deren disziplinarrechtlicher Prüfung angemessen erscheint. Die Anhörung der Vertrauensperson dient – sowohl im Interesse des Soldaten als auch zur Objektivierung des Verfahrens – der Vorbereitung der Ermessensentscheidung des Disziplinarvorgesetzten (vgl. BVerwG, Urteil vom 8. Dezember 2010 – 2 WD 24.09 – BVerwGE 138, 263 Rn. 16 zu § 27 Abs. 2 SBG a.F.). Weil es sich um eine Anhörung zu einer beabsichtigten Maßnahme handelt, gilt für ihre Durchführung § 21 SBG mit der Folge, dass die Vertrauensperson rechtzeitig und umfassend zu unterrichten, dass ihr Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben und dass die beabsichtigte Maßnahme mit ihr zu erörtern ist.

Pflicht zur erneuten Anhörung der Vertrauensperson nur bei wesentlichen Änderungen in der beabsichtigten Disziplinarmaßnahme (Rn. 16 ff.)

Schon aus dem Umstand, dass die Anhörung vor Erlass der „beabsichtigten“ Maßnahme (§ 21 Satz 1 SBG) ergehen muss, folgt, dass der Gegenstand der Anhörung nicht die am Ende des Entscheidungsprozesses stehende Verfügung sein kann. Daher hat das Bundesverwaltungsgericht bereits zu dem früheren Begriff der der Beteiligung unterliegenden „Personalmaßnahmen“ im Sinne von § 23 Abs. 1 Satz 1 SBG a.F. entschieden, dass sie nicht in jeder Hinsicht deckungsgleich sein müsse mit den einzelnen Entscheidungen, die später zu ihrer Verwirklichung ergehen. Gerade weil zu Personalmaßnahmen häufig noch Korrekturen erfolgen, die – ohne den wesentlichen Inhalt der Entscheidung zu verändern – zum Beispiel behebbare Rechtsfehler beseitigen oder der „Feinabstimmung“ der Maßnahme dienen, löse nicht jede Veränderung die Pflicht zu einer erneuten Anhörung aus. Maßgeblich sei, dass die beabsichtigte Personalmaßnahme – für den betroffenen Soldaten erkennbar – nach Anlass, Ziel und Gegenstand im Kern identisch bleibe und auch ein zeitlicher Zusammenhang gewahrt werde (BVerwG, Beschluss vom 28. Oktober 2008 – 1 WB 49.07 – BVerwGE 132, 234 Rn. 44).

Diese Grundsätze sind auch für die Pflicht zur Anhörung von Vertrauenspersonen zu „beabsichtigten Maßnahmen“ im Sinne der §§ 21, 28 SBG n.F. anzuwenden. Sie gelten – wie das Bundesverwaltungsgericht mittlerweile entschieden hat – generell und nicht nur für den dort entschiedenen Anwendungsfall. Gerade weil die Beteiligung vor dem Erlass von Verfügungen erfolgt, auf das „Ob“ des Erlasses und den Inhalt der jeweiligen Verfügung Einfluss nehmen und die personalbearbeitende Stelle gegebenenfalls zu Korrekturen veranlassen soll (siehe § 24 Abs. 3 SBG), ist allein maßgeblich, dass während des Beteiligungsverfahrens die Identität der (ex ante) beabsichtigten Personalmaßnahme im Wesentlichen erhalten bleibt (BVerwG, Beschluss vom 2. August 2017 – 1 WDS-VR 5.17 – Buchholz 449.7 § 24 SBG Nr. 2 Rn. 46).

Soweit der Senat für beabsichtigte Disziplinarmaßnahmen im Beschluss vom 26. Januar 2011 – 2 WNB 9.10 – (Buchholz 449.7 § 27 SBG Nr. 6 Rn. 3 f.) für jedwede Änderung des Disziplinarmaßes eine erneute Anhörung vorgesehen hat, hält er daran nicht mehr fest. Vielmehr besteht auch bei beabsichtigten Disziplinarmaßnahmen nur bei wesentlichen Änderungen eine Pflicht zur erneuten Anhörung (z.B. bei grundlegend verändertem Sachverhalt, neuen Anschuldigungen oder der Absicht, eine andere Art von Disziplinarmaßnahme zu verhängen). Denn auch bei Disziplinarmaßnahmen kommt es des Öfteren vor, dass das ursprünglich beabsichtigte Disziplinarmaß nach Durchführung der vorgeschriebenen Anhörungs- und Beteiligungsverfahren abgemildert oder modifiziert wird, ohne dass dadurch die Identität der Disziplinarmaßnahme im Kern verloren geht.

Richtlinien für die Bemessung der Disziplinarmaßnahme im § 38 WDO (Rn. 21)

Nach den „Richtlinien für das Bemessen der Disziplinarmaßnahme“ in § 38 Abs. 1 WDO sind bei Art und Maß der Disziplinarmaßnahme Eigenart und Schwere des Dienstvergehens und seine Auswirkungen, das Maß der Schuld, die Persönlichkeit, die bisherige Führung und die Beweggründe des Soldaten zu berücksichtigen. Eine objektive und ausgewogene Zumessungsentscheidung setzt voraus, dass diese Bemessungskriterien mit dem ihnen im Einzelfall zukommenden Gewicht ermittelt und in die Entscheidung eingestellt werden (vgl. BVerwG, Urteile vom 20. Oktober 2005 – 2 C 12.04 – BVerwGE 124, 252 <258> und vom 28. September 2018 – 2 WD 14.17 – Rn. 99). Denn diese Kriterien sind Ausdruck verfassungsrechtlicher Gebote. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts gelten das Schuldprinzip und der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit (Übermaßverbot) grundsätzlich auch im Disziplinarverfahren (vgl. BVerfG, Stattgebender Kammerbeschluss vom 8. Dezember 2004 – 2 BvR 52/02 – NJW 2005, 1344 <1346> m.w.N.). Dabei konkretisieren § 38 Abs. 2 und 3 WDO den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit in der Weise, dass in der Regel mit der milderen Disziplinarmaßnahme zu beginnen und erst bei erneutem Dienstvergehen zu schwereren Disziplinarmaßnahmen überzugehen ist; insbesondere Disziplinararrest soll erst dann verhängt werden, wenn vorausgegangene erzieherische Maßnahmen und Disziplinarmaßnahmen ihren Zweck nicht erreicht haben oder die Aufrechterhaltung der militärischen Ordnung eine disziplinare Freiheitsentziehung gebietet.

Erheblicher Beurteilungsspielraum des Tatgerichts bei Maßnahmenbemessung (Rn. 22)

Allerdings ist die Maßnahmebemessung grundsätzlich Sache des Tatgerichts. Es ist seine Aufgabe, auf der Grundlage des umfassenden Eindrucks, den es von der Tat und der Persönlichkeit des Täters gewonnen hat, die wesentlichen entlastenden und belastenden Umstände festzustellen, sie zu bewerten und hierbei gegeneinander abzuwägen. Da es bei Beachtung der oben genannten Bemessungsrichtlinien eine Bandbreite vertretbarer Entscheidungen gibt, steht den Tatgerichten im Disziplinarrecht ebenso wie im Strafrecht ein erheblicher Beurteilungs- und Ermessensspielraum zu. Ein Eingriff des Rechtsbeschwerdegerichts in die Maßnahmebemessung ist in der Regel nur möglich, wenn die Zumessungserwägungen in sich fehlerhaft sind, das Tatgericht die normativen Bemessungsrichtlinien nicht oder nicht hinreichend beachtet oder wenn sich die verhängte Disziplinarmaßnahme nach oben oder unten von ihrer Bestimmung löst, gerechter Schuldausgleich zu sein (vgl. BGH, Urteile vom 17. September 1980 – 2 StR 355/80 – BGHSt 29, 319 <320> und vom 7. Februar 2012 – 1 StR 525/11 – BGHSt 57, 123 Rn. 17). Nur in diesem Rahmen kann bei Rechtsbeschwerden nach § 22a WBO eine Verletzung von Bundesrecht (§ 23a WBO i.V.m. § 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO) festgestellt werden. Dagegen ist eine ins Einzelne gehende Richtigkeitskontrolle – ebenso wie bei der revisionsrechtlichen Überprüfung von Strafzumessungserwägungen – ausgeschlossen (vgl. BGH, Großer Senat für Strafsachen, Beschluss vom 10. April 1987 – GSSt 1/86 – BGHSt 34, 345 <349>).

Volltext der Entscheidung auf der Website des Bundesverwaltungsgerichts: 2 WRB 1.18

BVerwG 2 WRB 1.18
TDG Nord 1. Kammer – 21.02.2018 – AZ: TDG N 1 BLb 1/18

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