Bundesverwaltungsgericht entscheidet über eine Berufung nach der Wehrdisziplinarordnung (WDO) – Urteil des 2. Wehrdienstsenats vom 14. Oktober 2021 – BVerwG 2 WD 26.20

Leitsätze:

  1. Einem Geständnis, ohne das einem Soldaten ein Dienstvergehen nicht hätte nachgewiesen werden können, kommt bei der Bemessung der Disziplinarmaßnahme eine
    erheblich mildernde Wirkung zu.
  2. Einer durchgeführten Therapie mit positiver Zukunftsprognose kann bei der Bemessung der Disziplinarmaßnahme auch dann eine erhebliche mildernde Wirkung
    zukommen, wenn es sich um die Erfüllung einer Bewährungsauflage aus einem sachgleichen Strafverfahren handelt.

Hervorzuhebende Auszüge aus der Entscheidung:

Abmilderung einer Disziplinarmaßnahme bei Berufung der Wehrdisziplinaranwaltschaft (Rn. 15)

Eine Abmilderung der vom Truppendienstgericht verhängten Disziplinarmaßnahme ist gemäß § 123 Satz 3, § 91 Abs. 1 Satz 1 WDO i.V.m. § 301 StPO zulässig (vgl. BVerwG, Urteil vom 3. Juni 2021 – 2 WD 18.20 – Rn. 12 m.w.N.). 

Keine Bindung der Rechtsausführungen in der Anschuldigungsschrift (Rn. 25)

Auch diese Pflichtverletzung darf gemäß § 123 Satz 3 WDO i.V.m. § 107 Abs. 1 WDO zum Gegenstand der Urteilsfindung gemacht werden. Zwar wurde in der Anschuldigungsschrift als verletzte Dienstpflicht nur die innerdienstliche Wohlverhaltenspflicht bezeichnet. Der Senat hat den konkret angeschuldigten Sachverhalt aber unter allen in Betracht kommenden disziplinarrechtlichen Gesichtspunkten zu würdigen. Dabei kommt es nicht darauf an, ob die Anschuldigungsschrift die verletzten Pflichten des Soldatengesetzes zutreffend und vollständig nennt. Die Rechtsausführungen in der Anschuldigungsschrift geben den Wehrdienstgerichten nicht den rechtlichen Rahmen ihrer Prüfung vor (vgl. BVerwG, Urteil vom 15. Mai 2014 – 2 WD 3.13 – juris Rn. 26).

Regelmaßnahmen bei Besitz und Verbreitung von kinderpornografischen Schriften (Rn. 30,31)

Auf der ersten Stufe bestimmt er zwecks Gleichbehandlung vergleichbarer Fälle und im Interesse der Rechtssicherheit und Voraussehbarkeit der Disziplinarmaßnahme eine Regelmaßnahme für die betreffende Fallgruppe als Ausgangspunkt der Zumessungserwägungen. Diese besteht beim Besitz kinderpornographischer Schriften und beim Unternehmen des Sichverschaffens des Besitzes daran in einer Dienstgradherabsetzung. In Fällen des Verbreitens derartiger Schriften, ihres Zugänglichmachens in der Öffentlichkeit und des Unternehmens der Besitzverschaffung an eine andere Person ist im Regelfall die Höchstmaßnahme tat- und schuldangemessen (vgl. BVerwG, Urteil vom 15. April 2021 – 2 WD 14.20 – juris Rn. 31 m.w.N.). Letzteres gilt auch für das Anbieten kinderpornographischer Schriften.

Diese Differenzierung in der disziplinarischen Ahndung orientiert sich an den in § 184b StGB 2017 vorgesehenen unterschiedlichen Strafrahmen für das jeweilige Fehlverhalten. Nach § 184b Abs. 3 StGB 2017 wurden der Besitz an einer kinderpornographischen Schrift, die ein tatsächliches oder wirklichkeitsnahes Geschehen wiedergibt, sowie das Unternehmen des Sichverschaffens des Besitzes daran mit einer Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. Demgegenüber sah § 184b Abs. 1 StGB 2017 insbesondere für Fälle des Verbreitens oder Zugänglichmachens kinderpornographischer Schriften in der Öffentlichkeit (Nr. 1), des Unternehmens der Besitzverschaffung an eine andere Person (Nr. 2) und des Anbietens kinderpornographischer Schriften (Nr. 4) mit einer Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren einen deutlich höheren Strafrahmen vor. Dies hat seinen Grund darin, dass die aktive Beteiligung am kinderpornographischen Marktgeschehen als Anbieter im Regelfall ein wesentlich größeres Unrecht darstellt als die eher passive Beteiligung als nachfragender Konsument. Unerheblich ist dabei, dass nicht feststeht, ob sein Chatpartner Zugriff auf die Datei nahm. Denn der höhere Sanktionsrahmen greift bei einem Zugänglichmachen kinderpornographischer Dateien auch dann, wenn ein tatsächlicher Zugriff eines Dritten nicht festgestellt worden ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 19. Juni 2019 – 2 WD 21.18 – Buchholz 450.2 § 38 WDO 2002 Nr. 65 Rn. 26 m.w.N.).

Leitung der strafrechtlichen Wertung für das Disziplinarverfahren (Rn. 32)

Diese strafrechtliche Wertung ist auch für die disziplinarrechtliche Würdigung leitend. Die Orientierung am gesetzlichen Strafrahmen gewährleistet eine nachvollziehbare und gleichmäßige disziplinarische Ahndung. Sie verhindert, dass die Wehrdienstgerichte ihre jeweils eigene Einschätzung des Unwertgehalts eines Delikts oder die Einschätzung der Wehrdisziplinaranwaltschaft an die Stelle der Bewertung des Gesetzgebers setzen (vgl. BVerwG, Urteil vom 15. April 2021 – 2 WD 14.20 – juris Rn. 32 m.w.N.).

Erhöhung des Gewichts des Dienstvergehens bei Vorgesetztenstellung (Rn. 36)

 Zum einen hatte er zur Tatzeit wegen seines Dienstgrads als Stabsunteroffizier eine Vorgesetztenstellung inne (vgl. § 1 Abs. 3 Satz 1 und 2 SG i.V.m. § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, Abs. 3 VorgV). Nach § 10 SG war er damit zu vorbildlicher Pflichterfüllung verpflichtet. Wer in dieser Stellung eine Pflichtverletzung begeht, gibt ein schlechtes Vorbild ab, was das Gewicht seines Dienstvergehens erhöht (vgl. BVerwG, Urteil vom 1. Oktober 2020 – 2 WD 20.19 – juris Rn. 40 m.w.N.). Dabei ist es nicht erforderlich, dass es der frühere Soldat innerhalb eines konkreten Vorgesetztenverhältnisses an Beispielhaftigkeit hat fehlen lassen. Es genügt das Innehaben einer Vorgesetztenstellung aufgrund des Dienstgrads (vgl. BVerwG, Urteil vom 14. Januar 2021 – 2 WD 7.20 – NVwZ-RR 2021, 770 Rn. 40 m.w.N.).

Volltextveröffentlichung der Entscheidung auf der Website des Bundesverwaltungsgerichts: 2 WD 26.20

BVerwG 2 WD 26.20
Vorinstanz: TDG Nord 2. Kammer – 25.08.2020 – AZ: TDG N 2 VL 24/18

WordPress Cookie Hinweis von Real Cookie Banner