Ein Soldat auf Zeit kann nach § 55 Abs. 5 Soldatengesetz (SG) fristlos aus der Bundeswehr entlassen werden, wenn folgende Tatbestandsmerkmale erfüllt sind:

  • ein Soldat auf Zeit innerhalb der ersten vier Dienstjahre
  • schuldhafte Verletzung der Dienstpflichten
  • Verbleiben im Dienstverhältnis gefährdet die militärische Ordnung ernstlich oder
  • Verbleiben im Dienstverhältnis gefährdet das Ansehen der Bundeswehr ernstlich

Das Bundesverwaltungsgericht hat die Auslegung der Tatbestandsmerkmale in ständiger Rechtsprechung konkretisiert und hinreichend ausgelegt. Als Beispiel soll der Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 28. Januar 2013 diese ständige Rechtsprechung darstellen (2 B 114.11, Rn. 8 ff.):

Nach § 55 Abs. 5 SG kann ein Soldat auf Zeit während der ersten vier Dienstjahre fristlos entlassen werden, wenn er seine Dienstpflichten schuldhaft verletzt hat und sein Verbleiben in seinem Dienstverhältnis die militärische Ordnung oder das Ansehen der Bundeswehr ernstlich gefährden würde. Die Vorschrift soll die personelle und materielle Einsatzbereitschaft der Bundeswehr gewährleisten. Die fristlose Entlassung stellt ein Mittel dar, um eine Beeinträchtigung der uneingeschränkten Einsatzbereitschaft zu vermeiden. Bereits aus dem Wortlaut des § 55 Abs. 5 SG ergibt sich, dass diese Gefahr gerade als Auswirkung einer Dienstpflichtverletzung des Soldaten drohen muss. Dies ist von den Verwaltungsgerichten aufgrund einer nachträglichen Prognose zu beurteilen (Urteile vom 9. Juni 1971 – BVerwG 8 C 180.67 – BVerwGE 38, 178 <180 f.> = Buchholz 238.4 § 55 SG Nr. 5 S. 2 f., vom 31. Januar 1980 – BVerwG 2 C 16.78 – BVerwGE 59, 361 <362 f.> = Buchholz 238.4 § 55 SG Nr. 8 S. 5 f., vom 24. September 1992 – BVerwG 2 C 17.91 – BVerwGE 91, 62 <63 f.> = Buchholz 236.1 § 55 SG Nr. 13 S. 2 f. und vom 28. Juli 2011 – BVerwG 2 C 28.10 – BVerwGE 140, 199 = Buchholz 310 § 96 VwGO Nr. 60, jeweils Rn. 10, sowie Beschluss vom 16. August 2010 – BVerwG 2 B 33.10 – Buchholz 449 § 55 SG Nr. 20 Rn. 6).

Mit dem Erfordernis, dass die Gefährdung der militärischen Ordnung ernstlich sein muss, entscheidet das Gesetz selbst die Frage der Angemessenheit der fristlosen Entlassung im Verhältnis zu dem erstrebten Zweck und konkretisiert so den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Zwar können Dienstpflichtverletzungen auch dann eine ernstliche Gefährdung der militärischen Ordnung herbeiführen, wenn es sich um ein leichteres Fehlverhalten handelt oder mildernde Umstände hinzutreten. Jedoch ist im Rahmen der Gefährdungsprüfung zu berücksichtigen, ob die Gefahr für die Einsatzbereitschaft der Bundeswehr durch eine Disziplinarmaßnahme abgewendet werden kann (Urteile vom 9. Juni 1971 a.a.O., vom 31. Januar 1980 a.a.O., vom 20. Juni 1983 – BVerwG 6 C 2.81 – Buchholz 238.4 § 55 SG Nr. 11 S. 13 f. = NJW 1984, 938, vom 24. September 1992 a.a.O. und vom 28. Juli 2011 a.a.O. Rn. 11 sowie Beschluss vom 16. August 2010 a.a.O. Rn. 7).

Auf dieser Grundlage haben sich in der Rechtsprechung Fallgruppen herausgebildet, bei denen eine ernstliche Gefährdung der militärischen Ordnung im Sinne des § 55 Abs. 5 SG regelmäßig anzunehmen ist: Dies gilt vor allem für Dienstpflichtverletzungen im militärischen Kernbereich, die unmittelbar die Einsatzbereitschaft beeinträchtigen. Bei Dienstpflichtverletzungen außerhalb dieses Bereichs kann regelmäßig auf eine ernstliche Gefährdung geschlossen werden, wenn es sich entweder um Straftaten von erheblichem Gewicht handelt, wenn die begründete Befürchtung besteht, der Soldat werde weitere Dienstpflichtverletzungen begehen (Wiederholungsgefahr) oder es sich bei dem Fehlverhalten um eine Disziplinlosigkeit handelt, die in der Truppe als allgemeine Erscheinung auftritt oder um sich zu greifen droht (Nachahmungsgefahr). Jedenfalls die beiden letztgenannten Fallgruppen erfordern eine einzelfallbezogene Würdigung der konkreten Dienstpflichtverletzung, um die Auswirkungen für die Einsatzbereitschaft oder das Ansehen der Bundeswehr beurteilen zu können (vgl. Urteile vom 9. Juni 1971, vom 31. Januar 1980, vom 20. Juni 1983, vom 24. September 1992 und vom 28. Juli 2011 jeweils a.a.O. sowie Beschluss vom 16. August 2010 a.a.O. Rn. 8).

Der obige Beschluss ist auch hier in unserer Datenbank zu finden.

Insbesondere ist darauf hinzuweisen, dass das Bundesverwaltungsgericht grundsätzlich von einem Vorrang des Disziplinarverfahrens ausgeht: „Jedoch ist im Rahmen der Gefährdungsprüfung zu berücksichtigen, ob die Gefahr für die Einsatzbereitschaft der Bundeswehr durch eine Disziplinarmaßnahme abgewendet werden kann„.

Interessant ist auch die Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts Nordrhein-Westfalen aus dem Jahre 2005 (Beschluss vom 20. Januar 2005 – 1 B 2009/04), in dem es feststellt, dass der Behörde bei einer Entlassung nach § 55 Abs. 5 SG nur ein eingeschränkter Ermessensspielraum zusteht, ob die Entlassung ausgesprochen werden muss oder nicht. Nur in atypischen Fällen kann von der Entlassung abgesehen werden:

Beim Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen des § 55 Abs. 5 SG steht die Entscheidung im pflichtgemäßen Ermessen der für die Entlassung zuständigen Behörde. Es bestehen indes entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts keine durchgreifenden Bedenken daran, dass dieses Ermessen hier fehlerfrei ausgeübt worden ist.

Zwar wird das Wort „kann“ im vorliegenden Zusammenhang – soweit ersichtlich – als (echte) Ermessenseinräumung und damit nicht nur als Verdeutlichung der Übertragung einer Kompetenz angesehen. So zumindest im Ergebnis etwa BVerwG, Urteil vom 24. September 1992 – 2 C 17.91 -, a.a.O.; OVG NRW, Urteil vom 26. August 1999 – 12 A 2849/96 -, a.a.O.

Gleichwohl handelt es sich hierbei nicht um die Einräumung eines „umfassenden“ Ermessens dergestalt, dass die Entlassungsbehörde gewissermaßen – ähnlich wie in einem Disziplinarverfahren – alle für und gegen den Verbleib des Zeitsoldaten im Dienst sprechenden Gesichtspunkte im Rahmen einer Gesamtwürdigung zusammentragen, gewichten und gegeneinander abwägen müsste. Dem stünde nämlich die besondere Zielrichtung bzw. Zweckbestimmung der in Rede stehenden Vorschrift entgegen.

Alleiniger Zweck der fristlosen Entlassung gemäß § 55 Abs. 5 SG ist es, eine – sich im Grunde bereits aus der Erfüllung der tatbestandlichen Voraussetzungen der Vorschrift ergebende – drohende Gefahr für die Bundeswehr abzuwenden. Die fristlose Entlassung soll künftigen Schaden verhindern und dient in diesem Zusammenhang ausschließlich dem Schutz der Bundeswehr. Demgegenüber handelt es sich nicht um eine Disziplinarmaßnahme (bzw. eine vergleichbare Maßnahme). Sonach finden auf sie auch nicht die für Disziplinarmaßnahmen geltenden Grundsätze Anwendung und ist (auch im Übrigen) im Rahmen des § 55 Abs. 5 SG kein Raum für Erwägungen darüber, ob die Sanktion der dienstlichen Verfehlung angemessen ist und ob der Soldat im Hinblick auf die Art und Schwere der Dienstpflichtverletzung noch tragbar oder untragbar ist. Die Frage der Angemessenheit des Eingriffs im Verhältnis zu dem erstrebten Zweck ist hier in Gestalt einer Vorabbewertung durch den Gesetzgeber jedenfalls im Wesentlichen bereits durch die Vorschrift selbst – und zwar auf der Tatbestandsebene – konkretisiert worden. So setzt § 55 Abs. 5 SG mit der Begrenzung der Rechtsfolge auf Fälle einer „ernstlichen“ Gefährdung einen besonderen Gefährdungsgrad voraus; außerdem grenzt er in zeitlicher Hinsicht die Entlassungsmöglichkeit auf die ersten vier Dienstjahre ein. Für zusätzliche Erwägungen zum Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ist somit nach der Gesetzeskonzeption im Rahmen des § 55 Abs. 5 SG (grundsätzlich) kein Raum. Vgl. zum Ganzen: BVerwG, z. B. Urteile vom 31. Januar 1980 – 2 C 16.78 -, a.a.O., und vom 24. September 1992 – 2 C 17.91 -, a.a.O.

Dies zugrunde gelegt, ist das Ermessen der zuständigen Behörde, beim Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen des § 55 Abs. 5 SG vom Ausspruch der fristlosen Entlassung absehen zu können, trotz des Wortlauts „kann“ (und nicht „soll“) im Sinne einer sog. „intendierten Entscheidung“ auf besondere (Ausnahme-)Fälle zu beschränken, vgl. etwa OVG NRW, Urteil vom 26. August 1999 – 12 A 2849/96 -, a.a.O.; Bayerischer VGH, Urteil vom 25. Juli 2001 – 3 B 96.1876 -, Juris; VG Stade, Urteil vom 18. März 2004 – 3 A 1563/03 -, a.a.O., und zwar solche, die der Gesetzgeber in seine vorweggenommene Verhältnismäßigkeitsabwägung nicht schon einbezogen hat bzw. einbeziehen konnte, weil sie beispielsweise gerade den jeweils in Rede stehenden Fall völlig „atypisch“ prägen. In Konsequenz dessen gibt es auch keine generelle Verpflichtung der Behörde, in jedem einzelnen Falle im Rahmen der Begründung der Entlassungsverfügung bzw. des Beschwerdebescheides (zusätzliche) Ermessenserwägungen ausdrücklich anzustellen. Ebenso OVG NRW, Beschlüsse vom 6. November 1996 – 12 B 1525/96 – und vom 14. November 1996 – 12 B 1647/96 -.41

Es reicht vielmehr aus, dass sich die Behörde den Umständen nach des in atypischen Fällen gesetzlich eingeräumten Ermessens bewusst gewesen ist und sie etwa bestehende Besonderheiten (im obigen Sinne) zutreffend geprüft und verneint hat. Insoweit vermag der Senat hier indes keine durchgreifenden Mängel der in Rede stehenden Bescheide zu erkennen. Darüber hinaus hat sich die Antragsgegnerin zu den vom Verwaltungsgericht in dem angegriffenen Beschluss betreffend das dort gerügte angebliche Ermessensdefizit im Zuge des Beschwerdeverfahrens ergänzend geäußert und dabei – in der Sache zutreffend – darauf hingewiesen, dass die vom Verwaltungsgericht angesprochenen Einzelumstände sämtlich keine Besonderheiten bezeichnen, auf die es – ausgehend von der schon durch das Gesetz in § 55 Abs. 5 SG allgemein vorgenommenen Abwägung – für die Entscheidung noch zusätzlich ankommt.

Auch diese Entscheidung ist in unserer Datenbank hier zu finden.

WordPress Cookie Hinweis von Real Cookie Banner